: Kreativ Buch geführt
VON CHRISTIAN FÜLLER
Wer „Heulen und Zähneklappern“ (Roland Koch) befürchtet hatte, lag falsch. Die Finanzphilosophie der neuen Regierung heißt: verkaufen, verschieben, vereinnahmen. Das zeigt die jetzt bekannt gewordene Liste zur Sanierung des völlig überschuldeten Bundesetats. Danach wird Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) die Verkäufe von Staatsvermögen deutlich erhöhen – und über die ganze Wahlperiode strecken.
Zugleich sollen, wie erwartet, über 46 Milliarden Euro über Steuererhöhungen eingenommen werden. SPD-Chef Matthias Platzeck bestätigte die Liste im Wesentlichen. „Das stimmt in Teilen, ja.“ Finanzexperten der großen Koalition verwiesen darauf, dass es sich um die Fortentwicklung eines Koalitionspapiers, aber nicht um ein Gesetz handle. Gleichwohl gilt die Umsetzung als wahrscheinlich, denn das Papier zeigt erstmals, wie die Gesamtbilanz der kommenden Jahre aussehen könnte: nach allen Seiten abgepuffert. Die Regierung Merkel senkt die Ausgaben eher moderat, sie erhöht die Einnahmen kräftig, sie nimmt abnehmend Schulden auf – aber sie will auch mehr investieren in Familie, Forschung und Verkehr.
Die Koalition von Union und SPD erwartet 54 Milliarden Euro aus Verkäufen von Bundeseigentum, etwa von Anteilen der Telekom und der Post. Das Verteilen dieser Gewinne über alle Etats bis 2009 ist ein Akt der kreativen Buchführung. Dies bringt das Budget 2006, wo das Gros der Verkäufe bisher verbucht war, zwar völlig aus dem Gleichgewicht. Die Bundesregierung verschafft sich aber gleichzeitig Luft für ihre mittelfristige Sanierung. Denn das Manöver mildert die Einsparnotwendigkeiten in den Jahren 2007 bis 2009 erheblich.
Die Aktion hat allerdings einen gravierenden Nachteil: Sie versaut den Bundeshaushalt 2006, weil dort nun satte 41 Milliarden Euro neuer Schulden anfallen. Dafür hat die Koalition bereits bis zum Bundespräsidenten hinauf Rüffel bekommen. Zur Erinnerung: Steinbrücks Vorgänger Hans Eichel hatte 2006 stets als magisches Datum angepriesen, weil er da erstmals ohne neue Schulden auskommen wollte. Nun wird ein neues Ziel ausgegeben: 2007 will die Regierung die Schuldengrenze des Grundgesetzes einhalten (mehr Investitionen als neue Schulden) – und auch die EU-Defizitgrenze von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts endlich wieder einhalten.
In den Regierungsfraktionen hieß es zur neuen Schuldenarithmetik: „Das ist keine Finanzakrobatik, sondern nimmt Rücksicht auf die Gegebenheiten.“ Niemand könne eine Lücke von über 30 Milliarden Euro zwischen Ausgaben und Einnahmen „über Nacht ausgleichen“. Die Opposition kritisierte das Budget schlicht als Feigheit. „Da fehlt die Bereitschaft, sich an den Abbau von Subventionen heranzutrauen“, sagte die grüne Fraktionschefin Renate Künast der taz.
Richtig hingelangt wird nun nur bei den Beamten. Und auch da tut es streng genommen nicht weh: Die Regierung will 8.000 Beamtenstellen abbauen. Weil man Beamte bekanntlich nicht entlassen kann, wird kein Staatsdiener heulen oder mit den Zähnen klappern. Allerdings müssen die Bundesbeamten dafür eine Stunde länger arbeiten (siehe Inland Seite 6).
Die Bundeskanzlerin verteidigte die Kürzung sogleich. „Darum kommen wir bei den Beamten des Bundes nicht herum“, sagte Angela Merkel. Tatsächlich haben die Landesbeamten ähnliche Einschnitte bereits hinter sich gebracht. Merkel verteidigte auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die Koalition habe sich schweren Herzens dazu entschlossen.
Konnte die Regierung anderes tun? Den Zahlen des Finanzministeriums zufolge wäre die Operation Haushaltsausgleich ohne den Steueraufschlag, den alle Bürger täglich beim Warenkauf bezahlen, nicht möglich gewesen: Aus der Mehrwertsteuer stammen ab 2007 jährlich 8 Milliarden Euro.