PorNeo – Pornofilm mit Anspruch: Sex, aber mit Niveau
Saralisa Volm spielt die Hauptrolle in dem internet-finanzierten Neo-Porno "Hotel Desire". Zuvor reüssierte sie als "persönlichkeits- gestörte Sexbombe".
Die "Ultrabrutalschöne" hat der Stern die Schauspielerin Saralisa Volm genannt. Und das war nicht Jörges, der für Übertreibungen bezahlt wird. An diesem Tag isst Volm in einem Lokal am Weinbergspark in Berlin zu Mittag. Sie trägt darunter einen schwarzen Büstenhalter. Dezent, aber gut sichtbar.
Das muss dann jetzt aber auch schon genügen, denn das Gespräch dreht sich um Patty, die Hauptfigur in Jonathan Franzens jüngstem Roman "Freiheit", Bret Easton Ellis "Imperial Bedrooms" und worüber man sonst heute so redet. Also Vegetarismus. Sie selbst ist keine Vegetarierin, wie man an ihrem Essen unschwer erkennt, aber sie ist themakompetent und frei von handelsüblichen Blockaden.
Volm ist 26, hat unlängst ihren Bachelor in Kunstgeschichte und Philosophie gemacht, ist firm in Hegel, Luhmann, Wowereit - you name it. Klimawandel sowieso. Sie liest Bücher möglichst nur ab 800 Seiten aufwärts. Und hat soeben diesen 45-minütigen Fickfilm namens "Hotel Desire" abgedreht?
Falsch. Es handelt sich nicht um einen Fickfilm.
Diesen und weitere interessante Artikel lesen Sie in der sonntaz vom 19./20. November 2011 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk oder am eKiosk auf taz.de. Die sonntaz kommt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.
Es geht um Sex. Aber mit Niveau. Die Herausforderung sei, teilte Regisseur Sergej Moya mit, "dass der Zuschauer es als normalen Teil der Handlung empfindet, wenn er ein Geschlechtsteil sieht." Dafür wurde das Wort "PorNEO" geschaffen, ein Superbegriff.
Ein beträchtlicher Anteil des 170.000-Euro-Etats wurde damit tatsächlich über das Internet finanziert; sogenanntes Crowdfunding. Ein Ausweis von Schwarmintelligenz, wenn man so will. Eine prominente Besetzung half sicher auch. Dafür kriegt der Spender eine Nennung im Abspann und einen Zugang zur Internetfassung, die in einem großen Portal zu sehen sein wird.
Sex in Großaufnahme
Wann? Wenn Produzent Sascha Schwingel (teamworx) den Film auf der Berlinale kommenden Februar unterbringt, dann danach. Falls nicht, noch in diesem Jahr. Crowdfunding ist für Schwingel "ein Weg, besondere Filme zu finanzieren, die mit normaler Finanzierung nicht funktionieren".
"Im Endeffekt", sagt Volm, "haben wir einen normalen Film gemacht, mit einer expliziten Sexszene, aber keinen Hardcore-Porno." Der Unterschied zum normalen Film sei, dass diese Sexszene "tatsächlich erzählt" werde. "Sex in Großaufnahme?", röchelte Gräfin Dönhoffs Zeit so entsetzt wie begeistert. Genau. Es wird gezeigt.
Worin besteht dann der Unterschied zum Porno? Sie lächelt. "Es klingelt kein Klempner am Anfang, und es liegt auch nicht zufällig ein Strohballen im Bad." Sondern? "Die Personen haben eine Geschichte, wir kennen sie, ihr Zuhause, ihre Arbeit."
Nun spielt Saralisa Volm allerdings ein Zimmermädchen in einem Hotel, der Mann ist ein blinder Maler, gespielt von Clemens Schick. "Klar, wir sind nicht völlig abgerückt vom Klischee, wir spielen damit. Das fängt damit an, das Ganze ,Hotel Desire' zu nennen …" Ihre Figur ist aber kein Klischee, sondern eine verlorene Alleinerziehende, die ihr Leben so wenig auf die Reihe kriegt, dass ihr achtjähriger Sohn sich um sie kümmern muss.
Was im krassen Gegensatz zu jenen Figuren steht, die Volm in Filmen des Münchner Regisseurs Klaus Lemke spielt, des ungewöhnlichsten Filmemachers in Deutschland. Gerade haben sie zusammen "Berlin für Helden" abgedreht. In Lemkes grandiosem WM-2006-Film "Finale" war Volm eine Gelegenheitshostess auf Männersuche, in "Dancing with Devils" zwingt sie eine andere Frau mit vorgehaltener Knarre zu Oralsex.
Mädchenstadt Berlin
Aber das ist jetzt verkürzt, und so wird man Lemke-Figuren und -Filmen nicht gerecht. Lemke selbst beschrieb die Devils-Rolle in seiner unnachahmlichen Art: "Saralisa ist eine persönlichkeitsgestörte Sexbombe, ansteckend borderline, selbstzerstörerisch und Gift für jeden, der ihr zu nahe kommt." Haut das hin? Jetzt lacht sie. "Genau."
