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Nur noch ein Jahr im Heim

ASYLBEWERBER Bislang mussten Flüchtlinge jahrelang unter schwierigen Bedingungen in Heimen leben. Jetzt dürfen sie sich nach zwölf Monaten eine Wohnung suchen

Beengtes Leben: Zimmer im Flüchtlingsheim Ludwig-Quidde Straße. Bild: Michael Bahlo

Flüchtlinge die nach Bremen verteilt werden, müssen nur noch ein Jahr in einer Gemeinschaftsunterkunft leben. Danach haben sie Anspruch auf eine eigene Wohnung. Das beschloss gestern die Sozialdeputation. Die Regelung gilt auch für abgelehnte Asylbewerber, die hier als Geduldete leben. Bislang war eine "Verweildauer" im Heim von drei Jahren vorgeschrieben.

Derzeit leben etwa 500 Menschen in Bremer Asylbewerberheimen. 180 von ihnen können theoretisch von der Novelle profitieren, sagte die Sprecherin des Sozialressorts Petra Kodré. Einer der Gründe für die Absenkung sei, dass die Asylbewerberzahlen wieder ansteigen.

Ein Prozent aller nach Deutschland einreisenden Asylbewerber werden per Umlageverfahren nach Bremen verteilt. Zunächst leben sie in der "Zentralen Aufnahmestelle" in Habenhausen, danach bekommen sie einen Platz in einer Gemeinschaftunterkunft. Seit 2010 steigen die Asylbewerberzahlen leicht. Im Februar kamen 40 neue Flüchtlinge nach Bremen - die ohnehin sehr eng bemessenen Heime würden bald an ihre Grenzen stoßen."Wir halten das aber auch sozialpolitisch für sinnvoll," sagt Kodré. "Vor allem Familien mit Kindern haben so ein bisschen mehr Platz, das ist auch besser für Kinder, die zur Schule gehen." Der Umzug mache es leichter ein "normales Leben" zu führen.

Tatsächlich waren die Lebensbedingungen in den Heimen von den Flüchtlingen immer wieder kritisiert worden. Isolation, Enge und die verordnete Untätigkeit - Asylbewerbern ist es verboten, zu arbeiten - empfinden sie als große Belastung. Erst kürzlich war Bewohnern des Heims in der Ludwig-Quidde-Straße mitgeteilt worden, dass sie ihre Zimmer künftig zu viert bewohnen müssen: "Dann bleibt kein Platz zum Essen, zum Sitzen oder nur zum Türöffnen," sagt Ramin Popalza aus Afghanistan.

Auch der junge Inder, dem monatelang im Abschiebegewahrsam eine lebensnotwendige Herzoperation verwehrt worden war (taz berichtete) lebt in einem Heim in Huchting. Er teilt sich nach seiner Reha-Maßnahme sein Zimmer mit zwei Mitbewohnern. Die 150 Plätze seien ausgelastet, sagt Heimleiter Uwe Eisenhut. Die Unterkunft ist weit abgelegen, bis zur nächsten Bushaltestelle sind es 20 Minuten Fußweg. Für den Inder, der noch nicht wieder Treppen steigen dar, werden Einkauf oder Nachsorgeuntersuchungen zur Belastungsprobe. Gemäß einer Ausnahmeregelung für Kranke hater eine Einzimmerwohnung beantrag, doch bis darüber entschieden wird, dauere es im Schnitt etwa acht Wochen sagt Eisenhut.

"Die Wohnsituation in den Unterkünften ist eine große Belastung, gerade für Familien mit Kindern sowie kranke, traumatisierte und ältere Flüchtlinge", sagt der grüne Sozialpolitiker Mustafa Öztürk. Dass sie nun schneller in eine eigene Wohnung umziehen können "entzerrt nicht nur die Situation in den Gemeinschaftsunterkünften, sondern stärkt auch die Selbstständigkeit." Die ermögliche eine bessere Integration der Flüchtlinge. Eigentlich wollt die Sozialdeputation die Verweildauer auf zwei Jahre senken. Doch am Mittwoch gelang es offenbar den Grünen, die SPD auf ein Jahr herunterzuhandeln "Zwölf Monate ist besser als 24, aber unsere Forderung ist, dass die Heime ganz abgeschafft werden", sagt Marc Millies vom Bremer Flüchtlingsrat. "Das sind menschenunwürdige Lebensverhältnisse, das gestehen die Politiker ja selber ein." Die Enge und Isolation rufe bei vielen Flüchtlingen "psychische und gesundheitliche Schäden" hervor. Ein Problem der neuen Regelung sei, dass viele Flüchtlinge keinen Zugang zu Deutschkursen hätten und kaum betreut würden. "Solange das so bleibt, können die sich kaum selber eine Wohnung suchen." Besser sei das Problem in Städten wie Leverkusen gelöst: "Die haben schon vor zehn Jahren komplett auf Heime verzichtet."

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