Elfenbeinküste: "Wir sind noch nicht in Sicherheit"

In Duékoué im Westen von Elfenbeinküste spielten sich während des Machtkampfs die schlimmsten Verbrechen ab. Die Menschen haben immer noch Angst.

Romaric Gazahi (rechts) war mal Gbagbo-Anhänger. Heute schämt sich der junge Mann dafür. Bild: KATRIN GÄNSLER

DUÉKOUÉ taz | Abdoulaye Doumbia versucht, es sich auf einer schmalen Holzbank bequem zu machen. Dort liegt er, hat die Arme hinter dem Kopf verschränkt, die Beine übereinandergeschlagen und muss aufpassen, nicht von der Bank zu rutschen. Ab und zu blinzelt er in die Morgensonne, die durch die dichten Baumkronen dringt. Es ist ein entspannter Vormittag.

Vor dem Mann in der dunkelgrünen Uniform steht ein niedriger Holztisch, auf dem ein zerfleddertes Schulheft liegt. In das müssen er und seine Kollegen Namen, Passnummern und Reiseziele all jener eintragen, die von Liberia in die Elfenbeinküste reisen. Für manche Tage gibt es drei oder vier Einträge, jeder einzelne mit einem sauberen Strich abgetrennt, für andere keinen einzigen. Wer will schon in den äußersten Westen der Elfenbeinküste reisen? Aus Liberia ganz bestimmt niemand.

Die Grenzregion, in der alles so friedlich und träge wirkt, gilt heute als Rückzugsort für bewaffnete Milizen und Rebellen. Niemand weiß, wie viele Waffen dort versteckt sind und wann die Menschen wiederkommen, die die Gegend seit Anfang des Jahres verlassen haben, als in der Elfenbeinküste Bürgerkrieg herrschte.

Abdoulaye Doumbia hat sich aufgerichtet und verzieht seinen Mund zu einem fast spöttischen Grinsen. "Rebellen? Die gibt es hier nicht mehr. Wir haben doch überall Militärposten aufgebaut, die für Sicherheit sorgen", sagt er. Es hört sich an, als wolle er sich selbst Mut zusprechen.

Gbagbo im Unterhemd

Aus der Elfenbeinküste ist in den vergangenen zwölf Monaten vor allem ein Bild hängen geblieben: Laurent Gbagbo, wie er am 11. April - nach Monaten des Widerstandes - im Bunker seines Präsidentensitzes festgenommen wird. Der bullige Mann trägt nur noch ein weißes Unterhemd; er hat sein letztes Gefecht verloren.

Der Anfang vom Ende begann am 28. November 2010. Gbagbo, damals seit zehn Jahren Präsident des westafrikanischen Landes, verlor die Stichwahl um die Präsidentschaft gegen Alassane Ouattara nicht. Für die Unabhängige Wahlkommission der Elfenbeinküste (CEI) und auch für die internationale Gemeinschaft gewann Letzterer die entscheidende zweite Runde. Doch der Gbagbo-treue Verfassungsrat erkannte die Ergebnisse in einigen Regionen nicht an und machte den alten kurzerhand zum neuen Präsidenten. Und die Elfenbeinküste war plötzlich das einzige Land auf der Welt, das zwei Präsidenten hatte.

Vier Buchstaben purzeln aus Romaric Gazahis Mund heraus: Gbag - die zweite Silbe von Gbagbos Namen verschluckt er. Dem jungen Mann geht es wie vielen Ivorern, die ein Jahr nach den Wahlen nicht mehr gern zugeben, für den heute in Den Haag inhaftierten Expräsidenten gestimmt zu haben. Der junge Mann sitzt im Schatten der alten Kirche auf der katholischen Missionsstation von Duékoué und lässt seine Nähmaschine über die zerrissene Jeanshose rattern.

