: Leck in alter US-Plutoniumfabrik
UMWELT Hier wurde einst an den ersten Atombomben der Welt gebaut. Jetzt sickert in Hanford radioaktives Wasser in den Boden. Entsorgung des verseuchten Mülls unklar
VON BERNHARD PÖTTER
BERLIN taz | Schlechte Nachrichten aus dem größten nuklearen Notstandsgebiet der westlichen Welt: Auf dem Gelände der ehemaligen US-Atomwaffenschmiede Hanford im Bundesstaat Washington sickern hochradioaktive Flüssigkeiten in den Boden. Die Nachricht sei „beunruhigend für alle Bewohner unseres Staates“, erklärte der Gouverneur des Staates, Jay Inslee. Aus maroden Tanks dringen derzeit Tausende Liter des verseuchten Gemischs in das bereits stark belastete Erdreich.
Laut Behörden besteht keine konkrete Gefahr für das Grundwasser, da der Columbia River etwa acht Kilometer entfernt ist. Aus 6 von insgesamt 177 Tanks, deren Lebensdauer schon lange überschritten ist, sickern offenbar zwischen 70 und 1.000 Liter pro Jahr in die Erde. Dies hatte der scheidende US-Energieminister Steven Chu mitgeteilt. Bereits vor einer Woche war bekannt geworden, dass ein Tank undicht ist. Eine Analyse ergab nun Hinweise auf weitere löcherige Tanks.
Solche Leckagen sind in Hanford nichts Neues. Auf dem riesigen Gelände im Nordosten der USA, das in einer menschenleeren kargen Gegend liegt und von einem Naturschutzgebiet umgeben ist, stapeln sich seit Jahrzehnten hochradioaktive Abfälle des US-Atomwaffenprogramms. Die Anlage wurde 1943 gebaut, um das Plutonium für die Bombe herzustellen, die Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 über der japanischen Stadt Nagasaki abgeworfen wurde. Im Kalten Krieg wurde in Hanford bis 1987 weiter Plutonium für Atomwaffen produziert. In unterirdischen Tanks wurden die hochradioaktiven Abfälle des Programms gelagert. 1989 übernahm das US-Energieministerium das Gelände. Seitdem läuft die Debatte, wie und zu welchen Kosten es zu sanieren sei. Der flüssige Atommüll soll zur Endlagerung verfestigt werden, das weitläufig verseuchte Erdreich muss saniert werden.
Aber es gibt auch in den USA kein Endlager. Und den Bau einer Entsorgungsanlage in Hanford hat das Energieministerium 2000 nach drei Versuchen an eine Privatfirma Bechtel übergeben. Seitdem sind die Kosten von etwa 4 auf 13 Milliarden Dollar explodiert.
Im Dezember warnte der US-Rechnungshof erneut: Es solle kein Geld fließen, ehe nicht Kosten und Methoden der Sanierung geklärt seien. Noch ist unklar, ob es überhaupt Lösungen gibt: Es bleibe „eine Herausforderung, eine Technologie zu entwickeln, die verhindert, dass der flüssige Abfall explodiert“ und zur Endlagerung vorbereitet werde. Es sei unklar, wie das Durchrosten der Tanks verhindert werden könne, heißt es von der Behörde. Außerdem sei ungelöst, wie die Entstehung von brennbarem Wasserstoff in den Tanks verhindert werden könne. Der Zeitplan für den Beginn der Arbeiten habe sich inzwischen um fast ein Jahrzehnt auf derzeit 2019 verschoben. „Signifikante zusätzliche Kosten und eine weitere Verschiebung des Zeitplans sind wahrscheinlich, weil das Energieministerium die technischen Herausforderungen des Projekts noch nicht vollständig gelöst hat“, schreiben die Rechnungsprüfer.
Ein ähnlich vernichtendes Zeugnis hatte letzte Woche auch der britische Rechnungshof den Betreibern der Atomanlage in Sellafield ausgestellt: Der Zeitplan für die Sanierung werde nicht eingehalten, und die Kosten seien auf über 100 Milliarden Dollar gestiegen, ohne dass ein Ende in Sicht sei.
Die ungeklärte Finanzierung des Projekts in Hanford könnte auch der Grund für die aktuelle Aufregung über die vergleichsweise geringe Verseuchung durch die leckenden Tanks sein. Denn im Zuge der Blockade des US-Bundeshaushalts sollten auch bis zu 1000 Stellen in Hanford gestrichen oder blockiert werden.
Beobachter in Washington vermuten, dass Gouverneur Inslee die Nachricht von den neuen Lecks deshalb nicht ungelegen kam, um sich Bundesmittel für seinen Staat zu sichern.