Preis der Leipziger Buchmesse: Eine Portion Publikumsverachtung

Keine Debatte, keine Kategorienwirbel: Die Preisvergabe in Leipzig zeugt von Konservatismus, ausgezeichnet wurde Clemens J. Setz. Der Sieger der Herzen bleibt "Tschick".

Clemens J. Setz freut sich. Der Messepreis ist seiner. Bild: dpa

BERLIN taz | Clemens J. Setz, den Preisträger, sah man dann jede Stunde hinter einer anderen Kamera oder einem anderen Mikrofon. So ein Preis der Leipziger Buchmesse zieht eben einen Marathonlauf an PR-Terminen nach sich, auf denen Setz, erst 28 und bislang recht unbekannt, zugleich noch die Nachwuchshoffnung als auch schon den Champion geben musste. Er tat es sehr höflich, ziemlich selbstbewusst und mit einem leichten Staunen darüber, was ihm da gerade widerfuhr.

Manche sagten, dass Wolfgang Herrndorf den Preis für "Tschick" schon deshalb nicht hatte kriegen können, weil er sich krankheitsbedingt kaum einem solchen Gehetze hätte aussetzen können. Aber dieses Argument kann man nicht akzeptieren; dann wäre der Preis ja wirklich durch und durch das PR-Instrument, das er doch nur nebenbei sein sollte. Und es lag sicher auch an inhaltlichen Erwägungen.

Bei all seiner Jugendlichkeit passt Clemens J. Setz nämlich sehr gut in einen ziemlich strukturkonservativen Begriff des Literaturbetriebs, auf den sich die Jury - die im Wesentlichen aus Zeit-, SZ- und FAZ-Autoren bestand - geeinigt hat. Die Diskussionen in der siebenköpfigen Jury sollen teilweise hitzig, die Abstimmungsergebnisse sollen knapp gewesen sein.

Der Übersetzerpreis ging sicherlich an keine Falsche. Barbara Conrads "Krieg und Frieden" ist großartig. Aber stattdessen hätte man eben auch die Übersetzung eines Zeitgenossen auszeichnen können, etwa Maralde Meyer-Minnemanns Übertragung von António Lobo Antunes Roman "Mein Name ist Legion". Das hat die Jury eben nicht getan. Sie war auf Werthaltigkeit aus.

Beim Sachbuchpreis das Gleiche. Die Jury zeichnete weder das Buch aus, das in eine tobende Debatte eingriff (Patrick Bahners "Die Panikmacher"), noch das Buch, das Horizonte öffnete (Andrea Böhms Kongo-Reportage "Gott und die Krokodile"). Sondern man setzte mit Henning Ritter auf das Modell Alte Meister und eine im Gehäuse ihrer Intellektualität ruhende Gelehrsamkeit. Aus Ritters "Notizheften" lässt sich auch wirklich mancherlei Gewinn ziehen. Aber ein gesellschaftliches Zeichen war der Preis keineswegs.

Weitere Informationen, Podcasts und Videos zum Auftritt der taz auf der Leipziger Buchmesse finden Sie unter www.taz.de/buchmesse.

"Exorzist einer aus den Fugen geratenen Fantasie"

In diese wertkonservativen Muster passt Clemens J. Setz nur auf den ersten Blick nicht hinein. Dass seine Geschichten mit ihren Dunkelheiten und SM-Praktiken "Irritationen auslösten", behauptete nach der Preisverleihung dieser und jener. Tatsächlich aber erfüllen sie Erwartungshaltungen.

"In seiner bewusst artifiziellen, hochverspiegelten Prosa porträtiert sich der Autor als Exorzist einer aus den Fugen geratenen Fantasie", heißt es in der Preisbegründung. So etwas schreiben Juroren gerne, die mit ihrer eigenen Bedeutung beeindrucken wollen. Clemens J. Setz ist eine freundliche Verkörperung der Gestalt eines literarischen Junggenies, die vom Literaturbetrieb immer mal wieder gern entdeckt wird.

Ein Preis für "Tschick" wäre eine Anerkennung für einen entspannten, gleichwohl komplexen Umgang mit literarischen Mustern gewesen und zugleich ein Zeichen dafür, dass man nicht mehr in den Mustern von E- und U-Literatur denkt. Ein Preis für Arno Geigers Buch "Der alte König in seinem Exil" wäre eine Anerkennung dafür gewesen, dass da jemand frei von den Kategoriengrenzen zwischen Literatur und Sachbuch versucht, von schwierigen und teilweise tabubesetzten Erfahrungen zu erzählen.

Dass Geiger den Preis nicht bekam, versteht man; er ist ja schon Buchpreisträger. Aber "Tschick" war das schöne literarische Ereignis der vergangenen Monate; ein Roman, der die Kategorien von Jugend-, Pop- und Hochliteratur großartig durcheinanderwirbelt - übrigens auch bewusst artifiziell, allerdings ohne das so raushängen zu lassen - und nebenbei auch noch ein interessantes Deutschlandporträt liefert. Dass es den Preis nicht bekam, versteht man nicht.

Na ja oder eben doch. Im Umfeld der Messe hörte man von Kritikern auch immer wieder Ansichten, die nahelegen, dass es von vornherein gegen ein Buch spricht, wenn es ein Bestseller ist. Mit so einer Portion Publikumsverachtung lassen sich die Preise tatsächlich erklären. Letztendlich wollte die Jury dem Lesepublikum, so auf die halb pädagogische, halb herablassende Tour, wohl einfach mal zeigen, was eine hochliterarische Harke ist.

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