Wes Anderson über abgeschlossene Welten: „Ich war kein großer Camper“

„Moonrise Kingdom“-Regisseur Wes Anderson über altbekannte Orte, die Suche nach Harmonie und die Gründung eines eigenen Landes mit eigenen Regeln.

„Als Kind habe ich gewiss von einer solchen Flucht fantasiert.“ Kinder on the road in „Moonrise Kingdom“. Bild: dapd

taz: „Moonrise Kingdom“ spielt im Jahr 1965, also kurz bevor sich in den USA vieles verändern wird. Warum haben Sie sich für diesen Zeitpunkt entschieden?

Wes Anderson: Es ist eine Ära in Amerika, in der sich Weichen gestellt haben. Mir gefiel diese Idee, zurück an einen Ort zu gehen, an dem die alte Welt noch konserviert erscheint. Es ist so, als ob man sich im Zwielicht bewegt. Dieses ländliche, Norman-Rockwell-ähnliche Amerika, die Pfadfinder, all das schien hier noch intakt zu sein.

Waren Sie selbst auch bei den Pfadfindern?

Nicht wirklich, ich war kein großer Camper. Ich war auch nicht lange genug dabei, um einen Rang zu ergattern.

Das Paar bricht in die Natur aus. Was hat es mit der Flucht der beiden Teenager auf sich?

Ihre Gefühle stoßen in der Familie auf Skepsis. Ich sehe diese Flucht als eine Rebellion an, allerdings eine, die für etwas steht – eine Liebe, die beide ausleben wollen; es hat aber auch etwas von einem Abenteuer. In gewisser Weise gründen die beiden ihr eigenes Land mit eigenen Regeln.

Das Motiv erinnert auch ein wenig an Filme mit einem kriminellen Paar auf der Flucht – Nicholas Ray hat einen frühen gemacht …

„They Live By Night“, genau; ich kenne diese Filme, es mag auch etwas davon in meinem sein. Meist ist es aber so, dass es viele unbewusste Einflüsse gibt, die ich gar nicht benennen kann. Ich bilde mir lieber ein, ich hätte das alles selbst erfunden. Als Kind habe ich gewiss von einer solchen Flucht fantasiert. Das sind Geschichten, an denen man im Kopf arbeiten kann wie an einem Bild.

43, geboren in Houston, Texas, studierte Philosophie in Austin. Gemeinsam mit dem Schauspieler Owen Wilson verfasste er das Drehbuch zu seinem Debütfilm „Bottle Rocket“ (1992). Andersons stilistisch eigensinnige Filme erkunden oft dysfunktionale Familien, etwa wie in „Die Royal Tenenbaums“ (2001), für den er eine Oscar-Nominierung erhielt. Zuletzt machte er den Animationsfilm „Der fantastische Mr. Fox“ (2009).

Viele Ihrer Filme spielen in abgeschlossenen Welten: in großen Häusern, die wie Puppenhäuser wirken, auf U-Booten, der nun auf einer Insel. Warum?

Die Idee des Puppenhauses gefällt mir, weil es eine Bühne ist. Ich suche wohl stets Welten, die ich selbst aufbauen kann und die dabei etwas Theaterhaftes behalten. Tatsächlich habe ich nie in meinem Leben Theater gespielt. Außerdem kehre ich auch gern an Orte zurück, an denen ich schon einmal war, obwohl sie in der Regel enttäuschen, weil alles zerstört ist. Aber es gibt auch solche, an denen sich etwas bewahrt hat, das sich wiedererwecken lässt.

Das führt mich zur Nostalgie in Ihren Filmen. Haben sie Sehnsucht nach der Vergangenheit?

Ich bin definitiv zufriedener mit älteren Zeiten … Ich empfinde allerdings keine Nostalgie für die sechziger Jahre, eher für die zwanziger oder dreißiger Jahre. Es muss keine Zeit sein, die es wirklich gegeben hat. Mir gefällt der Look bestimmter Objekte besser, das Handwerkliche daran, das auch von den Menschen erzählt. Dies mag ein romantischer Gedanke sein. Doch ich könnte vermutlich mit vielen Dingen gar nicht richtig umgehen.

Ist die Musik Ihrer Filme auch so ein Behältnis von Zeit?

Die Musik ist auch ein Mittel, um den Eindruck des Bühnenhaften zu betonen. Mit der Nummer von Françoise Hardy, zu der sich die beiden das erste Mal küssen, verbinde ich selbst allerdings gar nicht so viel. „The Young Person’s Guide to the Orchestra“, dieses Benjamin-Britten-Album, besaß ich selbst, mit ihm verbinde ich bestimmte Erinnerungen, deshalb musste es auch die Aufnahme von Leonard Bernstein sein, die um 1960 entstanden ist. Sie war ein zentraler Ausgangspunkt für den Film.

Mit dem Theater teilt Ihre Arbeit auch die Idee eines Ensembles. Erleichtert das etwas in der Gestaltung?

Das Ensemble lässt mich freier arbeiten. Man muss nicht jedes Mal von vorn anfangen, es gibt ein Grundvertrauen. Es hat tatsächlich etwas Familienhaftes, was allerdings nicht jedermann gefällt – es gibt eben auch Familien, in denen man sich unwohl fühlt. Ich suche allerdings immer Harmonie.

Wie leicht haben sich Neulinge wie Edward Norton oder Bruce Willis in Ihre Crew eingefügt?

Mit Edward Norton verbindet mich schon eine längere Freundschaft. Wir haben mit Kameramann Robert Yeoman auch eine Zeit lang gemeinsam gewohnt, um die Rolle des Scout Master Ward vorzubereiten – ein intensiver, schöner Prozess. Edward ist als Typus wie geschaffen für dieses ländliche Amerikabild. Bruce Willis hatte weniger Zeit zur Verfügung, aber das Überraschende an ihm war, dass er eine sehr klare Vorstellung von seiner Rolle als Polizist hatte.

Die szenischen Auflösungen sind bei Ihnen sehr ausgeklügelt. Ist das auch eine Rebellion gegen gängige Erzählkonventionen?

Ich habe immer ein paar Bilder im Kopf, die für den Film von Bedeutung sind und denen ich dann hinterherjage. Das Setting der einzelnen Szenen, die Kamerabewegungen, all das verdankt sich auch unbewussten Ideen – es ist wie eine Handschrift. Allgemein geht es mir in der Umsetzung darum, das Intendierte am besten zum Ausdruck zu bringen. Aber lieber sehe ich es natürlich als Rebellion, weil das als Idee etwas Wagemutiges und Bewegendes hat.

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