Bei Lemke treten auch keine Frauen auf, sondern "Mädchen", wie er sie nennt. Manche Frauen kotzen bei dem Wort ab, wenn Erwachsene gemeint sind. "Verstehe ich", sagt Volm. "Aber gerade Berlin ist eine ziemliche Mädchenstadt, in der Frauen sich wie Mädchen verhalten und bis 45 rumlaufen und so tun, als wären sie noch Mädchen. Das hat etwas Antierwachsenes."
Lemkes Mädchen sind in der Regel Anfang 20 und im Idealfall "Freiwild im Bett, Fegefeuer im Leben", wie der Meister zu sagen pflegt. Volm teilt längst nicht alles an seiner Mädchentheorie, aber: "Das, finde ich, ist ein Supersatz." Wieso jetzt genau? "Ich glaube, dass Männer mit dieser Zuckerbrot-und-Peitsche-Nummer …", sie bricht ab, "dass das nicht immer falsch ist, um es mal vorsichtig zu formulieren."
Die Mädchen in Lemkes Filmen haben keine Kinder, keine Familie, keinen Job, sonst wäre es ja langweilig wie das Leben. Aus seiner Sicht. Sie können sich stets voll auf ihr riesiges Problem konzentrieren - auf sich. Das versuchen sie auf zweierlei Arten zu lösen: durch Gewalt oder durch Sex. Bisweilen verbinden sie auch beides.
Manche halten Lemkes Weg, Sex zu zeigen, für "nah am Porno" (FAZ), aber davon könne keine Rede sein, sagt Volm. "Sie ficken, aber Lemke zeigt ja keinen Sex. Sie sind auch selten nackt." Der Unterschied zu "Hotel Desire"?: "Sie ficken an irgendwelchen Hauswänden, aber es gibt so gut wie nie eine wirkliche Auseinandersetzung mit einer Thematik, die auch auf einer emotionalen Ebene stattfindet.
Goldenes Handwerk Sex
"Bei Lemke ist Sex immer schnell und markiert meist den Übergang von einer Katastrophe zur nächsten. "In ,Hotel Desire' ", sagt Volm, "ist Sex viel langsamer, zärtlicher und schöner und viel mehr eine Lösung."
Das klingt gut. Wird womöglich gleich auch noch die Volksweisheit "Dumm fickt gut" widerlegt und die gebildete Mittelschicht reklamiert dieses goldene Handwerk nun auch noch für sich? Sie blickt skeptisch. Eine Fangfrage? Ein Irrer? "Ich glaube nicht", sagt sie vorsichtig.
"Dafür müsste man erklären, über welche geistigen Fähigkeiten die Darsteller verfügen." Nein: "Es geht darum, dass diese Frau alleine ist, sich nicht um sich kümmert, keinen Platz für sich findet, dass ihr Sex zufällig passiert und es ein befreiender Moment ist, weil es einmal auch um sie geht."
Der deutsch-französische Sender Arte ist als Koproduzent eingestiegen. Und wird den Film auch zeigen? "Wir sind wild entschlossen", sagt der zuständige Redaktionsleiter Andreas Schreitmüller. Und zwar in der Originalversion.
Weil das passt: Intelligenzsender und Intelligenzsex? Nee, sagt Schreitmüller, "verkopften, intellektuellen Sex könnte ich mir gar nicht vorstellen, das wäre ein Widerspruch in sich." Sex gehöre zum Leben, mehr noch: "Ohne Sex kein Leben." Aufgabe von Arte sei es, auch diese Sache "künstlerisch originell gegen die Klischees darzustellen".
Auf hotel-desire.com gibt es schon seit Längerem einen Trailer zu sehen: eine Frau unter der Dusche. Nackt. Stimmungsmusik. Aber das Erste, was man sieht, ist eine Hornhaut am Fußrücken. (Volm dementiert das.) Die Kamera tastet sich dann den Körper hoch - und oben angekommen sieht man Saralisa Volm beim Zähneputzen.
Volm wuchs in Bayern auf und später in Sindelfingen, also bei Stuttgart. Mit neun schrieb sie in ihr Ferientagebuch, dass sie Schauspielerin werden wolle. Sie ging dann aber erst nach Münster, wo man eher nicht für den Film entdeckt wird; also weiter nach Hamburg.
Ultrabrutale Klugscheißerin?
Lemke soll sie der Legende nach als Verkäuferin bei H&M entdeckt haben, was auch fast stimmt. Er entdeckte sie. Und sie arbeitete tatsächlich bei H&M, allerdings nur zwei, drei Tage. Sie ging am ersten Tag zu den Chefs und sagte: "Wo fertigen Sie?" Wollte über die Produktionsbedingungen der Kleidung informiert werden. Das fanden die Chefs seltsam. Und sie fand seltsam, dass die das seltsam fanden.
In der Schule soll sie eine Klugscheißerin gewesen sein. Mehr noch: "Ich bin es geblieben." Ja? "Ist echt schlimm." Sie wirkt aber gar nicht klugscheißerisch. Eher klug. Ultrabrutal sieht sie übrigens auch nicht aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind