Die Zukunft der USA: Eine Nation lernt das Zweifeln
Egal ob Barack Obama und die Republikaner den US-Staatsbankrott am 2. August verhindern oder geschehen lassen, ihr Land wird nicht mehr das gleiche sein.
BERLIN taz | Und vielleicht passiert es ja doch. Das Undenkbare. Vielleicht nimmt das Land der unbegrenzten Möglichkeit sich in diesem Sommer mal ganz anders beim Wort und lässt zu, was bisher die Grenzen des Vorstellbaren sprengte. Vielleicht nehmen die Verantwortlichen in Kauf, die USA aus politischem Kalkül heraus in den wirtschaftlichen Zusammenbruch zu führen, die Schuldengrenze nicht zu erhöhen und damit den Staatsbankrott auszurufen.
Vielleicht. Vielleicht und immer noch einigermaßen sehr wahrscheinlich raufen sie sich in letzter Minute dann aber doch noch zusammen. Irgendwie. Der Bruch ist trotzdem da. Und irgendwas wird anders sein und bleiben. Denn neu ist dieses Mal nicht nur, dass der Bankrott des Landes wirklich möglich scheint. Anders ist, dass die Amerikaner zweifeln in einem Ausmaß, das die Nation in ihren Grundfesten zu erschüttern scheint.
Es ist, als gäbe es ein großes Erwachen aus diesem "American Dream". Als sei dieses "Yes we can", dieses "Wenn mein Nachbar einen großen roten Truck fährt, dann steht mir das auch zu, und meiner ist dann ein bisschen größer, und das Rot ein bisschen röter" plötzlich zu Ende und nicht mehr wahr.
Die USA werden täglich Zeuge davon, wie die Inkarnation, die Menschwerdung des "Alles geht, wenn du nur willst", wie Barack Obama grauer, schwächer und hoffnungsloser scheint. Selbst die Tötung des Erzfeindes Osama bin Laden hat ihm nur ganz kurzfristig wieder Glanz gegeben, etwas von dieser Siegeraura, mit der der brillante Wahlkämpfer den Herzen Hoffnung gab.
Was aber wird dieses Riesenland, diese Multikulti-Nation zusammenhalten, wenn es weder die Identität als heilbringende Großmacht noch der Glaube daran ist, dass der Tellerwäscher es bis ganz nach oben schaffen kann. Was, wenn die Menschen auch von Fox News nicht mehr davon abgehalten werden zu kapieren, dass Amerika schon lange ein brutales Zweiklassenland ist. Und immer mehr eben verdammt überhaupt gar keine Chance und viele schon verloren haben, bevor sie überhaupt geboren sind. Und dass der erste schwarze Präsident nicht zu befrieden vermag, sondern im Gegenteil das Land polarisiert ist, wie lange nicht, und eine erschütternde rassistische Durchdrungenheit offenbart.
Was, wenn die Leute anfangen, sich wirklich aufzuregen darüber, dass die New York Times an dem Dienstag, an dem der Präsident der Vereinigten Staaten verkündet hat, dass es wieder nichts geworden ist mit einer Rettung aus der Schuldenkrise, wenn an einem solchen Tag das Blatt der Eliten aufmacht mit Geschichten, die beschreiben, wie Eltern ihre Kinder mit Jets ins Sommerlager fliegen lassen, Reiche in Los Angeles Helikopter benutzen, um dem Verkehrschaos zu entkommen, und wie in New York zunehmend Fitness-Center in Privatwohnungen gebaut werden. Was, wenn das Volk sagt, es reicht?
Die Zukunft Amerikas ist nicht vorbei. Und wird selbst dann nicht vorbei sein, wenn das Land am 2. August die Zahlungsunfähigkeit erklären muss. Aber Amerika wird sich von vielen Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten seiner Vergangenheit verabschieden müssen. Bad News für manche Amerikaner, keine Frage. Aber nicht für alle. Und bestimmt nicht für die ganze Welt.
Leser*innenkommentare
Yannick Mantsch
Gast
Ich denke zwar schon, dass die USA ein großartiges
Land sind; dies liegt aber, angesichts der zurzeit
herrschenden Weltlage, besonders betreffend die USA,
im Auge des Betrachters. Selbst ich, ein offen
bekennender Fan des us-amerikanischen Verständnisses von Freiheit, will und muss auch zugeben, dass die
USA in den vergangenen zehn Jahren teilweise nur rein
zu verachtende Handlungen begangen haben. Sowohl
unter Bush, als auch unter Obama waren und sind die
USA eines der großen Problemkinder der Weltgemeinschaft, da es allen Alternativen, für eine
bessere Wegbeschreitung Richtung bessere Welt, trozt
und stets ihren Solokurs einschlagen; einige andere
Länder der Welt sind da aber auch nicht anders.
