: Dabei sein ist nicht alles
LERNEN Wie behinderte Kinder in allgemeine Schulen integriert werden können, wollte die Bildungssenatorin in einem Beirat klären lassen. Ein Eigentor, wie sich nun herausstellt
VON ANTJE LANG-LENDORFF UND ALKE WIERTH
Für ihre Offenheit heimste Sandra Scheeres viel Lob ein. Als die SPD-Bildungssenatorin kurz nach ihrem Amtsantritt ankündigte, über die Integration von behinderten Kindern in die allgemeinen Schulen noch einmal grundlegend und vor allem mit den Betroffenen reden zu wollen, bekam sie viel Zuspruch. Am Freitag waren es nun genau jene Betroffenen, die Scheeres scharf kritisierten – ausgerechnet für fehlende Offenheit. Aber der Reihe nach.
Bereits Scheeres’ Vorgänger und Parteigenosse Jürgen Zöllner (SPD) hatte ein Konzept zur Inklusion vorgelegt – also für den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülern. Denn der Senat muss die 2008 in Kraft getretene Konvention der Vereinten Nationen zur gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im Berliner Schulsystem umsetzen.
Um Zöllners Konzept zu überarbeiten, rief Scheeres einen Beirat ins Leben. Der sollte sowohl die Kostenneutralität überdenken als auch mehr Betroffene einbeziehen. Die 20 VertreterInnen aus Senats- und Bezirksverwaltungen, WissenschaftlerInnen, SchulleiterInnen und VertreterInnen von Betroffenenverbänden stellten am Freitag ihre Empfehlungen vor. In vielen Punkten sind sie sich einig: Kinder mit Behinderungen müssten ein im Schulgesetz verankertes Recht auf den Besuch von Regelschulen haben, lautet eine der Empfehlungen. Für deren Förderung sollen PädagogInnen an allgemeinen Schulen fortgebildet werden. „Eine inklusive Schule ist eine, die kein Kind diskriminiert, sondern alle fördert“, fasste Beiratsvorsitzende Sybille Volkholz die Grundidee des Beirats zusammen.
Keine Stigmatisierung
In anderen Fragen wie der Finanzierung jedoch konnten sich die Mitglieder nicht einigen. Scheeres’ Inklusionskonzept sieht vor, dass bestimmte Behinderungen – etwa von den sogenannten LES-Kindern mit Lernproblemen, mit Sprachstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten – nicht mehr als solche diagnostiziert werden. So will sie etwa verhindern, dass Kinder stigmatisiert werden. Statt Förderstunden nach einzelnen Fällen und Diagnosen zu vergeben, will der Senat die Schulen in Zukunft pauschal mit Sonderpädagogen ausstatten. Nach sozialen Kriterien: Da bei Kindern aus armen Familien besonders häufig Beeinträchtigungen auftreten, soll die Förderung vom Anteil der Kinder abhängen, die von Hartz IV leben.
Nun sind es gerade die Eltern- und BehindertenvertreterInnen in Scheeres’ Beirat, die sich von diesem Plan distanzieren – so deutlich, dass dies in der Broschüre des Beirats ausdrücklich vermerkt ist. Ihre Kritik: Mit dieser pauschalen Regelung falle auch der individuelle Rechtsanspruch von LES-Kindern auf Förderung weg, sagte etwa Beiratsmitglied Jürgen Schneider, Landesbeauftrager für Menschen mit Behinderungen. Einzelne Kinder liefen Gefahr, nicht ausreichend unterstützt zu werden.
Ein weiterer Kritikpunkt: Scheeres will die Gelder für die Förderung deckeln. Grundschulen etwa sollen diese für höchstens 5,5 Prozent ihrer Schüler bekommen – egal ob der Anteil von Kindern aus armen Familien darüber liegt. Die damit finanzierbare Zahl von Stunden reiche an vielen Schulen nicht aus, sagte Günter Peiritsch, als Vorsitzender des Landeselternausschusses ebenfalls Beiratsmitglied. „Wohlgemerkt: Wir sind für die Inklusion“, betonte Peiritsch. Scheeres habe das alte Konzept aber gerade wegen der Finanzierung und mangelnder Beteiligung der Betroffenen neu diskutieren wollen. Nun gehe sie selbst möglichst kostensparend vor – trotz der Einwände von Eltern und Behindertenvertretern.
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