Al-Qaida übernimmt die Kontrolle: Jemenitische Stadt in Islamistenhand
Erstmals hat Al-Qaida die Kontrolle über eine komplette Stadt nahe der Hauptstadt übernommen. Über 100 Häftlinge, darunter auch Al-Qaida-Mitglieder, wurden aus dem lokalen Knast befreit.

SANAA rtr/afp/taz | Die islamistischen Kämpfer der "Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" haben in Jemen einen Durchbruch Richtung Hauptstadt erzielt. Einheiten einer islamistischen Rebellenarmee stürmten in der Nacht zum Sonntag die Stadt Radaa, 160 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Sanaa im jemenitischen Hochland. "Al-Qaida hat über die Zitadelle ihre Fahne gehisst", sagte ein Bewohner am Sonntagabend telefonisch zur Nachrichtenagentur Reuters.
"Sie haben sich in der gesamten Stadt verteilt, nachdem sie beim Abendgebet ihre Loyalität gegenüber Aiman al-Sawahiri verkündeten." Der Ägypter Sawahiri gilt seit dem Tod von Osama Bin Laden als Führer von al-Qaida. Die Al-Qaida-Kämpfer hatten die 60.000 Einwohner zählende Stadt Radaa umzingelt und waren dann am Wochenende von mehreren Seiten einmarschiert, angeführt von einem kürzlich aus Syrien nach Jemen abgeschobenen Aktivisten.
Sie töteten zwei Polizisten, öffneten das Gefängnis mit 150 bis 200 Insassen und übernahmen am Montag auch die Kontrolle über eine Militärbasis, deren Soldaten unter Zurücklassen ihrer Waffen die Flucht ergriffen. Sie riefen Tareq al-Dahab, Schwager eines im vergangenen Jahr durch einen US-Luftangriff getöteten Klerikers, zum Emir der Stadt aus.
Radaa liegt in der Provinz Bayda, zwischen der Hauptstadt Sanaa und den Al-Qaida-Hochburgen in der Provinz Abyan. Dort hatten sie im Mai die Provinzhauptstadt Zinjibar eingenommen. Seither wurden rund 100.000 Menschen in die Flucht getrieben.
Opposition wirft Saleh vor, den Vormarsch zu tolerieren
Jemenitische Oppositionspolitiker warfen Anhängern des bisherigen Präsidenten Ali Abdullah Saleh vor, den Vormarsch der Al-Qaida-Kämpfer zu tolerieren oder sogar zu unterstützen, um den Übergang zur Demokratie zu sabotieren. Saleh hatte im November nach monatelangen Protest einem Machtverzicht zugestimmt. Im Februar sollen freie Wahlen stattfinden. Doch Saleh ist formell weiterhin Präsident und übt große Macht im Sicherheitsapparat aus. Er hat immer wieder behauptet, er sei das einzige Bollwerk, das Jemen vor al-Qaida schützen könne.
Unterdessen wurde ein norwegischer UN-Wahlbeobachter in der Hauptstadt Sanaa gekidnappt. Stammeskämpfer entführten ihn am Sonntag, um die Freilassung ihres inhaftierten Führers zu erreichen, bestätigte Norwegens Außenministerium.
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