Justizirrtum in Sachsen: Nachträglich schizophren gesprochen

Ein sächsisches Gericht verurteilt einen Vietnamesen 1993 wegen Mordes zu lebenslänglich. Erst jetzt wird geurteilt: der Mann war psychisch krank, die Strafe falsch.

Merkwürdiger Vorgang: Schizophrenen eingeknastet und jahrelang nicht bemerkt. Bild: dapd

DRESDEN taz | Der Freiheit einen Schritt näher kommt das Opfer eines Justizirrtums in Sachsen: Der 42-jährige Vietnamese darf nach einem Urteil des Landgerichtes Dresden aus der geschlossenen in eine offene Psychiatrie umziehen. Das sagte Gerichtssprecher Ralf Högner der taz.

Rauslaufen darf der ursprünglich zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilte Mann dort allerdings nur mit Zustimmung des Gerichtes und in Begleitung von medizinischem Fachpersonal. Außerdem muss er, so das Landgericht Dresden, seine Therapie fortsetzen und psychiatrische Medikamente einnehmen. Schrittweise soll der Mann auf diese Weise auf ein Leben in Freiheit vorbereitet werden.

Der ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter hatte 1993 im sächsischen Plauen zwei Landsmänner erschossen und wurde darum zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Als nach der Verbüßung von 15 Jahren eine Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung geprüft werden sollte, stieß sein Anwalt Arno Glauch auf eine Reihe von Ungereimtheiten. So hatte sich der Verurteilte in der Haft wiederholt psychisch auffällig verhalten, war aber nie von einem Facharzt untersucht worden.

Zum Tatzeitpunkt nicht schuldfähig

Der Anwalt gab psychiatrische Gutachten in Auftrag. Ergebnis: Sein Mandant litt an einer Schizophrenie und war zum Tatzeitpunkt nicht schuldfähig. 1993 hatte ein hoch betagter bayerischer Medizinalrat, der Chirurg und nicht Psychiater war, nach nur zwei Sitzungen den damals Angeklagten für schuldfähig erklärt. Der Vietnamese wurde nach der Verbüßung von 17 Haftjahren aus dem Knast in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen und nachträglich freigesprochen.

Gegen die Einweisung in die geschlossene Klinik hatte sein Anwalt Arno Glauch vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Das urteilte, dass eine solche Freiheitsentziehung nur gerechtfertigt sei, wenn der Mann mit großer Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten begehen würde. Das aber hatten die sächsischen Gerichte nicht geprüft.

Das nunmehr zuständige Landgericht Dresden entschied sich am Freitag zur "Freiheit in Raten". Glauch: "Sie haben Angst, dass er anders seine Medikamente nicht nimmt und zu unkontrollierbarem Handeln neigen könnte." Glauch will erneut Rechtsmittel einlegen. "Ich befürworte natürlich die Therapie und die Medikamenteneinnahme. Das dient meinem Mandanten. Ich halte es aber für überzogen, dass das unter Zwang geschehen soll."

Haftentschädigung verweigert

Eine Haftentschädigung nach der Strafprozessordnung für die zu Unrecht erlittene Haft war dem Vietnamesen verweigert worden. Dazu Gerichtssprecher Högner: "Nach der Tat war eine freiheitsentziehende Maßnahme in jedem Fall gerechtfertigt." Glauch zufolge ließ das Gericht aber erkennen, dass auf zivilrechtlichem Weg möglicherweise Ansprüche gegen den Freistaat Sachsen bestehen könnten. "Das werde ich prüfen."

Es ist das erste Mal in der sächsischen Justizgeschichte, dass ein wegen eines Kapitalverbrechens Verurteilter nachträglich freigesprochen wurde. Auch bundesweit gibt es wenig vergleichbare Fälle.

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