: Das Montagsinterview„Es ist und bleibt ein Ringen“
Der Priester Christian Flake über Kirche als Heimat und das Bild des verklemmten Geistlichen. Und das Leben ohne eigenes GeldENGE ODER FREIHEIT Dass er Priester wurde, hat Familie und Freunde überrascht: Christian Flake stand lange auf kritischem Fuß mit der Kirche. Nun geht er zu den Dominikanern. Ein Gespräch über die Arbeit des Glaubens, die Freude an der Kondomdebatte und das Mehrgenerationenhaus Kloster
■ geboren in Osnabrück, ab 1998 Studium der Katholischen Theologie in Münster und Rom. 2004 zum Diakon geweiht, Gemeindearbeit im Emsland. 2005 Priesterweihe in Osnabrück, Stelle in Twistringen mit vier Gemeinden. 2008 Schul- und Hochschulseelsorger in Bremen, seit 2009 Postulant bei den Dominikanern, also in der dem Noviziat vorangehenden Probezeit.
INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF
taz: Ist Glaube harte Arbeit?
Christian Flake: Zuerst war die Begeisterung groß. Doch nach so einer Honeymoon-Phase stellen sich die ernsten Fragen und Probleme. Habe ich mir etwas vorgemacht? Entzieht sich mir Gott auf einmal? Es ist immer auch ein Ringen und das bleibt so. Das Wichtige ist, dass ich mich nicht immer nur alleine mit diesem Gott auseinandersetzen muss, sondern Leute habe, die auch auf diesem Weg sind.
Wie können die helfen?
Ich habe das in einer großen Freiheit erfahren, dass in einer Phase, als ich mich fragte: „Willst du nicht doch lieber in einer Beziehung leben?“, der Verantwortliche sagte: „Wenn Sie wollen, ziehen Sie aus dem Priesterseminar aus und gucken mal, ob Sie wiederkommen wollen.“
Haben Sie die Auszeit genommen?
Habe ich nicht! Weil die Freiheit dazu da war, war der Druck weg, dass ich jetzt hier rausmuss.
Kommen Sie aus einer gläubigen Familie?
Nein. Das Osnabrücker Land, wo ich herkomme, ist sehr katholisch geprägt, deswegen bin ich getauft, gefirmt, habe aber sonst wenig Berührungspunkte damit gehabt. Was mich dazu geführt hat, war ein Religionslehrer am Gymnasium. Er hatte eine Art zu vermitteln: Diese Sache hat etwas mit dir zu tun. Und nicht nur auf einer sozialen Ebene, was man immer so als Vorurteil hat: Religionsunterricht erschöpft sich im Betrachten von Umweltproblemen und Drogen, oder Freundschaft und Sexualität.
Mein Religionsunterricht war so.
Unser Religionslehrer hat uns Thomas von Aquin und Kant auf den Tisch gehauen und gesagt: Was denkt ihr dazu? Und gleichzeitig habe ich zu Hause glaubwürdige Priester kennengelernt. Unser alter Pastor war kein brillanter Prediger, aber ein großer Seelsorger und strahlte so eine Zufriedenheit aus. Und dann hatte ich Mitschüler, die im Unterricht sagten: „Du redest hier über alles Mögliche, aber du weißt gar nicht, worum es geht. Wann bist Du denn das letzte Mal in der Kirche gewesen?“
Klingt nach ungewöhnlichen Mitschülern.
Das war vor allem eine Mitschülerin, die sich sehr in einer Gemeinde engagierte. Also bin ich in die Messe gegangen, um Munition zu sammeln. Und dann kam so ein seltsamer Emotionsanfall beim dritten Mal auf dem Weg dorthin: Ich habe mich wirklich darauf gefreut. Da war ich siebzehn. Zu Hause machten sie sich schon Sorgen und sagten: „Junge, hast du was, du gehst ständig zur Kirche.“
Wie arbeitet man praktisch am Glauben?
Praktisch muss ich erst mal akzeptieren, dass mir ein Professor in der Vorlesung den Boden unter den Füßen wegzieht. Und sagt: „So, wie du dir das gedacht hast, das war nicht so.“ Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen, sondern es hat Autoren gegeben und Redaktionen und Gemeindesituationen, die hineingeflossen sind. Und zugleich muss ich begreifen, dass dieser Gott eben nicht in unseren Kategorien arbeitet, sondern jenseits von Raum und Zeit ist. Ich muss auch bereit sein, Zeit zu investieren, den Kopf anzustrengen, das Gespräch mit Gott zu suchen.
Wie waren die Reaktionen, als Sie sich entschieden, Priester zu werden?
Meine Freunde sagten: Du als Priester, das geht doch gar nicht. Die müssen doch ganz spießig und fromm und klemmig sein. Da sagte ich: das hoffe ich nicht. In der Familie haben wir ein bisschen Stunk gehabt.
Sind Sie das einzige Kind?
Ja, das kommt erschwerend hinzu. Ich habe mehrfach darauf hingewiesen, dass das nicht meine Schuld ist. Das war ein Prozess, bis meine Eltern bei der Priesterweihe sagen konnten: Wir verstehen nicht alles, aber wir gehen so weit mit, wie wir können. Sie sind selbst auf Fragen gekommen: „Wenn unseren Sohn etwas so fasziniert, was ist das denn?“ Mein Biologielehrer sagte: „Das kann doch gar nicht sein, du hast bei Evolution doch so schön mitgearbeitet.“
Und der Religionslehrer?
Der hat sich gefreut. Er hat mir aber auch geraten: „Lass’ dir die innere Freiheit nicht nehmen.“ Vielleicht auch sagen zu können: Ich habe es probiert, aber es ist nicht meins.
Und wie ist es mit den Erwartung, wie sich ein Priester verhält? Da werden ja oft alle Vollkommenheitserwartungen an ihn ausgelagert.
Da ist es gut, genau diese Erwartung nicht zu bedienen und ganz deutlich zu machen: Hier ist ein Mensch unterwegs. Wenn ich diese Erwartung an mich selbst stelle, kann ich nur scheitern. Dazu gehört auch, dass ich eine gewisse Privatsphäre pflege oder mal ein Bier trinken gehe. Dass Leute dann sagen: „Oh, was machen Sie denn hier“ – das macht mir eher Spaß. Ich finde es total befremdlich, wenn Leute kommen und sagen: „Segnen Sie mich“ oder so devot sind. Wir sind alle als Getaufte und Gefirmte unterwegs und wir haben als Gemeinschaft die Verantwortung. Das verändert sich aber auch in der nächsten Generation.
Von außen hätte man gedacht, dass das Priesterleben freier sei als das im Orden.
In manchen Bereichen vielleicht, als Priester habe ich ein Auto zur Verfügung, ich habe mein eigenes Geld. Natürlich lebe ich im Orden transparenter. Ich habe nicht mein eigenes Geld, es bedarf der Rücksprache, wenn ich etwas anschaffe, und ist gleichzeitig die Rückversicherung: brauche ich es wirklich? Aber wenn man mehrere Gemeinden versorgt, ist die Einbindung so stark, dass das Fenster für freie Betätigung äußerst klein ist. Im Orden kann ich auch einmal sagen: „Kann mir das jemand abnehmen?“
Warum sind Sie zu den Dominikanern gegangen? Bei denen hätte man auch sagen können: der Orden der Inquisition und Hexenverbrennung.
Hätte man auch. Es gibt die dunklen Kapitel, die man vernünftig aufarbeiten muss. Aber mich hat diese Gründergestalt so fasziniert, die Idee von der Glaubwürdigkeit des eigenen Lebens, dass ich sehen wollte, was aus diesem Laden geworden ist. Außerdem sind die Dominikaner seit dem 13. Jahrhundert ein gutes Stück weit demokratisch organisiert. Es bewährt sich schon sehr, wenn Obere nach einer Weile wieder ins Glied zurück müssen.
Was bedeutet es für Sie, dass die meisten Mitglieder deutlich älter als Sie sind?
Es stellen sich Fragen fürs Zusammenleben, wie geht es in einem Mehrgenerationenhaus, es erfordert hohe Sensibilität, aber auch die Frage: wie gehen wir mit Alter, mit Pflege um? Die wenigen Jungen können nicht die ganzen Alten pflegen. Und natürlich ist da die Notwendigkeit, eine gewisse Prioritätenliste zu entwickeln: was wollen wir als Ordensprovinz in Zukunft noch tun und wo müssen wir sagen: Wir können es nicht mehr.
Und wo ist es wichtig?
Zu gucken, wo wird verkündigt, wo wird gepredigt? Ich finde es gut, dass wir viele Dominikaner haben, die in der Hochschulseelsorge tätig sind.
Da kommen Sie ja her. Aber es hat Ihnen nicht gereicht?
Ich habe gemerkt: ich bin kein Einzelkämpfer. Ich brauche einen gewissen Halt durch das gemeinsame Leben. Dass Gebet einfach stattfindet, macht es einfacher, als sich selbst dazu aufzuraffen.
In manchem erscheint der Protestantismus die einfachere religiöse Heimat: kein Papst, kein Zölibat, an dem man sich abarbeitet.
Es war immer klar, dass die Kirche, bei aller Kritik am Papst, auch eine Verbindlichkeit hat, die für mich Heimat ist. Ich konnte nie verstehen, wenn für die Leute die Debatte um den Papst und die Kondome alles andere überdeckte. Ich dachte dann immer: Es geht doch erst um die Frage, wie stehe ich zu diesem Gott, halte ich das für möglich, was sagt mir die Schrift – und dann kommen die mit dem Kondom. Sicher kann ich in einer Institution, die hierarchisch verfasst ist, Schwächen benennen. Wenn es heißt: Du bist doch jetzt Priester, du musst doch loyal sein, bedeutet für mich Loyalität, dass ich versuche, zu verstehen, wie es gedacht ist. Wenn ich dann zu einem anderen Ergebnis komme, sage ich das auch. Aber ich kann diese Plattheiten nicht ab. Das ist oft die Diskussion, halb eins, achtes Bier und der Papst und das Zwangszölibat. Das ist doch Quatsch, keiner wird gezwungen.
Haben Sie schon mal die Geduld verloren?
Zuerst war ich ganz erpicht zu sagen: Man kann es doch anders sehen. Aber die Leute wollen oft gar keine anderen Antworten bekommen. Auf manchen Geburtstagen habe ich auch gesagt: „Ich bin hier, um zu feiern und nicht, um zu diskutieren.“ Wenn jemand mit ernsthaften Anfragen kommt, wäre ich der Letzte, der sagt, ich habe kein Interesse daran. Aber bei diesem anderen ist es auch eine Frage des Selbstschutzes.