Polizeipraxis wird juristisch geprüft: Kamera-Überwachung in der Defensive

Das Bundesverwaltungsgericht überprüft, ob die polizeiliche Befugnis zum präventiven Filmen in öffentlichen Räumen rechtmäßig ist. Anlass ist eine Klage gegen eine der Kameras auf der Reeperbahn.

Kommt auf den Prüfstand: Die Videoüberwachung auf der Hamburger Reeperbahn. Bild: dpa

HAMBURG taz | Wenn an Abenden und Wochenenden Zehntausende über die Reeperbahn in Hamburg-St. Pauli schlendern, sind sie allgegenwärtig. Man hört sie nicht und sie fallen auch nicht auf, wenn sie auf den Masten ihre Ausrichtung ändern und per Zoom-Objektiv einzelne Passanten ins Visier nehmen. Aber den Überwachungskameras entgeht nichts - kein Verstoß gegen das Flaschenverbot, kein Flirt, keine Pöbelei, keine Anmache.

Alja R. ist es im Jahr 2006 nach einigen Monaten Filmerei zu bunt geworden. Die Frau bemerkte, dass die Videokameras auch in ihr Wohnzimmer im zweiten Stock eines Mietshauses an der Reeperbahn blickten und filmten. Alja R. zog vor Gericht und ein langer Weg durch die Instanzen begann.

Nun könnte die Hamburgerin Erfolg haben. Die Videoüberwachung durch die Polizei kommt auf den Prüfstand - auf der Reeperbahn und damit wohl auch andernorts. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ließ die Revision der St. Paulianerin gegen ein Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts zu und gewährte ihr Prozesskostenhilfe wegen der "hinreichenden Aussicht auf Erfolg".

Die Videoüberwachung in Hamburg ist seit Jahren ein Zankapfel.

Zwölf Videoaugen installierte die Polizei im März 2006 auf der Reeperbahn. Basis war das neue Polizeigesetz zur Datenverarbeitung (PolDVG) von 2004.

Ins Visier von fünf Videokameras wurde ab Sommer 2007 auch der Hansaplatz in Hamburg-St. Georg genommen. Inzwischen sind die Kameras wieder abgebaut worden.

Überwachung durch Video taugt nichts, musste im Sommer 2010 Innensenator Heino Vahldieck (CDU) nach einer Wirksamkeitsanalyse zugeben. Zu keinem Zeitpunkt sei die Kriminalitätsrate auf der Reeperbahn gesunken. Im Gegenteil: Sie stieg um 32 Prozent.

Das angestrebte Revisionsverfahren könnte von "grundsätzlicher Bedeutung" sein. Es könnte die Frage beantworten, "ob die offene Bildaufzeichnung im öffentlichen Raum zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge" auf ein Landespolizeigesetz gestützt werden dürfe oder ob die Gesetzgebung des Bundes zum Strafverfahrensrecht ausreiche, sagen die Bundesverwaltungsrichter. Zu beantworten sei auch die Frage, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen zu stellen seien, wenn die Videoüberwachung per Landesgesetz geregelt werden dürfte.

In Hamburg hatte die Polizei im Frühjahr 2006 mit der Videoüberwachung auf der Reeperbahn begonnen. Zwölf schwenkbare und zoombare Videoaugen sind installiert worden, die Bilder wurden live von der Amüsiermeile in das Polizeipräsidium und das Polizeirevier Davidwache gesendet. Dadurch sollten frühzeitig Gefahrensituationen erkannt und die Einsatzkräfte zum Gefahrenort gelenkt werden.

Im Eil- und Hauptverfahren der Klage von Alja R. verpflichtete das Verwaltungsgericht die Polizei, nicht nur eine elektronische Sichtsperre für den Schwenk auf die Fassade von Alja R.s Wohnung zu installieren, sondern wegen der "Manipulationsmöglichkeiten der computergesteuerten Kameras" auch eine mechanische Sichtsperre anzubringen. Mit ihrem Ansinnen, das Filmen ihres Hauseingangs gänzlich zu unterbinden, um beim Betreten und Verlassen des Hauseingangs unbeobachtet zu sein, scheiterte Alja R. zunächst.

Im Jahr 2010 aber sah das Oberverwaltungsgericht die Rechtslage anders. Dass die Kameras vor dem Haus für den Schwenk und Zoom ab dem zweiten Stock blind geschaltet seien, reiche nicht aus. Das Polizeigesetz zur Datenspeicherung in Hamburg lasse lediglich die Videoüberwachung "öffentlicher Straßen, Wege und Plätze" zu, nicht jedoch das Filmen der angrenzenden Geschäfte sowie der Haus- und Kneipeneingänge. "Gerade in Hauseingängen lassen sich Bewegungs- und Kontaktprofile herstellen", sagte der Vorsitzende Richter Joachim Pradel.

Revision ließ das Oberverwaltungsgericht nicht zu und bekam nun den Rüffel aus Leipzig, dass ein Revisionsverfahren erwünscht sei. "Das Gericht will offenkundig grundsätzlich klären, ob das präventive Filmen in öffentlichen Räumen zur Gefahrenabwehr durch die Polizei zulässig ist", sagt Alja R.s Anwalt Dirk Audörsch. "Und das Gericht will klären, ob Hamburg überhaupt die Gesetzgebungskompetenz hat."

Aber selbst wenn, stelle sich die Frage, ob das Hamburger Polizeigesetz die Anforderung des geltenden Bestimmtheitsgrundsatzes erfüllt. Nach diesem muss der Gesetzgeber genau definieren, welche Befugnisse die Polizei hat. "Zurzeit hat die Hamburger Polizei aufgrund von Gefahrenprognose und Lagebeurteilungen die alleinige Definitionsmacht für Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.