Museumsleiter Mamoun Fansa: "Ich möchte mehr von der Welt sehen"
Mamoun Fansa hat das Oldenburger "Landesmuseum Natur und Mensch" mit der Ausstellungsreihe "Orient-Okzident-Dialoge" bundesweit bekannt gemacht. Ein Gespräch über ein Leben zwischen Ost und West.
taz: Herr Fansa, wie wird man, wenn man in Syrien aufgewachsen ist, Leiter eines Landesmuseums in Oldenburg?
Mamoun Fansa: Ich studierte 1967 Betriebswirtschaft in Aleppo, als der Sechstagekrieg ausbrach. Ich habe, warum auch immer, eine unbestimmte Angst, wenn ich Soldaten auf der Straße sehe. Und als wenige Tage nach dem Krieg mein Jahrgang einberufen werden sollte, habe ich gesagt: Mit mir nicht. Mit einer gefälschten Ausreisegenehmigung machte ich mich - per Bagdadbahn und Orientexpress - auf den Weg nach Hannover, wo ein Bruder von mir lebte. Dort begann ich dann Kunst zu studieren.
Sie sind aber doch Archäologe!
Nachdem ich mein Kunststudium in Hannover beendet hatte, wollte ich etwas machen, mit dem man auch Geld verdienen kann, dabei aber im Bereich Kunstgeschichte bleiben. Da sagte man mir, ich müsse Architektur studieren. Das wollte ich nicht und dachte bei mir, Archäologie ist ja so was Ähnliches, nur in der Vergangenheit. Das war vielleicht etwas naiv gedacht.
Ist für Archäologie der Nahe Osten nicht interessanter als der deutsche Nordwesten?
Vorderasiatische Archäologie zu studieren wäre relativ sinnlos gewesen, da ich in Syrien als Kriegsdienstverweigerer und "Fahnenflüchtiger" einem Heimatverbot unterlag. Also studierte ich nordeuropäische Archäologie. Im zweiten Semester haben wir dann eine Exkursion zu den Großsteingräbern im Nordwesten und auch in dieses Museum hier in Oldenburg gemacht - und da hat es bei mir gefunkt. Großsteingräber, die erste von Menschen hergestellte Keramik um 3.500 vor Christus - das hat mich fasziniert und darüber habe ich dann auch meine Doktorarbeit geschrieben.
Als Sie Leiter des Oldenburger Naturkundemuseums wurden, leiteten Sie eine Neukonzeption ein. Das Museum heißt jetzt "Natur und Mensch". Warum?
65, wurde im syrischen Aleppo geboren, studierte in Hannover Kunst und Archäologie und promovierte über bronzezeitliche Großsteingräber in Nordwestniedersachsen. 1994 übernahm er die Leitung des "Staatlichen Museums für Naturkunde und Vorgeschichte" in Oldenburg. Im Herbst zieht Fansa nach Berlin, wo er Vorsitzender des Trägervereins des Museumsdorfs Düppel ist. Seit 1975 wird dort das Hochmittelalter rekonstruiert.
Ich hatte mir, schon bevor ich die Leitung übernahm, überlegt, wie man mehr Besucher ansprechen und mehr Themen bieten kann - das Museum also einen anderen Sinn bekommt. Die Idee war, die Genese der Natur und die Einwirkung des Menschen darauf als Symbiose darzustellen, interdisziplinär zu arbeiten und bei den Naturinteressierten das Interesse an Kultur zu wecken und umgekehrt.
Bundesweit bekannt wurde Ihr Museum durch die Orient-Okzident-Ausstellungen. Das ist von Naturkunde denkbar weit entfernt.
Bei der Vorbereitung der ersten Ausstellung über Saladin 2006 habe ich gemerkt, dass das inhaltlich unheimlich viel bringt. Auch hier in Deutschland wissen die Menschen zu wenig über andere Kulturen. Da herrscht wirklich ein Nachholbedarf, den man mit Fernsehsendungen, die ja schnell wieder vergessen werden, nicht erfüllen kann. Die nächsten Ausstellungsthemen haben sich dann ergeben: Der Stauferkaiser Friedrich II. etwa drängte sich als europäischer Exponent mit starkem Bezug zur islamischen Kultur geradezu auf.
Ihre jetzige Ausstellung widmet sich "Lawrence von Arabien". Warum?
Mir wurde klar: Ich rede ja immer vom Dialog. Wenn ich Lawrence in diesem Zusammenhang betrachte, ist es aber eher ein Kontradialog. Wenn man das so sagen darf: Die Europäer haben vom Orient immer mehr genommen als gegeben. Ohne das Thema zu sehr vereinfachen zu wollen, herrscht doch Einigkeit darüber, dass wichtige Impulse und das Wissen aus dem Altertum über den Orient nach Europa kamen. Sogar das Christentum mit all seinen Abwandlungen kam von dort. Was wir dann zu Lawrences Zeiten zurückbekommen haben, war Kolonialismus, Unterdrückung, Wirtschaftsimperialismus.
