Sportreporterin Sabine Töpperwien: „Ich darf Schalke 05 sagen“

Die Männerwelt der Medien ließ nichts unversucht, sie von ihrem Traum abzubringen. Aber Sabine Töpperwien hat sich durchgeboxt – ohne Quote.

„Ich bin mit Leib und Seele Reporterin und am liebsten da, wo die Musik spielt.“ Zum Beispiel auf Schalke. Bild: reuters

taz: Frau Töpperwien, Sie waren viele Jahre bei Welt- und Europameisterschaften fürs Radio am Mikrofon. Mittlerweile sind Sie ARD-Teamchefin. Kommen Sie da überhaupt noch zum kommentieren?

Sabine Töpperwien: Nein, ich bin für die ganze ARD zuständig, also wie bei der WM 2006 Mädchen für alles, aber auch verantwortlich für alles.

Wird Ihnen die Sprecherinnenkabine in der Ukraine und Polen nicht fehlen?

Klar, ich bin ja mit Leib und Seele Reporterin und am liebsten da, wo die Musik spielt. Aber ich war bei zehn Welt- und Europameisterschaften; da ist es doch gut, sich weiterzuentwickeln, statt nur an seine eigenen Bedürfnisse zu denken.

Zu denen gehört offenbar nicht, als Gesicht präsent zu sein wie Ihr Bruder Rolf, der bis zu seinem Rücktritt vor zwei Jahren allein fast 1.500 Bundesligaspiele kommentiert hat?

Nein. Aber wenn ich ein Lokal betrete und es dreht sich jemand um, weiß ich, der hat mich an der Stimme erkannt. Manchmal kommen die auf mich zu, wollen Autogramme, fragen, wie’s denn läuft. Andere wieder merken das gar nicht. Das finde ich toll, eine ganz besondere Mischung. Die einen bleiben eben völlig unerkannt, auch wenn sie schillernde Berufe haben; andere sind hyperprominent und können praktisch keinen Schritt vor die Tür machen, ohne dass sie belagert werden. Das Radio bietet mir da eine schöne Position in der Mitte.

geboren 1960. Soziologiestudium, anschließend arbeitet sie beim NDR-Hörfunk. 1989 wechselt sie zum WDR, seit 2001 Leiterin der WDR-2-Sportredaktion.

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Unsere EM

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War das Ihr Kindheitstraum?

Mehr ein Jugendtraum. Ich interessiere mich seit jeher für Fußball und saß schon als Kind samstags, Punkt 15.30 Uhr, am Radio. Aber dass aus meinem Hobby wirklich mal ein Beruf wird, dass wurde erst vor 23 Jahren klar, bei meiner ersten Bundesligareportage.

Können Sie sich noch an die Mannschaften erinnern?

(Lächelt verträumt) Oh ja! Das war am letzten Arbeitstag vor meinem Wechsel vom NDR zum WDR: St. Pauli gegen den HSV, als Arenen noch Namen wie Volksparkstadion trugen. Ein 0:0, aber trotzdem total aufregend, weil schon vorab bekannt geworden war, dass ich kommentiere. Dadurch entstand ein richtiger Hype um mich, auch wenn die Skepsis überwog.

Der Carmen-Thomas-Effekt.

Genau, mit ihrem „Schalke 05“ durfte ich mich auch noch auseinandersetzen. Aber man misstraute mir grundsätzlich, das Spiel lesen zu können. Gerade im Radio, wo es keine Alternative zum Zuhören gibt, war es für viele undenkbar, dass eine Frau Fußball erklärt.

Und zwar Männern.

Die besonders. In Fachkreisen wurde mein Einsatz gelobt, bei den Hörern gingen Anerkennung und Ablehnung auseinander. Die Leserbriefe reichten von „belebend“ bis „zurück an den Herd“. 1989, wohlgemerkt, nicht 1973! Gut, dass Rolf mich auf so was vorbereitet hatte.

Anders als Ihr Bruder sind Sie nie im Fernsehen zu sehen.

Falsch! Ich hab bei der Frauen-EM 1989 in der ARD ein Halbfinale kommentiert und beim WDR sogar mal Männerfußball, ein Vorbereitungsturnier der Bundesliga. Aber ich fühl mich im Radio pudelwohl. Da kann man seine Persönlichkeit viel mehr einbringen als im Fernsehen, wo man das Bild nur unterstützt. Wir müssen es ersetzen, da sind wir eher Maler als Moderatoren.

Aber wer, bitte, soll das bloß hören, wenn die komplette EM – anders als die Bundesliga, die es live nur bei Sky gibt – frei empfangbar ist?

