Präsidentschaftswahlen in Taiwan: Deutlicher Sieg für den Amtsinhaber
Ma Ying-jeou sichert sich mit 51,6 Prozent der Stimmen ein weiteres Mandat. Hauptgrund dafür ist der Ausbau intensiver Wirtschaftsbeziehungen zu China.
HSUEHCHIA taz | Als Lin Lizu gefragt wird, wann sie in Rente gehen möchte, bricht sie in Tränen aus: "Ich werde mich wohl nie ausruhen dürfen, das können wir uns gar nicht leisten."
Die 52jährige Fischfarmerin züchtet mit ihrem Mann in großen künstlichen Teichen Aale sowie unter anderem die örtliche Spezialität Shimu-Fisch. In ihrer südtaiwanischen Heimat, einer flachen subtropischen Landschaft mit traditionell vielen Kleinbauern und Fischern, ist sie unter dem Namen "Schwesterchen Aal" für ihren Fleiss und ihre Beharrlichkeit bekannt.
Ihre Geschichte hilft zu verstehen, warum Taiwans Präsident Ma Ying-jeou und seine Kuomintang (Nationale Volkspartei) am Wochenende mit 51,6 Prozent der Stimmen erneut für vier Jahre gewählt wurden. Wie die meisten Bewohner Süd- und Zentraltaiwans hielt "Schwesterchen Aal" noch vor kurzer Zeit wenig von der Regierungspartei, die bis in die achtziger Jahre diktatorisch geherrscht hatte und für ihre korrupten Geschäfte berüchtigt war.
"Die Kuomintang mochte ich nicht", sagt sie. Die Opposition, die in dieser Gegend besonders stark ist, gefiel ihr lange Zeit deutlich besser. Die größte oppositionelle Gruppierung Taiwans ist die Demokratische Fortschrittspartei, die im Gegensatz zur Regierung die Eigenständigkeit der Insel Taiwan gegenüber China betont. In den achtziger Jahren entstand sie als demokratische Alternative zum alten Regime.
"Zum ersten Mal eine sichere Zukunft"
Für Lin kam die Wende vor zwei Jahren, als nach gewaltigen Regenfällen eine Flutwelle die Fischbecken fortriss. Nun steht sie wieder in Gummistiefeln und Anorak vor einem heruntergekommenen Schuppen und zeigt auf das Futter, das sie wie schon seit fast dreißig Jahren in das Wasser schüttet. "Jeden Tag trage ich mindestens Hundert Säcke", sagt sie.
Ihren Kopf schmückt eine rote Baumwollkappe, die Augen und Nacken vor Sonne und Regen schützt. Ein Hauch Lippenstift und ein schmaler Lidstrich verraten ihren ungebrochenen Kampf um Schönheit und Würde. Mit Hilfe der Regierung erhielt sie nach der Katastrophe einen langfristigen Kredit, der zunächst das Überleben des Betriebs garantierte. Ihre Schulden abtragen kann sie jedoch nur mit langfristig sicheren Einnahmen. Und die kann nur einer garantieren, glaubt sie: "China".
Ein paar Autominuten weiter, im Büro der Fischfarmer-Kooperative von Hsuehchia, erklärt der 47jährige Wang Wen-tsue, warum das so ist: "Wir haben mit einer chinesischen Firma einen Vertrag. Sie nehmen in diesem Jahr 18.000 Tonnen Shimu-Fisch zu einem guten Festpreis ab. Das bedeutet: Unsere Mitglieder haben zum ersten Mal eine sichere Zukunft."
Möglich geworden, sagt er, sei dies nur durch die Politik von Präsident Ma, der seit 2008 sechzehn Wirtschaftsabkommen mit China ausgehandelt hat. Die Volksrepublik ist der größte Markt Taiwans, 40 Prozent aller Waren werdenjenseits der Taiwan-Straße verkauft. Hundertausende taiwanische Geschäftsleute leben derzeit ständig auf dem Festland.
"Die ganze Welt hört auf Peking"
Taiwanische Investoren haben in den letzten Jahren gewaltige Fabriken in China errichtet. Zu den bekanntesten und wegen seiner strikten Arbeitsbedingungen berüchtigten gehört das Unternehmen Foxconn, das mit 1,3 Millionen chinesischen Arbeitern unter anderem IPods und IPads produziert.
Besonders nützlich für die Fischfarmer von Hsuehchia erwies sich das sogenannte ECFA-Abkommen ("Economic Cooperation Framework Agreement") von 2010. Auf der Liste der Produkte, die steuerfrei in die Volksrepublik exportiert werden dürfen, steht ihr Shimu, ein mild schmeckender heller Fisch.
Die Mitglieder der Kooperative hoffen nun darauf, dass bald auch Exporte von Aal und anderen Fischsorten von Chinas Einfuhrsteuern ausgenommen werden. Der Lebensmittelbedarf auf dem Festland ist groß: "Viele Chinesen wollen viel essen", sagt Wang.
Noch vor wenigen Jahren stand er, wie die Mehrheit des Ortes, der Demokratischen Fortschrittspartei nahe. Nun hat er sich auf die Regierungsseite geschlagen. Denn aus Furcht, vom großen Nachbarn China wirtschaftlich "geschluckt" zu werden und damit die politische Eigenständigkeit zu verlieren, hatte Präsidentschaftskandidatin Tsai offen gelassen, ob und wie weit sie den ECFA-Vertrag und die anderen Wirtschaftsabkommen einhalten würde. "Sie haben uns vorgeworfen, dass Taiwan zu stark auf Peking hört, aber die ganze Welt hört auf Peking", sagt Wang.
Die Oppositionskandidatin ist nach verlorener Wahl am Samstag sofort als Parteichefin zurückgetreten. Sie konnte ausgerechnet in der Hochburg ihrer Partei viele Anhänger nicht davon überzeugen, dass ein distanziertes Auftreten gegenüber Peking wichtiger ist als Stabilität und ein sicheres Einkommen. "Schwesterchen Aal" formulierte es so: "Meine Stimme gehört ECFA."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“