Eigentlich mag er seine Arbeit, doch das Geschäft laufe nicht mehr richtig. "Früher habe ich am Tag um die 1.000 Cefa (1,50 Euro) verdient, heute ist es nur noch die Hälfte." Schuld sei die ständig zunehmende Konkurrenz auf dem Kirchengelände. Andere Arbeit gibt es kaum. Seit Ende März lebt Romaric Gazahi mit seinen älteren Brüdern, der Mutter und dem Baby hier.

Auf dem Missionsgelände von Duékoué, wo zwei Kirchen, eine Kapelle und mehrere Bürotrakte stehen, suchten damals 30.000 Menschen Schutz. Während Gbagbos letzte Unterstützer in Abidjan im März einen verlorenen Kampf kämpften, spielte sich hier eines der grausamsten Kapitel der Krise ab.

Duékoué - eigentlich nicht mehr als eine Stadt mit zwei Durchfahrtsstraßen, einem Markt, ein paar Geschäften und kleinen Restaurants - gilt als Gbagbo-Hochburg. Für Ouattaras Armee FRCI (Republikanische Streitkräfte der Elfenbeinküste) hatte die Einnahme am 29. März somit nicht nur eine strategische, sondern auch symbolische Bedeutung. Was sich dabei tatsächlich abspielte, lässt sich Monate später kaum rekonstruierten. Vielleicht starben 400 Menschen, vielleicht 800; wahrscheinlich umgebracht von den Anhängern Ouattaras. Sie beteuerten damals: Die Opfer seien Gbagbo-Milizen gewesen, keine Zivilisten. Hilfsorganisationen bewerteten das anders. Ein paar Tage später wurden die ersten Massengräber entdeckt.

Keine Ernte

Für Romaric Gazahi und die übrigen 2.400 Menschen, die acht Monate später noch immer auf dem Kirchengelände leben, spielt das kaum noch eine Rolle. Es ist Vergangenheit. Viel wichtiger wäre es ihm, irgendwann wieder eine Zukunft zu haben. "Aber wir haben ja nichts mehr", sagt er und legt einen neuen Bindfaden für den nächsten Auftrag ein, einen alten Rock. Das Haus der Familie sei niedergebrannt worden, das kleine Feld, das die Familie besitzt, hat sie während der Krise nicht bestellen können, und deshalb gibt es heute keine Ernte. Eins quält ihn aber noch viel mehr: "Kann mir irgendjemand garantieren, dass es sicher ist, wenn ich nach Hause gehe?"

Vor allem jene, die aus den umliegenden Dörfern geflüchtet sind, haben Angst vor der Heimkehr. Man hat eine Ahnung, wo die einstigen Milizen Gbagbos heute zu finden sind, aber man weiß nicht, wie viele Waffen sie noch haben. Ab und zu geben Hilfsorganisationen Informationen über erneute Gewaltausbrüche heraus. In der Nähe der Stadt Taï an der Grenze zu Liberia sollen Ende September, so berichtet Ärzte ohne Grenzen, mindestens 50 Häuser niedergebrannt worden sein.

Doch viele Vorfälle blieben unentdeckt, weil es die Opfer gar nicht erst bis in die Krankenhäuser schaffen. Dass die Sicherheitslage heikel ist, sagt auch Hamadou Touré, Sprecher der UN-Mission in der Elfenbeinküste: "Man muss wachsam bleiben und alles dafür tun, dass in dem Land die Gewalt nicht wieder aufflammt."

In Fengolo, einem Dorf gut zehn Kilometer nördlich von Duékoué, soll Gniman Coulibaly das verhindern. Gemeinsam mit ein paar Kollegen hält er auf dem Militärposten die Stellung und will von jedem, der über die Hauptstraße nach Fengolo kommt, wissen, was er im Dorf zu suchen hat. Das Maschinengewehr lehnt für alle Fälle an der Wand. "Wir haben keine Probleme. Alles ist sicher", sagt der 32-Jährige und stochert mit dem Absatz seines Stiefels im Sand herum. Eigentlich sei er Automechaniker.

