Explosion im Munitionslager: Turkmenischer Sommer
Ein Waffendepot explodiert, über tausend Menschen sollen gestorben sein. Diesmal kann selbst das autoritäre Regime den Vorfall nicht leugnen.
Das muss wie im Krieg gewesen sein: gigantische Explosionen, Feuerbälle, die pilzförmig über mehrstöckige Wohnhäuser in den Himmel wuchsen. In der turkmenischen Stadt Abadan ereignete sich ein Inferno.
Abadan unweit der turkmenischen Hauptstadt Aschgabat ist Sitz einer Kaserne mit riesigem Waffen- und Munitionsdepot. Gegen 16.45 Uhr Ortszeit am 7. Juli brach ein Feuer aus. Bis in den Morgen reihten sich Explosionen an Explosionen, deren Feuerkegel waren bis in die Hauptstadt zu sehen.
Das brennende Munitionslager mit sich entzündeten Raketen muss wie ein verheerendes Feuerwerk für den Betrachter ausgesehen haben. Die Sprengkraft aber zerstörte auch noch die Wohnhäuser in der Gegend.
Die turkmenische Regierung reagierte auf die Katastrophe, wie es Despotien tun. Die Welt und vor allem die eigene Bevölkerung sollte von der Katastrophe, die sich unweit der Hauptstadt abspielte, nichts erfahren. Doch diesmal ging der Plan der Macht in dem zentralasiatischen Land am Kaspischen Meer nicht auf. Mit Nachrichten übers Internet wehrten sich die Menschen.
Ein bizarrer Personenkult
Die ehemalige Sowjetrepublik hat viele Ähnlichkeiten mit Nordkorea. Der erste Präsident nach dem Zerfall der Sowjetunion, Saparmurat Nijasow "Turkmenbaschi", überzog das Land mit einem bizarren Personenkult. Bis zu dessen Tod drehte sich dessen goldene Statue mit der Sonne, das Land war übersät mit Denkmälern von ihm, der Mutter und dessen Lieblingspferd. Monate wurden nach den Familienmitgliedern genannt, und jeder Student und Fahrschüler musste zur Prüfung die Bibel des großen Führers der Turkmenen auswendig lernen.
Als Nijasow Ende 2006 starb, übernahm dessen Zahnarzt, Gurbanguly Berdymuchammedow, das Ruder. Er verzichtete zwar auf die absurdesten Auswüchse seines Vorgängers, ließ wieder Oper und Konzerte zu und öffnete die von Nijasow geschlossenen Krankenhäuser in den Provinzen. Doch Staat und Gesellschaft blieben weiterhin unter strikte Kontrolle.
In Turkmenistan gibt es keine Opposition und keine unabhängigen Medien. Und die Macht bestimmt, was wahr und was falsch ist. Die Katastrophe von Abadan durfte nicht passiert sein.
Trotz der bizarren Machtausübung ist Turkmenistan Partner des Westens. Das Land sitzt auf einem gewaltigen Gasvorkommen, und Europa will dieses für die Energieversorgung abschöpfen. Bundeskanzlerin Angela Merkel traf 2010 im Rahmen eines Gipfeltreffens den turkmenischen Herrscher zu einem Tête-à-Tête. Dabei soll Berdymuchammedow deutlich angetrunken gewesen sein, heißt es.
Reglementierte virtuelle Welt
Der erste turkmenische Präsident, Nijasow, hatte die private Nutzung des Internets noch untersagt. Nach dessen Tod konnten Turkmenen Internet, wenn auch teuer und langsam, bekommen. Internetcafés entstanden, und über Mobiltelefone konnten die Menschen surfen.
Die virtuelle Welt in Turkmenistan bleibt jedoch reglementiert. Im Internetcafé muss der Nutzer zuvor einen Pass vorzeigen, kritischen Seiten sind gesperrt, auch Twitter und Facebook lassen sich in Turkmenistan nicht öffnen. Nur knapp 1,6 Prozent der Turkmenen verfügt über einen Internetzugang, eine verschwindend kleine Zahl. Sie reichte aus, um die Regierung herauszufordern.
Von Wien aus betreibt der Turkmene Farid Tukhbatullin die Webseite "Chronicles of Turkmenistan". 2002 wurde der heute 50-jährige Ingenieur, der sich für Menschenrechte und Umwelt engagierte, in Turkmenistan verhaftet. Nach internationalen Protesten kam er 2003 frei und floh nach Österreich ins Exil. Dort betreibt er die Webseite, die auch von der Soros Foundation unterstützt wird. Er hat einige Mitarbeiter im Land, die ihn unter Lebensgefahr mit Informationen versorgen.
