Frankreich fordert Finanztransaktionssteuer: Notfalls im Alleingang
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy möchte offenbar die umstrittene Finanzsteuer noch 2012 einführen. Deutschland ist zwar dafür, will aber einen EU-Konsens.
PARIS taz | Seit vierzig Jahren wird über die "Tobin-Tax" für Finanztransaktionen diskutiert. Und plötzlich hat es jemand damit sehr eilig: Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy will diese Idee, die in der Finanzkrise erneut aktuell geworden ist, noch vor dem Ende seines Mandats im Frühjahr 2012 verwirklichen.
In einem Gespräch mit dem französischen Sender BFM-RMC ließ Sarkozys Sonderberater Henri Guaino die Katze aus dem Sack: "Die Entscheidung über die Einführung der Finanztransaktionsabgabe wird noch vor Ende dieses Monats fallen."
Frankreich wolle so "mit dem guten Beispiel vorangehen" und die Partner - allen voran Deutschland - ermuntern, dem Exempel zu folgen. Natürlich wäre es besser, die Deutschen von Beginn an mit dabeizuhaben, gesteht Guaino zu. Doch der ungeduldige Sarkozy will offenbar nicht mehr länger auf die Zustimmung aus Berlin warten. Die Zeit läuft ihm davon. Spätestens im März muss er sagen, ob er sich im April für eine Wiederwahl bewirbt.
Seine Chancen auf ein zweites Mandat stehen derzeit nicht gut. Umso eiliger hat er es, noch ein paar konkrete Beschlüsse zustande zu bringen, die seine Bilanz aufbessern könnten.
Die umstittene Steuer ist eine fixe prozentuale Abgabe auf alle Finanzgeschäfte, also auf Deals bei denen Geld gegen Geld oder Geld gegen das Versprechen auf mehr Geld getauscht wird. Es kann sich also um herkömmliche Währungswechsel oder komplexere Instrumente - beispielsweise Derivate - handeln. So oder so profitiert die öffentliche Hand auf Kosten der Tauschpartner.
Mittlerweile ist Konsens, dass die Finanztransaktionssteuer her muss. Schließlich hält der Staat den Säckel auf, wo auch immer in der Wirtschaft Geld fließt. Das ist fair: er schafft die Rahmenbedingungen für einen freien und gerechten Markt. Doch dort wo der meiste Schotter rollt, auf den Finanzplätzen, ist der Staat nur Zaungast. Das ist unfair: spekulative Geldgeschäfte können der Realwirtschaft erheblich schaden, also auch all jene ärmer machen, die noch nie ein Wertpapier besessen haben.
Die Abgabe macht diese kurzfristigen Zocker-Deals teurer und würde die Nachfrage somit drosseln. Für den Finanzwissenschaftler Rudolf Hickel von der Uni Bremen ist das nur ein angenehmer Nebeneffekt: „Der vorrangige Nutzen einer Finanztransaktionssteuer ist nicht die Züchtigung der Märkte, sondern ihre Ergiebigkeit für die Gesellschaft“. Laut EU-Kommission könnte die Steuer den Staaten jährlich rund 55 Milliarden Euro einbringen.
Hickel glaubt nämlich nicht, dass die Steuer zu nennenswerter Kapitalabwanderung führen würde. „Eine Besteuerung von beispielsweise 0,05 Prozent wäre für den Einzelnen nicht spürbar, in der Summe aber sehr ertragreich“. Deshalb ist der Wirtschaftsexperte überzeugt, dass eine Doppelfront aus Deutschland und Frankreich die übrigen Mitgliedsstaaten zum Mitmachen bewegen kann. Nur auf Großbritanniens Beteiligung dürfe man kaum hoffen. Das österreichische BIFO schätzt bei einem Steuersatz von 0,05 Prozent die Einahmen für die gesamte EU auf 110-250 Milliarden Euro. (fk)
Frankreich braucht dringend Geld
Seit 2008 hatte Sarkozy eine "Moralisierung" des Kapitalismus versprochen. Die Tobin-Tax soll da helfen und wird zudem in Frankreich fast einstimmig von links bis rechts als innovative Finanzierungsquelle unterstützt. Der französische Staat benötigt in der Eurokrise dringend neues Geld.