"Aber jetzt braucht mich mein Land, und unser Kommandeur von Duékoué hat mich hierhergeschickt." Bei ihm will er einen guten Eindruck hinterlassen und mit der Arbeit seinen Präsidenten unterstützen. "Natürlich habe ich für Alassane Ouattara gestimmt. Ich war schon lange vor den Wahlen für ihn." Warum? Das kann er nur schwer erklären. "Durch ihn hat sich viel geändert. Und er wird noch mehr machen, beispielsweise Jobs schaffen." Einen hat er selbst schon bekommen, denn vor der Krise war er arbeitslos.

Der äußerste Westen der Elfenbeinküste ist ein Schmelztiegel der verschiedenen ethnischen Gruppen und Nationalitäten des Landes. Angelockt werden sie von den fruchtbaren Böden, auf denen man die Kakaobohnen anbaut, die die Elfenbeinküste zum größten Kakaolieferanten der Welt machen und den größten Teil der Staatseinnahmen ausmachen.

Es kann nur besser werden

Miengo Kone hat das Eldorado vor Jahrzehnten für sich entdeckt. Der Kakaobohnen wegen kam er aus Burkina Faso in die Elfenbeinküste, nun handelt er mit ihnen. Im Moment sitzt er in seiner leeren Lagerhalle und wartet auf die nächste Saison. Um ihn herum liegen leere Jutesäcke mit der Aufschrift "Kakaobohnen - ein Produkt aus der Elfenbeinküste". Die Bohnen sind sein Leben geworden, und der Mann mit den grauen Haaren kann sich nicht vorstellen, in die alte Heimat zurückzugehen. "Meine Kinder sind hier geboren worden und kennen Burkina Faso gar nicht", sagt er. Die kritische Lage habe ihn nie abgeschreckt. Außerdem kann es jetzt nur besser werden, findet er. "Wir leben hier jetzt friedlich zusammen."

So viel Optimismus und Erfolg sind selten bei Ausländern in der Elfenbeinküste, einem Viertel der knapp 20 Millionen Einwohner. Die meisten müssen sich als Hilfsarbeiter auf den Plantagen durchschlagen und haben nie eine Chance auf Gewinnbeteiligung. Denn einen echten Platz im Eldorado hat nur, wer tatsächlich Ivorer ist und das über Generationen hinweg nachweisen kann. "Ivoirité" heißt das nationalistische und rassistische Konzept, das der damalige Präsident Henri Konan Bédié 1994 einführte und das Einwanderer und ihre Nachkommen bei Landbesitz und der Teilnahme an Wahlen benachteiligte.

Auch der heutige Präsidident Ouattara wurde deswegen gleich zweimal - 1995 und 2000 - von Wahlen ausgeschlossen. Seine Eltern hätten burkinische Wurzeln, hieß es damals. Neben der Aussöhnung zwischen den alten Kriegsparteien und der Wiederbelebung der Wirtschaft gilt heute die Frage, wie nun mit dem Konzept "Ivoirité" umgegangen wird, als zentral für die Zukunft des Landes.

Augustin Bah hat ganz andere Sorgen. Er ist einer von rund 173.000 Ivorern - so hoch ist die Zahl nach Einschätzung des UN-Flüchtlingshilfswerkes mittlerweile -, der sich nach Ausbruch der Krise ins Nachbarland Liberia rettete. Die großen Flüchtlingsströme sind zwar abgerissen, dennoch haben internationale Organisationen auch Monate nach der Amtseinführung Ouattaras neue Unterkünfte für Ivorer in Liberia errichten müssen.

Und es denkt kaum jemand an die Rückkehr in die Heimat. Auch Augustin Bah, der mit seiner Familie im Bahncamp in Saclepea lebt, will zumindest vorerst bleiben. "Es sieht nach Frieden aus", sagt er, als er mit ein paar Bekannten vor seinem weißen Zelt sitzt. "Aber niemand weiß, ob der Frieden hält und was aus den Rebellen wird. Wir sind noch lange nicht in Sicherheit."

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