Mit Lawrence schließt sich also nach jahrhundertelangem Kulturtransfer ein Kreis ?
Kulturtransfer ist gut! Der war über 600 Jahre ziemlich einseitig. Und als die Europäer so weit waren und Renaissance, Aufklärung und Industrialisierung hinter sich hatten, fingen sie an, Absatzmärkte zu suchen. Und dann ging es los mit der Kolonisation, mit deren Folgen wir immer noch zu tun haben; nicht nur im Orient, auch in Afrika.
Nimmt man Ihre Arbeit in der arabischen Welt zur Kenntnis?
Ja. Ich bin aufgrund dieser Themen vom Ministerpräsident der Vereinigten Arabischen Emirate vor ein paar Jahren zu einem arabisch-deutschen Kulturdialog eingeladen worden, bei einer ägyptischen Saladin-Ausstellung war ich als Berater tätig, in Damaskus habe ich am Goethe-Institut Seminare gehalten. Also, es ist schon bekannt.
Auch die Ausstellung der derzeit heimatlosen archäologischen Schätze Gazas war deutschlandweit bislang nur in Oldenburg zu sehen.
Das ist tatsächlich dem Umstand geschuldet, dass wir Ausstellungen aus dem Orient machen. Wir sind bundesweit eigentlich die Einzigen, die das Thema konsequent durchziehen und nicht nur alle zehn Jahre mal eine Sonderschau machen. Wir waren allerdings auch die einzigen, die auf das Angebot des Historischen Museums Genf reagiert haben, das die Fundstücke im Auftrag der Unesco verwaltet.
Was haben Sie für Rückmeldungen bekommen?
Es gab sowohl pro-israelische als auch pro-arabische Reaktionen. Wir haben bewusst gesagt: Wir zeigen eine Ausstellung über Archäologie in Gaza; wir halten uns heraus, was die politische Situation betrifft. Am Schluss der Ausstellung haben wir allerdings auf einer Tafel auf die Zerstörungen durch Krieg hingewiesen. Dafür haben wir Kritik bekommen - und zwar von beiden Seiten.
Sie gehen in den Ruhestand. Überlegen Sie sich, nach Syrien zurückzukehren?
Nein! Überhaupt nicht.
Die Antwort kam ja schnell.
Ich habe überhaupt keine Verbindung mehr dahin, und wenn ich dort bin, sehe ich zu, dass ich schnell wieder wegkomme. Das soll jetzt nicht heißen, dass ich so wahnsinnstoll europäisiert bin - man hat einfach einen anderen Arbeitsrhythmus und eine andere Lebensart. Außerdem habe ich da wirklich ein Sprachproblem. So wie ich hier sitze und frei von der Leber erzähle, kann ich das auf Arabisch nicht: Ich stottere, suche nach Wörtern, versuche mit Händen und Füßen zu erklären, was ich meine. Ich habe die Sprache immerhin mehr als 40 Jahre nicht gebraucht.
Stattdessen gehen Sie nach Berlin. Haben Sie genug von der nordwestdeutschen Provinz?
Ich bin in einer Großstadt geboren, war 20 Jahre in Hannover -ich bin, so gesehen, ein Großstadtmensch. Ich habe sehr gerne in Oldenburg gelebt, aber ich möchte doch ein bisschen mehr von der Welt sehen, und das geht in Berlin besser.
Sie haben die "Europäische Vereinigung zur Förderung der Experimentellen Archäologie" mitbegründet. Sind Sie dort immer noch aktiv?
Naja, im Vorstand bin ich jetzt nicht mehr, meine Amtszeit ist abgelaufen. Die Gründung geht auf eine große Ausstellung zur Experimentellen Archäologie zurück, die wir 1990 in Oldenburg gemacht haben - die erste europaweit, die eine regelrechte Lawine ausgelöst hat. Inzwischen ist die Experimentalarchäologie als eigener Zweig der Archäologie etabliert.
Vielleicht zu etabliert, wenn man sich anschaut, was in diversen TV-Serien alles unter dem Prädikat "Experimentalarchäologie" verkauft wird.
Ich habe schon damals bei Ausstellungseröffnung darauf hingewiesen, dass es nicht diese Richtung nehmen sollte. Aber so lange solche "Living History" dazu beiträgt, den Leuten Archäologie näherzubringen, habe ich nichts dagegen. Es darf natürlich nicht übertrieben und es dürfen auch keine Falschinformationen verbreitet werden.
Was wird, nach Ihrem Rückzug, vom Nahen Osten im Nordwesten bleiben?
Nun, die Ausstellungsreihe endet; man kann ja von meinem Nachfolger nicht verlangen, dass er das weiterführt. Ich würde mir lediglich wünschen, dass die neu konzipierte Dauerausstellung noch ein paar Jahre so bleibt - man ist da ja doch ein bisschen eitel. Naja, es bleibt vielleicht auch die Alepposeife. Dass das Museum diese Seife verkauft, war nicht meine Idee, sondern wieder einer dieser Zufälle. Eigentlich besteht mein ganzes Leben aus Zufällen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!