Stasi-Doku zum Tag der Einheit: Das andere Deutschland

Fernsehen am Tag der Deutschen Einheit: Ein überzeugender Dokumentarfilm über die "Feindberührung" eines IM mit seinem Opfer (3. 10., 00.20 Uhr, ZDF).

Nach der Bespitzelung durch seinen Freund Rosinger (l.) musste Peter Wulkau (r.) ins Gefängnis und wurde schließlich aus der DDR ausgewiesen. Bild: ZDF / Olaf Hirschberg

Potenzial hatte die DDR nicht zuletzt auf dem Feld der Komik. Wer, wie der Verfasser, fern von ihr aufgewachsen ist und sie nur gelegentlich besucht hat, dem musste schon das Gehabe der Grenzpolizisten sehr komisch vorkommen. Wer hingegen in der DDR aufgewachsen ist und sich nicht begeistern und auch nicht arrangieren wollte, dem sollte das Lachen mitunter im Halse stecken bleiben. Die so komisch waren, verstanden nämlich keinen Spaß.

Sie verstanden nicht, dass ein Staat sich zur Lachnummer macht, wenn er Hunderttausende seiner Bürger veranlasst, über ihre Freunde und Nachbarn und Familienmitglieder schriftliche Berichte möglichst nachteiligen Inhalts abzufassen. Sätze zu formulieren wie diese: "Die Atmosphäre, in welcher der Wulkau aufwuchs, war nicht sehr gut. Die Mutter, Spitzname ,Schönheit', legt übertriebenen Wert auf ihr Äußeres und wirkt daher billig. Der Vater ist der Werner Wulkau. Diesen hatte sie vermutlich zu viel kommandiert."

Der Klassenstandpunkt

"Der Wulkau", Peter Wulkau, war so einer, der sich nicht begeistern und auch nicht arrangieren wollte. Zwar war er sehr begabt und hatte sich folglich an der Universität in der sozialistischen Königsdisziplin Marxismus-Leninismus immatrikuliert, doch bald erwies es sich, "dass der Wulkau die führende Rolle der Arbeiterklasse in Frage stellt und bürgerliche Literatur, die im Studium nicht verlangt wird, liest". Kurz, er "zeigte sein Unvermögen, an alle Fragen vom Klassenstandpunkt heranzugehen und sie von da aus zu lösen". So sorgten sich seine Professoren und Kommilitonen und schrieben es gleich ordentlich auf. Die Frage des Peter Wulkau löste die DDR, indem sie ihn exmatrikulierte, der führenden Rolle der Arbeiterklasse gemäß vom Studenten zum Chemiefacharbeiter beförderte und jahrelang insgesamt 39 Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit ein wachsames Auge auf ihn haben ließ. Schließlich wurde er, als letzte Hoffnung auf Resozialisierung - vom Klassenstandpunkt aus - in die Haftanstalt verbracht.

Wulkau steht so exemplarisch für die vielen tausend Menschen, die die DDR aus politischen Gründen eingesperrt hat. Sein einstiger Freund Hartmut Rosinger steht exemplarisch für die vielen tausend Menschen, die der DDR als IM zu Diensten waren. Nach 30 Jahren sitzen sie gemeinsam über ihren Stasi-Akten und rekapitulieren die Ereignisse. Allein die Anzahl von Tätern und Opfern lässt vermuten, dass es Konfrontationen dieser Art noch in den Jahren nach 1991, nach Inkrafttreten des Stasiunterlagengesetzes, häufiger gegeben haben muss. Dass eine Kamera das filmt, wie in Heike Bacheliers Dokumentarfilm "Feindberührung" geschehen, dürfte ziemlich einzigartig sein. Und offenbar war Rosinger, der Täter, als einziger unter 39 auch nur deshalb dazu bereit, weil er irgendwann der Stasi seine Mitarbeit aufgekündigt hatte und das aus den penibel geführten Akten auch hervorgeht.

Man kann nun über die Beharrlichkeit und Chuzpe des Peter Wulkau auf seinem Lebensweg staunen. Die viel spannendere Person ist natürlich Rosinger. "Es ist ihm zuzutrauen, dass er an Gruppensex teilnehmen würde", hat er einst über Wulkau berichtet, liest Rosinger heute in seinem Bericht. So zu berichten, was hat er sich dabei gedacht? Rosinger erzählt von seiner "Übereinstimmung zu dem Ideologiegebäude Marxismus", seinen Gefühlen von "Stolz" und "Ehre", als man ihn rekrutiert hat. So fing es an. Was er dann im Laufe der Jahre berichtet hat, man will ihm glauben, wenn er es heute selbst nicht mehr alles glauben kann: "In dem Punkt, wie es hier mir zugeschrieben worden ist, war es tatsächlich nicht so!" "Dann bist du also zu Unrecht befördert worden", hält ihm Wulkau vor. Schweigen.

Das bessere Deutschland

Was soll man von diesem Hartmut Rosinger halten. Der Film, der auch deshalb so überzeugend ist, weil er auf einen deutenden, einordnenden, wertenden Off-Kommentar verzichtet, lässt Spielraum. Er lässt Leerstellen. Er sagt nicht, welches das bessere Deutschland war, als es einmal zwei davon gab. Er lässt aber keinen Zweifel daran, welches das schlechtere Deutschland war - die DDR.

"Feindberührung", Montag, 3. Oktober, 00.20 Uhr, ZDF

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