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Fotos aus dem KiezErinnerungen an Atlantis

Eine Ausstellung und zwei Bücher erinnern an den 2008 gestorbenen Kreuzberg-Fotografen Ludwig "Nikolai" Menkhoff - und einen versunkenen Stadtteil.

Mercedes-Cabrio in den 70er Jahren in Kreuzberg 36 Bild: Ludwig Menkhoff / Kreuzberg Museum

Verfallende Häuser stehen neben Kriegsruinen, auf dem zerfledderten Plakat einer maoistischen Partei erkennt man noch den Ruf nach einem vereinigten sozialistischen Deutschland. In dieses Kreuzberg der frühen 70er führt uns eine Fotoausstellung des Kreuzberg Museums mit Arbeiten des 2008 verstorbenen Ludwig "Nikolai" Menkhoff.

"Atlantis SO 36" heißt die Schau über einen Kiez noch völlig ohne Glanz und Glamour. Die meisten Touristen machten damals einen großen Bogen um den Kiez, rechte Politiker sprachen von den KreuzbergerInnen als "Anti-BerlinerInnen". Hatten sich doch im Schatten der Mauer Menschen niedergelassen, die gerade der morbide Charme anzog. Sie sind Menkhoffs HeldInnen. Früh gealterte Männer mit Bierflasche gehören ebenso dazu wie Kinder mit migrantischem Hintergrund - zu einer Zeit, als es den Begriff noch nicht gab. Auch die ersten HausbesetzerInnen tauchen auf den Fotos auf. Auf einem Bild schlagen behelmte Polizisten auf einen Mann ein, der schon verletzt am Boden liegt. Am 1. Mai 1980 wurde der Fotograf selbst Opfer von Polizeigewalt, als er mit seinem Freund auf den Heimweg war.

Menkhoff war Teil der Kreuzberger Mischung, die er porträtierte. Auf einer Tafel skizziert der Historiker Erik Steffen das bewegte Leben des Mannes, der den Nazis als "Halbjude" galt und als Soldat in russische Gefangenschaft geriet. Später ging er gegen Neonazis auf die Straße, fuhr zur See und wurde als Schwuler stigmatisiert, bis er in "Atlantis SO 36" landete. Dort war er ständiger Gast in vielen Kneipen und bei Ausstellungseröffnungen. Anfang der 80er versuchte Menkhoff noch einmal den Ausbruch aus Kreuzberg. Doch in Niedersachsen, wo er sich niederließ, wurde er Opfer eines antisemitischen Überfalls. Er kehrte zurück nach Kreuzberg. 1987 stach ihn vor einem Café am Heinrichplatz ein junger Mann im Drogenrausch nieder.

Menkhoff überlebte die Attacke nur knapp, er zog sich zurück und begann Ikonen zu malen. Von Depressionen geplagt, suchte er Trost in der russisch-orthodoxen Religion, zu der sich hingezogen fühlte. Drei Jahre nach seinem Tod ist Menkhoff wieder sehr gefragt, gleich zwei Bücher sind über ihn erschienen. Vielleicht ist es auch die Trauer über einen versunkenen Stadtteil, die das Interesse beflügelt.

Die Ausstellung im Kreuzberg-Museum läuft bis 5. Juni 2011. Das Buch "Stationen sonstiger Augenblicke. Berlin-Kreuzberg: Fotografien" von Ludwig Menkhoff ist im Verlag M erschienen und kostet 24,90 Euro.

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