Allein in der EU soll die Steuer (bei Ansätzen von 0,1 Prozent auf Aktien und 0,01 Prozent auf andere Finanzprodukte) pro Jahr schätzungsweise 55 Milliarden Euro einbringen. Die Steuer war auf Sarkozys Betreiben hin beim G-20-Gipfel im November in Cannes besprochen worden, aber vor allem bei den USA und Großbritannien und den neuen Wirtschaftsmächten wie China auf entschiedene Ablehnung gestoßen.
Deutschland hatte bisher auf eine europäische Einigung gesetzt. Das wiederholte am Freitag auch Regierungssprecher Steffen Seibert: Einen nationalen Alleingang lehne Deutschland ab, man strebe die Einführung unter allen 27 EU-Staaten an. Auch Paris hofft auf eine Zustimmung aus Brüssel, Sarkozy meint aber offenbar, dass man bei der Beschlussfassung etwas mehr Tempo machen muss.
Gesetz noch im 1. Quartal 2012
Vor Sarkozy hatte sich bereits Präsident Jacques Chirac für eine solche Abgabe starkgemacht, mangels internationaler Unterstützung aber bloß eine kleine Abgabe auf Flugtickets zur Finanzierung von Entwicklungsprojekten eingeführt.
Sarkozy erinnerte daran, "dass Deutschland seine grundsätzliche Zustimmung gegeben hat und dass wir, Deutsche und Franzosen gemeinsam, in Brüssel Vorschläge gemacht haben. Diese sind von der Kommission aufgegriffen worden und werden in den kommenden Wochen debattiert", sagte Guaino.
Die Zeitung Libération vermutet, dass eine entsprechende Gesetzesvorlage noch vor Ende Februar in einer von Sarkozy verlangten Sondersitzung des Parlaments diskutiert und verabschiedet werden soll, damit die Abgabe bereits ab 2013 in Kraft treten kann. Das Thema soll am kommenden Montag beim gemeinsamen Mittagessen in Berlin zwischen Sarkozy und Kanzlerin Angela Merkel diskutiert und dann am 30. Januar auf dem EU-Gipfel erörtert werden.
Leser*innenkommentare
gustav
Gast
@ Hugo
Ihre Argumentation ist unzureichend.
Wieso sollten England, USA und Japan
die Gewinner sein?
Die USA haben eine beispiellose Bankenpleitewelle
ertragen müssen.
Alle diese Länder haben große Probleme
mit öffentlichen Schulden.
Zur Wahrung des sozialen Friedens ist auch
dort ein gewaltiger aufgestauter Investitionsbedarf notwendig.
Manche Bundesgefängnissse mußten dort Häftlinge
vorbeugend entlassen. Ausgebildete Polizisten
können nicht eingestellt werden.
Japan kämpft gegen die Rentenkatastrophe an.
Auch diese Länder müssen zur Stabilität
ihner innenpolitischen Verhältnisse
zwingend einlenken! Nur wird hier drakonischer
Druck sozial aufgebaut, um die Bevölkerung
möglichst lang kleinzuhalten und man versucht
sicherlich auch den europäischen Partnern
die Arbeitsplätze abzuringen, indem man
auf die Führungsstrukturen europäischer Konzerne
durch bestellte staatliche Überwacher
von Korruption uvm. Einfluss ausübt und mit
Gefängnis-und Geldstrafen droht!
Obwohl die Manager sich nicht selbst bereichern,
sondern vielfach nur das erfolgreiche Fortbestehen
ihrer Firma sichern wollen.
Wir brauchen die Finanzmarkttransaktionssteuer
vor allem für die Hedgefondstransaktionen, Leerverkäufe,
und den Computerkurzzeithandel zwingend.
Für diese Geschäfte sollten die Steuern auch
höher angesetzt sein, als für reguläre
Finanztransaktionen im Aktienhandel, Devisenhandel u.
Derivatehandel, da hier auch öffentliche
Risikovorsorge betrieben werden muß, um Computer-
fehlreaktionen ausgleichen zu können und überhaupt
einen Nutzwert für die beteiligten Volkswirtschaften
generieren zu können.
