Kolumne Macht: Wie viel Anschläge, Frollein?

Bankenstresstest, Atomstresstest und der Stresstest zum Stuttgarter Tiefbahnhof: naiv und totalitär. Denn entscheidend ist nicht nur, was hinten rauskommt.

Stresstest ist ein wunderbares Wort. Verlässlich und verbindlich hört es sich an. Es klingt so, als solle man sich so einem Test endlich selbst einmal unterziehen, um die eigenen Schwachstellen analysiert zu bekommen und zu erfahren, welches Schräubchen ausgetauscht werden muss, will man perfekt funktionieren. Das Wort würde auch gut zu einem EKG, zu einer Führerscheinprüfung oder zu einem Bewerbungsgespräch vergangener Tage passen: "Wie viel Anschläge schaffen Sie denn pro Minute, Fräulein Müller?" Das Wort Stresstest signalisiert die unbestechliche Analyse objektiven Datenmaterials und passt deshalb zu vielem. Zu etwas aber passt es nicht: zu einer politischen Entscheidung. Diese bedeutet nämlich immer eine Festlegung - auf eine von mehreren Möglichkeiten.

Wer anderes glaubt, legt damit ein totalitäres Verständnis von Politik an den Tag, ob beabsichtigt oder nicht. Wenngleich man es natürlich als Fortschritt betrachten kann, dass Mächtige sich überhaupt gezwungen sehen, ihre Beschlüsse zu rechtfertigen. Jahrhundertelang entband das Gottesgnadentum - also die Überzeugung, alle Entscheidungen eines Herrschers entsprächen punktgenau dem Willen Gottes - immer mal wieder Regenten von der lästigen Aufgabe, ihr Handeln zu legitimieren. In Frankreich, in Bayern, in Russland. Zum Beispiel.

Zeitsprung. Der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder bezeichnete die Koordinaten seiner Politik gerne als "alternativlos", seine Nachfolgerin Angela Merkel probiert das auch gelegentlich. Diesem Versuch liegt nicht der Glaube an eine übergeordnete Macht zugrunde, sondern die - möglicherweise vorgetäuschte - Ansicht, es gebe für jede anstehende Entscheidung eine und nur eine Lösung, die dem gesunden Menschenverstand entspreche und deshalb richtig sein müsse. Also objektiv im Interesse der Allgemeinheit liege. Als ob es in einem Gemeinwesen keine unterschiedlichen Interessen gäbe. Dramatischer lässt sich das Gedankengut der Aufklärung nicht missverstehen, das auf die Vernunft als letzte Instanz setzt.

Demonstranten, die allein der Macht der Straße vertrauen, hängen einer ähnlichen Denkungsart an. Sie glauben, dass die Öffentlichkeit nur zu einer einzigen Schlussfolgerung gelangen könne, wenn diese endlich über alle Fakten informiert werde. Auch diese Überzeugung ist totalitär - oder naiv.

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Heiner Geißler, der große, alte Demagoge der CDU, ist weder naiv noch totalitär. Er wusste stets, dass schon allein die Bereitschaft, miteinander ins Gespräch zu kommen, denjenigen hilft, die ein Projekt planen. Wer dagegen ist, muss sich entweder vollständig verweigern - was niemals kleidsam ist - oder eben eine grundsätzliche Bereitschaft zeigen, dem Projekt unter bestimmten Bedingungen zuzustimmen. Im Hinblick auf Stuttgart 21 heißt das: In dem Augenblick, in dem die moderierten Gespräche begannen, hatte die Bahn gewonnen. Von Stund an ging es nur noch um Details.

Banken werden einem Stresstest unterzogen, der geplante Tiefbahnhof in Stuttgart eben auch und in Japan sollen nach der Katastrophe von Fukushima nun die Atomkraftwerke zeigen, was sie können. Hat irgendjemand Zweifel daran, was bei dem Test herauskommen wird? Entscheidend ist eben nicht nur, was hinten rauskommt. Sondern auch, was vorne reingestopft wird. Genau das ist Politik. Warum um alles in der Welt begreifen die Grünen das erst jetzt?

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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