Die US-Amerikaner sind immer zweifelnder gegenüber
ihrer Regierung in Washington D.C., weil nichts
Ernsthaftes zur Situationsverbesserung unternommen
wird. Der Grund dafür, dass die USA zurzeit in dieser
Situation stecken, liegt einfach daran, dass sie als
eine der ältesten Demokratien der Welt (inzwischen
genaue 224 Jahre!) eingerostet und eingefahren sind.
Verkrustete, alte Normen, typische, berechenbare
Regierungspraxen, die irgendwie nicht mehr ganz
gemeinwohlorientiert sind, eine teilweise nicht mehr
zeitgemäße Verfassung, ein durch Korruption,Amtsmiss-
brauch und Reformunwilligkeit gestocktes Staatssystem
und das monströse nationale Selbstbewusstsein der US-Amerikaner sind höchstwahrscheinliche Gründe für die
heutige Identitätskrise auf der anderen Seite des
großen Teiches.
Auch vor mehr als zehn Jahren haben die US-Amerikaner
noch gewaltige Fehler begangen, aber welches Volk
auf der Welt hat dies nicht! Das perfekte Volk, den
perfekten Staat gab es nie, gibt es nicht und wird
es auch nie geben (Perfektion von 100 Prozent gemeint)! Die mögliche Antwort auf die Krise in den
USA: Fundamentale Veränderungen! Die Freiheit, die
die US-Amerikaner genießen, kann ja meinetwegen
erhalten bleiben, aber an Gesellschaft, Politik
und Wirtschaft muss wieder heftig gefeilt werden,
bis ins Detail, da die USA, so wie sie jetzt arbeiten, nicht mehr lange so funktionieren können.
Fundamentale Veränderungen sind überaus wichtig,
doch davor schrecken ganz bestimmt die meisten
US-Bürger schreckhaft zurück, wie eine Katze
(bequemlich) vor dem Furz eines Stinktiers (unangenehm). Deshalb wird es Zeit, einige grundlegende Konzepte in den USA gewaltig zu überdenken, denn der frische Wind der Veränderung
weht vom Meer, und wenn die US-Amerikaner es tatsächlich wagen, etwas grundlegend in ihrem Land
zu verändern, dann spricht Obamas Wahlspruch:
"YES WE CAN!" wahre Taten.
Nike
Gast
Hier in Europa das Massaker in Norwegen - ein Mensch ist so überzeugt davon, dass er die Welt (oder das Abendland oder ...) durch seine Taten retten muss /// dort die USA in der Obama von vielen (in Europa von noch mehr) zum Retter der
Welt stilisiert wird/wurde
... Das sind im Endeffekt zwei Seiten einer Medaillie. Auf der einen Seite zu glauben, dass jemand (Christus auf dessen Wiederkehr die Christen ja schon 2000 Jahre warten) uns retten muss ... und auf der anderen Seite die empfundene Verantwortung für die ganze Welt (die über die Verzweiflung, dass man die Welt nicht ändern kann, in größenwahnsinnige Phantasien führen kann.Je nachdem von welcher Seite man sich der Medaillie nähert neigt man eher dazu jemanden als Retter zu stilisieren (und dann maßlos enttäuscht zu sein, wenn er es doch nicht schafft) oder ...
... lasst uns die Welt doch systemisch sehen ... Menschen und damit die Welt bestehen aus rückgekoppelten Systemen
... das alte Sprichwort stimmt noch immer: wie man in den Wald (die Welt) hineinschreit, so kommt es zurück.
Aggression erzeugt Gegenaggression ... Druck erzeugt GegendrucK ... ein Teufelskreis ... hören wir auf damit !!!!!
Berni
Gast
Die USA befinden sich auf dem Weg von der Demokratie zur Oligarchie.
Und das schon seit Mitte/Ende der 70er.
Definitv liegt die Elite und die seitdem installierten Regierungen zusammen im Bett.
Man muss bedenkten, das die Politzwerge Boehner und Palin sicherlich das entstehende Chaos nach dem Bankrott für sich nutzen wollen um ihre ganz eigene Right-Wing Diktatur aufzubauen. Man sollte das nicht auf die leichte Schulter nehmen: Die Tea-Party baut ihre Grundsätze auf dem Alten Testament auf.
