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Archiv-Artikel

Stirb langsam, Öko-Uni

KEIN ARTENSCHUTZ In Greifswald ringen Studenten und Mitarbeiter um den von dem Alternativen Nobelpreisträger Michael Succow gegründeten Naturschutz-Studiengang. Dass Umwelt immer auch eine gesellschaftliche und politische Frage ist, gilt nicht mehr

„Als würden die Orang-Utans aussterben, weil sie zu wenig Sex haben“

HANS JOOSTEN

AUS GREIFSWALD ANKE LÜBBERT

Der Beginn war ein Umweltmärchen. Michael Succow hatte 1990 in einer letzten Amtshandlung als stellvertretender Umweltminister der DDR 7 Prozent der Landesfläche unter Naturschutz stellen lassen, ein Akt, für den er später den Alternativen Nobelpreis verliehen bekam. Nach der Auflösung des Kabinetts ging er zurück an die Greifswalder Universität, wo er den Studiengang Landschaftsökologie und Naturschutz gründete.

Immer wieder wurde Succow seitdem vorgeworfen, dass es ihm dabei weniger um Wissenschaft als um Politik gehe. Er macht keinen Hehl aus seiner Hauptmotivation: Umweltschützer auszubilden, die sein Credo von der „Krise als Chance“ teilen, die Umbruchsituationen überall auf der Welt nutzen, um dort möglichst viel für den Naturschutz zu erreichen. Seit dem Ende der 1990er Jahre studierten etwa 500 zukünftige Naturschützer in Greifswald, von denen viele mittlerweile in Ministerien, Thinktanks und Umweltorganisationen arbeiten – in Deutschland und weltweit.

Seit ein paar Jahren aber stirbt der ehemalige Vorzeigestudiengang den langsamen Tod an einer armen Universität. Seit Succow 2006 emeritiert wurde, haben drei seiner wichtigsten Mitstreiter die Stadt verlassen. Zwei Professuren sind vakant, eine ist bereits so gut wie abgeschafft.

Wenn man wissen will, was den Studiengang ausmacht, muss man den Professor für Moorkunde besuchen. Hans Joosten sitzt in seinem Büro in einer Villa inmitten des Botanischen Gartens. Die Türen stehen offen, sein 20-Quadratmeter-Raum platzt mit zwei Mitarbeiterinnen, Bücherregalen und einer Materialsammlung aus allen Nähten.

Hans Joosten ist Niederländer, 58 Jahre alt. Auf der Suche nach Mitstreitern, die aus der Praxis kamen und bereit waren, interdisziplinär zu denken und forschen, holte Succow ihn nach Greifswald. Vorher pendelte Joosten zwischen Jobs in Ministerien und an niederländischen Universitäten. Er hatte die „aggressivste Moorgruppe der Niederlande“ gegründet, wie er sagt, und wegen nicht beachteter Moorschutzgesetze 1.500 Verfahren gegen niederländische Bauern laufen. „Ich war immer politisch aktiv.“

Als Succows Angebot kam, hatte Joosten gerade seinen Job gekündigt. Er vereinbarte mit seiner Familie eine Probezeit von zwei Jahren und zog aus einer Einfamilienhaussiedlung in ein Greifswalder Plattenbauviertel. Heute hat Joosten an der Greifswalder Universität einen Forschungsschwerpunkt Paludikulturen aufgebaut, seine Mitarbeiter untersuchen, wie Torfmoose und andere Sumpfpflanzen wirtschaftlich nutzbar gemacht werden können. Joosten ist Generalsekretär der internationalen Moorschutzorganisation. Etwa 30 Tage im Jahr verbringt er als Vertreter der weißrussischen Delegation bei den Klimaverhandlungen.

Unter dem regen Succow übernahm Joosten die Rolle des Bremsers und Organisators. „Succow war ein brennendes Strohfeuer“, sagt Joosten, „80 bis 90 Prozent von dem, was er anschob, funktionierte nicht, aber mit den restlichen 10 Prozent schaffte er in einem Jahr immer noch mehr als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben.“

Succow gelang es, neben Joosten auch den Umweltethiker Konrad Ott, den Umweltökonomen Ulrich Hampicke und Manfred Niekisch, Professor für Internationalen Naturschutz, nach Greifswald zu holen. Niekisch ist mittlerweile Zoodirektor in Frankfurt. Die Professur wurde nach seinem Weggang umbenannt und an die Zoologie angegliedert. „Die Begründung war, dass jeder Zoologe auch Naturschutz lehren könne“, sagt Joosten. „Naturschutz ist aber auch eine gesellschaftliche und politische Frage, nicht nur ein biologisches Problem. Als würden Orang-Utans aussterben, weil sie zu wenig Sex haben.“

Umweltethiker Ott, wie Michael Succow zeitweise Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung, saß zehn Jahre lang auf einer nackten Professur, ohne Mitarbeiter, ohne Sekretariat. Nachdem er 2012 einen Ruf an die Kieler Universität bekam, strebte er Verhandlungen mit der Greifswalder Universitätsleitung an. „Das Kieler Angebot war ungleich besser, trotzdem war es eine der schwersten Entscheidungen meines Lebens“, sagt er.

