Voll auf dem Teppich

Schnapsidee: Bild schwärzt den WDR beim Jugendamt an

So viel ist sicher: Noch bevor bei ihren Mitgliedern der Bartwuchs einsetzt, ist die Band Tokio Hotel („Durch den Monsun“) wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein gelöscht. Aber jetzt sind sie eben erst mal da, die vier Halbgaren aus Sachsen-Anhalt, die vor einigen Wochen begannen, sich selbst in die Charts und ganze Mädcheninternate ins Koma zu nölen. Bravo-Leserinnen hören selbst im Schlaf nicht mehr auf zu kreischen, und zu allem Überdruss wurde Tokio Hotel am vergangenen Donnerstag auch noch als „Bester Newcomer“ mit der Krone der WDR-Jugendwelle Eins Live dekoriert. Nach der Show in der Oberhausener Arena lud der WDR standesgemäß ins Adiamo, einen vollgekitschten Tanztempel im Einkaufstempel Centro. Und das Übel nahm seinen Lauf.

Nicht, was sie dort angeblich taten, war für die Tokio-Hotelburschen verhängnisvoll; sondern dass sie sich dabei von der Bild-Zeitung beobachten ließen. Denn gestern titelte Bild: „Suff-Orgie! Jugendamt will Tokio Hotel trocken legen“ und berichtete stolz, das Jugendamt des Ohrekreises, wo Tokio Hotel aufgebaut wurde, ermittle, weil die „Jung-Rocker bis in den Morgen“ gefeiert hätten. Vor allem Gitarrist Tom (16) habe dabei Hochprozentiges gekippt. Deshalb müsse sich jetzt auch der WDR verantworten.

Nun war das aber eben nur die halbe Wahrheit. Erstens: Ein Jugendamt kann nicht ermitteln. Zweitens: Das Jugendamt in Sachsen-Anhalt hätte wohl nie von der Party Wind bekommen, wenn nicht die Besorgnis-Behörde, also die Bild-Zeitung, am heiligen Sonntag das Amt informiert hätte. Und schwupps, war die Geschichte im Kasten. Jugendamtsleiter Detlev Klaus empört sich zwar über solcherlei „Schlagzeilen-Journalismus“, den Hinweis aber nimmt er dankend an: Umgehend werde man der „erzieherischen Aufgabe“ nachkommen und mit den Eltern reden. Und ein öffentlich-rechtlicher Sender wie der WDR müsse unter Umständen auch mit Konsequenzen rechnen. Holla! Nur dass man bei Eins Live ziemlich gelassen ist: „Wir meinen, dass die Aufsichtspflicht beim Management liegt“, sagt Programmchef Jochen Rausch. Und ob die Jungs überhaupt Schnaps getrunken hätten, wisse man auch nicht. Genau: Haben Sie überhaupt? Bei Universal Music wollte man sich dazu gestern nicht äußern.

Hoffentlich setzt bald der Bartwuchs ein. B. R. ROSENKRANZ