"Chronicles of Turkmenistan" berichtete am Donnerstag als Erstes von den Explosionen: nur Text. Doch dann geschah etwas Neues. "Ich bekam aus Turkmenistan Fotos, Filmmaterial und Augenzeugenberichte von mir unbekannten Menschen zugesandt", sagte der Turkmene. Die Regierung schaltete nach dem Unfall immer wieder das Internet ab. Doch die Bilder der Katastrophe kamen heraus, und die Internetseite in Wien publizierte sie. Aber nicht nur "Chronicles of Turkmenistan" erhielt Informationen. Fotos und Zeugenberichte erschienen in russischen sozialen Netzwerken, andere außerhalb Turkmenistans registrierte Webseiten erhielten Videos und Augenzeugenberichten.
Russische TV-Sender erreichen die Bevölkerung
Russische TV-Sender griffen die Videos auf. Die Exilseite aus Wien hat nur einige tausend Zugriffe am Tag, in Turkmenistan ist sie gesperrt. Das russische Fernsehen erreicht aber die turkmenische Bevölkerung. Denn es gibt dort kaum ein Haus ohne Satellitenschüsseln.
Für den Experten für interaktive Medien des Hans-Bredow-Instituts in Hamburg, Jan-Hinrik Schmidt, liegt darin der entscheidende Moment. "Selbst bei geringer Verbreitung von Informationstechniken werden Zensurbemühungen eines noch so totalitär herrschenden Staates durchbrochen, vor allem wenn die Informationen von klassischen Medien aufgegriffen und verbreitet werden", sagte er der taz. Sonst könnten das Internet und soziale Netzwerke nur Aktivierungsprozesse auslösen, wenn neben der Internetverbreitung eine hohe Vernetzung der Nutzer dazukomme, was in Turkmenistan nicht der Fall sei.
"Eine Handvoll von Turkmenen hat die Informationsblockade der Regierung gebrochen", sagt der Turkmene. Die Welt und die Menschen im Land erfuhren von der Katastrophe. Fotos und Filme mit Feuerpilzen, zerstörten Häuserfassaden und Raketenteilen auf den Straßen von Abadan landeten für die turkmenische Macht unkontrollierbar im Netz. Tippt man in Suchmaschinen auf kyrillisch Abadan ein, finden sich die Zeugnisse der Zerstörung. Im Netz gibt es auch Satellitenaufnahmen, auf denen zu sehen ist, wie aus dem Munitionslager ein von schwarzen Explosionskratern durchlöchertes Schlachtfeld wurde. Alle Gebäude auf dem Gelände wurden restlos zerstört.
Der turkmenische Staat war empört. Er beschwerte sich bei der russischen Regierung wegen der Desinformationskampagne des russischen Fernsehens. Anfänglich ließ Turkmenistan verlauten, ein Feuer sei lediglich in einer Fabrik für Feuerwerkskörper ausgebrochen, und es gebe keine Toten. Später sprach die Regierungsseite von 15 Opfern.
Eine Internetseite nennt eine genaue Zahl: 1.382 Tote
In Abadan beschlagnahmt die Macht Mobiltelefone. Aber das sind Rückzugsgefechte, die Informationen sind draußen. Soldatenmütter aus dem ganzen Land reisen nach Abadan auf der Suche nach ihren verschollenen Söhnen in der dortigen Kaserne.
Die Internetseite des Turkmenen in Wien nennt eine genaue Zahl: 1.382 Tote. Die Seite bezieht sich auf eine gut informierte Quellen, über ein Drittel der Opfer sollen Kinder sein. All die Toten haben Familie, Verwandte und Freunde, und diese wissen nun, wie der Staat sie belog. "Das, was passiert ist, ist ein kleiner Informationsaufstand", kommentiert Tukhbatullin den Nachrichtenfluss, der Eingang ins russische Fernsehen erhielt.
Könnte das der Beginn eines arabischen Frühlings in Zentralasien sein? Dort haben Fotos einer Selbstverbrennung eine Revolution ausgelöst. In Turkmenistan ging eine ganze Stadt in Flammen auf. Der bisher allein herrschende Präsident bot kurz nach der Katastrophe an, dass die im Exil befindliche Opposition bei den nächsten Präsidentschaftswahlen teilnehmen könnte. Alles nur Rhetorik?
Andrea Schmitz von der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin ist skeptisch. "Die staatliche Kontrolle funktioniert immer noch sehr gut", sagt die Zentralasienexpertin der taz, und es sehe nicht danach aus, dass das Regime die Informationspolitik ändere. "Ein Informationsaufstand würde voraussetzen, dass es eine Kommunikationsinfrastruktur gibt, die die Aggregation von öffentlicher Meinung ermöglicht", sagt Schmitz, doch eine solche wäre in Turkmenistan nicht vorhanden, und die Regierung setze alles daran, dass das auch so bleibe.
Wie dem auch sei, eine Handvoll Netznutzer haben das turkmenische Regime und dessen Nachrichtenblockade über die Katastrophe ausgekontert. Für den Turkmenen in Wien ist das ein Anfang.
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