Im Moment erleben wir das gleiche, wie
auf den Straßen. Die Lager der Fabriken befinden
sich in ständiger Mobilität rund, um den Globus.
Die Steuerzahler der Länder finanzieren den
Konzernen die Lagerkosten durch den Verschleiß auf
den Straßen.
Die Gelder werden analog vielfach nicht dauerhaft investiert, sondern von einem Spekualtionsobjekt
zum nächsten gejagt.
Der Geldflußkollaps droht, weil jegliche
sinnvolle Steuerungsfähigkeit wegzugleiten droht.
Für kleine nicht in Großblöcken integrierte
Nationen gibt es keine fairen Gewinnperspektiven mehr. Nur die Kasinobetreiber rund um die FED
Bank of Reserve und anderer Gelddynastien in China
und Großbritanien und sicherlich zum Teil
auch Südamerikas, Russlands gewinnen dauerhaft.
Es sind aber nur jene, die die Finanzmarktspielregeln
auslegen oder weltweit gestalten können.
Die Steuerhoheit muß wieder mehr in den Verantwortungsbereich der Nationen, damit
die Bürger der Länder ihren Way of Life und
Ihren kulturabhängigen Kapitalismus selbst
mitbestimmen können!
Geschäfte müssen Kosten verursachen. Das ist zwingend, denn nur dann stellt sich die
Wirtschaftlichkeitsfrage. Die Finanzprodukte
sind in einem solchen Marktumfeld zwingend
profitabel zu gestalten.
Was würde denn mit der Qualität von Konsumgüterprodukten passieren, wenn
diese kostenlos fabriziert werden könnten und
alle Beschaffungskosten Null wären?
Was würde passieren, wenn die Konsumgüterproduzenten
ausschließlich durch Preisgepflogenheiten fast ohne
Realkosten Ihre Preise selber festlegen dürften.
Man würde viel überteuerten Mist angeboten bekommen
und die Produzenten würden reich durch Dummenfang.
Weil die Produzenten, aber Kosten haben verlieren
Sie Geld, wenn Sie nicht abnehmbare Produkte liefern.
Die Wettbewerbsintensität nimmt deutlich zu
und der Markt der Anbieter wird deutlich seriöser.
Herr Sarkozy macht das Richtige und Deutschland
nach seinen gigantischen Bankenpleiten
sollte endlich Konsequenz zeigen, um noch
Ernst genommen zu werden.
Mark
Gast
Traurig das Frankreich nichts von der EU hält. Dieser Alleingang ist rechtspopulistischer Mist!
Hugo
Gast
Man soll es ruhig mal probieren. Ich nehme aber an, die Erwartungen an positive Effekte sind viel zu hoch. Wenn theoretisch mal davon ausgegangen wird, daß die Gewinner spekulativer Geschäfte im statistischen Mittel in den USA, Japan oder Großbritannien sitzen und die Verlierer in Russland, Arabien oder Europa; dann werden diese Steuern unter dem Strich in jedem Falle komplett von den Verlierern aufgebracht. Als Primäreffekt wirtschaftet man sich also von der rechten Tasche in die linke. Sekundäreffekte wie das eventuelle Ansteigen von Onlinekontogebühren aufgrund niedrigerer Umsätze wird man abwarten müssen, um das zu beurteilen.
wessinger
Gast
Wenn er das durchzieht, ist sein Leben in Gefahr.
Es könnte ein Unfall sein.
Oder ein Attentat.
Natürlich wäre dafür eine islamistische Terrorgruppe verantwortlich.
haleyberry
Gast
Die Einführung der Finanztransaktionssteuer
ist von größter Priorität.
Deutschland muss hierbei unbedingt mit Frankreich
an einem Strang ziehen.
Die Kompromißsuche mit allen EU-Mitgliedsstaaten
ist hierbei viel zu langwierig und ungewiß.
Obwohl alle EU-Migliedsländer mehr oder weniger
starke Schuldenprobleme haben, ist
Ihre Verwurzelung von Politik und Banken
unterschiedlich ausgeprägt.
Zwingende ökonomische Erfordernisse in Notsitutationen bedürfen in diesem Fall einer
Avantgarde.
Natürlich wollen etliche EU-Länder von
einer Abwanderung der Spekulationsinvestitionen
und des Bankenwesens
weg von Frankreich und Deutschland hin
in Ihre Länder profitieren. Das heißt, aber
auch das die Bankenrisiken in jenen Ländern
enorm zunehmen werden.
Jene EU-Mitgliedsstaaten haben dann aber auch durch Investment-Bankencrashs verursachte Risiken selber
zu schultern! Eine solidarische Haftung für deren Risiken ist ausgeschlossen, weil die Marktattraktivität durch stark erhöhte Risiken
erkauft wurde für die Deutschland und Frankreich
sich bewußt dagegen entschieden haben.
Eine zweite Rettung, wie in Griechenland, ist damit
absolut ausgeschlossen! Auch eine Gemeinschaftshaftung ist absolut ausgeschlossen.
Hasso
Gast
Ob Merkel auch mal etwas direkt entscheiden kann, als immer nur abzuwarten? Mit Sarkozy wären es schon mal 2 Länder die für die Finanzsteuer sind. Ein Anfang eben.
Dieses Gewurschtel ist nicht mehr auszuhalten. Eine EU ohne gemeinsame Politik ist keine. Der Euro für die Deutsche Wirtschaft, war Kohl wichtiger, als das politische Verständnis. Jetzt sitzt man da, trifft sich fortwährend und erreicht nichts. Was soll der ganze Mist um Europa? Hat die EU dem Kleinbürger etwas gebracht, außer Abstrichen?
Kosten- (besonders für die Deutschen) verursacht Europa.Man hat da eine riesige Hybris aufgebaut (insbesondere für Glühbirnen, Krümmungsgrad von Bananen, mehr Schwarzpulver und noch mehr Schwachsinn. Zu wichtigen Entscheidungen ist dieses Panoptikum nicht in der Lage.
robin c. sherwood
Gast
Völlig wurscht, ob der sogenannte Alleingang nun dem Wunsch nach Wiederwahl geschuldet ist: Einer muss ja "die Finanzmärkte" und die Riege der Zauderer und Verhinderer mal auf den Pott setzen. Gut gestanden hätte so eine avantgardistische Geste auch "unserer Regierung" (oder jeder anderen).
Jetzt muss zu dem Getöse nur noch Inhalt folgen... dann geraten auch andere in den Sog dieses richtigen Schrittes in die richtge Richtung!
realharry
Gast
wahlkampfgeplärre.
auf dem foto zeigt der präsident ja auch schon wie groß die steuerbelastung für die transaktionisten ausfallen wird, wenn sie überhaupt kommt.
sigibold
Gast
Da kann ich nur sagen, hoffentlich zieht Herr Sarkozy das auch durch. Es ist bereits fünf nach zwölf. Wenn man ständig auf auf den Langsamsten wartet passiert letzlich gar nichts. Frau Merkel muss ja sowieso immer zu Entscheidungen getragen werden.
sigibold
XXX
Gast
Alle Achtung, Monsieur Sarkozy!
Und meine Verachtung für die Durchtriebenheit und Feigheit unserer Repräsentanten.
André
Gast
Das ist wahrscheinlich die erste EU-Steuer, die man braucht, um den Euro zu stabilisieren. Mal sehen, welche anderen Steuern noch kommen ... Sarkozy wird das aber nicht retten, ich denke aber, dass Francois Hollande jetzt erklären muss, war er einer Meinung ist mit Sarkozy.
robin c. sherwood
Gast
Völlig wurscht, ob der sogenannte Alleingang nun dem Wunsch nach Wiederwahl geschuldet ist: Einer muss ja "die Finanzmärkte" und die Riege der Zauderer und Verhinderer mal auf den Pott setzen. Gut gestanden hätte so eine avantgardistische Geste auch "unserer Regierung".
Jetzt muss zu dem Getöse nur noch Inhalt folgen... dann geraten auch andere in den Sog dieses richtigen Schrittes in die richtge Richtung!