Die Beziehungen zwischen Umweltethik, Ökonomie und Landschaftsökologie bezeichnet Ott als magisches Dreieck. „Das war kein normales Universitäts-Leben, sondern es gab eine ganz bestimmte Atmosphäre, an manchen Tagen war es fast ein Flair, das über vieles hinweg getragen hat.“ Ott meint das baufällige Institut mit Toiletten, auf die er seine Gäste nicht getraut habe zu schicken, die immer knappen Mittel. Der Studiengang habe deutschlandweit Studierende angezogen, die sich genau überlegt hätten, was sie machen wollten, die einen hohen NC erfüllen mussten. „Wir hatten ‚the best and the brightest‘“, sagt er. „Diese Studenten sind zusammen mehrere Monate lang auf Forschungsreisen unterwegs gewesen, zum Beispiel in Jakutien. Zurück kamen keine Kommilitonen, sondern Freunde.“

Botanik mit Goethe

In einem Positionspapier fordern die Studierenden, den interdisziplinären „Greifswalder Ansatz“ weiterzuführen. Jan Peters, 29 Jahre, ist ehemaliger Student. Heute arbeitet er bei der Succow Stiftung, einen Steinwurf von der Villa im Botanischen Garten entfernt. „Ich glaube nicht, dass die Zeit für die Landschaftsökologie so noch mal wiederkommt“, sagt er, „diese Ära ist zu Ende.“ Für ihn liegt der Niedergang auch an einer Hochschulpolitik, die nicht auf Universalgelehrte setzt. „Hampicke war nicht nur ein großartiger Umweltökonom, der kannte mehr Pflanzenarten als mancher Botaniker und hatte Goethe-Zitate auf der Zunge“, sagt Peters. Immer mehr gehe es an der Universität um Clusterbildung, Exzellenzinitiativen und Spezialisierungen. Da zähle nur, wie viele Fachartikel jemand in Nature veröffentlicht habe. Studierende sollten heute vor allem schnell studieren – das passe nicht zum Konzept des Instituts, bei dem viel Zeit für Auslandsaufenthalte, Exkursionen, aber auch ehrenamtliches Engagement gelassen wurde.

Succow schweigt

Konrad Ott, jetzt in Kiel, hat seinen Wohnsitz immer noch in Greifswald. Er ist hoffnungsvoll und sieht bei einer guten Nachbesetzung der vakanten Stellen sogar die Chance für eine Kooperation zwischen Kiel und Greifswald, fern am Horizont einen norddeutschen Clusterforschungsbereich Umweltwissenschaften. Zu den stockenden Nachbesetzungen will er sich nicht näher äußern. „Nur so viel: „Greifswald hat die Karten noch in der Hand.“

Klaus Fesser, Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät, ist Vorsitzender der Berufungskommission für die vakante Professur für Umweltethik. Um sie attraktiver zu machen, müsste er eine zusätzliche Mitarbeiterstelle, auch ein Sekretariat anbieten. „Wir sind dabei, nach einer Lösung zu suchen. Aber das ist ein Studiengang von vielen, die alle gleich wichtig sind“, sagt er und verweist auf die angespannte finanzielle Situation. Daneben klingt auch Kritik an Succows Konzept durch. In einer Universität solle es nicht um das Erlernen von Standardfertigkeiten, sondern um Wissenschaft gehen, das Institut habe die Nachwuchsbildung vernachlässigt. „In den letzten 15 Jahren gab es nur eine Habilitation im Fach Umweltethik und nun wundert man sich über fehlende Bewerber.“

Michael Succow will sich zu der Zukunft des Studiengangs erst nach einem persönlichen Gespräch mit der Rektorin äußern. Es gibt Gerüchte, dass er darüber nachdenkt, den Sitz seiner Stiftung nach Eberswalde zu verlegen – von dort, so heißt es, gebe es nicht nur eine schnelle Verbindung nach Berlin und in den Rest der Welt, sondern auch einen Studiengang, der die Studenten so ausbilde, wie Succow sich das ursprünglich gedacht hatte: Praxisnah und interdisziplinär, mit Hintergrundwissen in Botanik und Ökologie, aber auch in wirtschaftlichen und ethischen Fragen.

Noch sei es aber nicht zu spät, sagt Umweltethiker Konrad Ott. Alles sei noch offen. Ein hervorragender Mittelbau, laufende Drittmittelprojekte, motivierte Studenten. Allerdings gebe es natürlich auch kein Patent darauf, dass es noch mal etwas Großes wird in Greifswald. „Der Geist weht, wo er will.“