Obama ist der Erste der es aufnehmen will mit der Verquickung Kapital/Staat. Seine grösste Leistung wird dann sein oben genanntes Science-Fiction Szenario zu verhindern.
Volker Reichelt
Gast
Es sieht gerade eher so aus, als ob zumindest die Tea Party Leute die Pleite wollen.
Und es gibt einen einigermaßen rationalen Grund dafür: Peak Oil. Ein weiterer Anstieg der Ölpreise - wie er im letzten Bericht des Internationalen Währungsfonds prodnostiziert wird - führt dazu, dass Zinsen nicht durch weiteres Wachstum bezahlt werden können. Das würde zu massiven Kontraktionen in der Weltwirtschaft führen und die USA als größter Ölverbraucher mit der geringsten Effizienz wären wohl am stärksten betroffen.
Eine Staatspleite der USA wäre demgegnüber zwar peinlich. Aber einerseits würde sie auch die Schulden entwerten. Vor allem aber würde die hierdurch ausgelöste weltweite Rezession - die ja auch den Ölbedarf zumnächst wieder mindert - die Konsequenzen von Peak Oil verdecken.
Das ist ähnlich rational wie ein Drogensüchtiger, der eine Schlägerei vom Zaun bricht, um seine Sucht zu verdecken. Extrem destruktiv aber kurzfristig betrachtet durchaus rational.
franz
Gast
Und nach 20 Jahren wird sich herausstellen, dass
Murdochs Ehefrau eine chinesische Spionin
war, die ihren trotteligen Ehemann den
Aufbau einer übervertrottelten
republikanischen Avantgarde nahelegte- der
Boston Teaparty.
Und dann hat China, gönnerhaft von den USA
nach dem Zusammenbruch des eisernen Vorhangs
unterstützt, die offizielle Vorherrschaft
über den Kapitalverkehr in der Welt,
über das Militär und etliches andere.
Und warum, weil nach 9/11 die USA wie
ein tobsüchtiger Kläffer an Leine
und Stachelhalsband einer Katze (Chinesen+
islamische Fundamentalisten) hinterherjagen
und dabei alle intelligente demokratische
Verfassungsprinzipien aufgaben(
Unabhängigkeit und Wirksamkeit der Verfassungsorgane, echte Kontrolle
der Handelsinstitutionen). Es hat derart viel
Geld in den Anti-Drogen-Krieg, den Afghanistan-Krieg, den Irakkrieg, den Libyenkrieg versenkt
und dabei defacto die Handelschranken zum
Dumpingproduzenten China komplett eingerissen
und die Förderung demokratischer Entwicklungsländer
vernachlässigt. Zum Teil trifft dieselbe Kritik
auf die EU zu.
Wozu taugen eigentlich diese hochqualifizierten
Berater eigentlich?
Das von Drogen und Alkohol zerfressene
Establishments Amerikas ist nicht in der Lage
dieses Land vernünftig zu regieren.
Es ist traurig nichts über die Entwicklung
in den ehemaligen Kriegsregionen zu erfahren.
dillinger
Gast
Amerika ein "brutales Zweiklassenland"? Welches sind denn diese zwei Klassen? Die Reichen und die Nichtreichen? Dann wäre ja Deutschland, dann wäre ja fast jedes Land auf dieser Erde ein Zweiklassenland.
Davon abgesehen besteht ein riesiger Unterschied zwischen einem solchen Amerikaner, der ein Jahreseinkommen von, sagen wir einmal 80.000 Dollar hat, und einem solchen, der 18.000 per annum verdient. Reich sind beide nicht, aber der eine kommt der Armut ziemlich nahe, der andere gehört der Mittelschicht an. Und eine Mittelschicht gibt es in den USA weiterhin, ob es dem Taz-Autor nun gefällt oder nicht.
matty
Gast
Sehr guter Artikel
Olidiehm
Gast
"die Zukunft von Amerika"
ich würde es begrüssen, wenn die TAZ die Tatsache anerkennen würde, dass Amerika ein Doppelkontinent mitweit über 30 unabhängigen Staaten ist.
Der Bericht ist wohl über den US Präsidenten und sein Land.
E.A.
Gast
Georg Bush hat dieses Land mit völlig desolatem Haushalt, aufgeblähtem Militär und einer korrupten Politikerelite hinterlassen.... Und Obama ist leider auch nicht konsequent genug, das schrittweise zu beenden.
Branko
Gast
Blöd ist, daß die Menschen das nicht als Ergebnis jahrzehntelanger Problem-Aufschieberei, und damit durchaus in gewissem Maß selbstverschuldet verstehen sondern als 'Versagen der Demokraten unter Obama' werten werden.