Alle, die ihren Lebensrhythmus nicht für drei Wochen komplett ändern können; im Büro, an der Werkbank, unterwegs ist Radio das ideale Begleitmedium. Wen Fußball außerdem nur am Rand interessiert, kann dank unserer Berichterstattung wenigstens mitreden. Und es gibt eine beträchtliche Zahl Zuschauer, die den Ton abdrehen und den Radiokommentar hören.

Wann haben Sie begonnen, am Fernseher den Ton abzudrehen und zu kommentieren?

Mit 13, 14 – mit einem Springseil als Mikro. Drei Jahre später war klar: Ich will Sportreporterin werden. Neben dem Soziologiestudium hab ich für Zeitungen geschrieben, erst in Osterode, dann Göttingen, zum Schluss Hannover. Ein bisschen hochgearbeitet eben. Es stellte sich übrigens raus, dass ich die erste Frau in Deutschland war, deren Diplomarbeit um Fußball ging. Der Knackpunkt war aber eine Konferenz während eines Praktikums in der Sportredaktion des NDR. Ich wurde gefragt, was eigentlich mein Fachgebiet sei. Als ich wie aus der Pistole geschossen „Fußball“ sagte, guckten mich alle an, als käme ich vom anderen Stern.

Und Sie mussten schnell Abseits erklären.

Ach, nicht mal das. Es hieß dann: Was halten Sie denn von …

Rhythmischer Sportgymnastik.

(lacht) … genau. Da hab ich mein Herz in die Hand genommen und gesagt: Danke fürs Angebot, aber ich bin keine, die ihr in die Frauenecke stellen könnt. Das Tolle war, dass der Chef meinte, lasst uns einen Kompromiss finden: Hockey. Da gibt’s ne Kugel, die man als Ball bezeichnen kann. Das wird von Herren und Damen gespielt – und war in Hamburg schwer in. Jawoll! In Ordnung! Mach ich! Im Lauf der Jahre habe ich die aber weiter genervt, bin immer wieder auf Fußball gekommen, bis sie irgendwann nicht mehr dran vorbeikonnten, um mich meinem Traum ein bisschen näher kommen zu lassen.

Heute sind Frauen selbstverständlicher Bestandteil im Fernsehsport.

Es geht langsam in die richtige Richtung. Inzwischen schmückt man sich gern mit Frauen. Aber vor dem Hintergrund, dass man Frauen, die im Sportjournalismus prägend sind, an zwei Händen abzählen kann, ist noch eine ganze Menge zu tun. An der Spitze ist es immer noch dünn.

Spitze heißt auch Länderspiele, der Ritterschlag.

Es gibt für Reporter nichts Größeres als EM oder WM. Das sind Erlebnisse, die über Tiefs hinweghelfen und viel Routine bringen. Und Reputation, denn Sie sind in dem Job davon abhängig, wie andere Sie sehen. Wer da in bestimmte Kreise aufgestiegen ist, wird ernster genommen.

Wie lang dauert es noch, bis eine Frau ein Länderspiel kommentiert?

Im Fernsehen? Keine Ahnung. Im Radio habe ich ja schon viele übertragen. Aber solange es noch nicht mal eine gibt, die in der Sportschau berichtet, ist das ausgeschlossen. Das ist ja auch der Grund, warum ich das Radio so liebe. Es ist in vielerlei Hinsicht fortschrittlicher.

Führen Sie darin einen Geschlechterkampf?

Der Begriff ist mir zu sehr gegen etwas gerichtet. Ich mache meinen Job erst mal für mich und bin stolz darauf, nicht wegen einer Quote aufgestiegen zu sein. Ich habe mich durchgeboxt und erwarte das von allen Frauen. Trotzdem hat eine Frau bei mir bessere Chancen als ein gleichwertiger Mann. So unterrepräsentiert, wie wir sind, ist jede Einzelne gut fürs Team, für die Stimmung, fürs Publikum und für die, die nachfolgen. Als Vorbild.

Sie selbst mussten mangels weiblicher Vorbilder Ihre Rolle neu erfinden.

Ganz genau. Wenn wir bei der Samstagskonferenz drei Frauen wären, würde sich früher oder später jeder an dieses Klangerlebnis gewöhnen. Es kommen aber vier Männer, eine Frau, vier Männer, eine Frau. Ich bin immer etwas Besonderes. Solange das der Fall ist, werden sich da welche dran reiben.

Müssen Sie Fehler da umso mehr vermeiden?

Ein echter Schnitzer würde bei mir mehr auffallen. Aber es hätte nicht mehr die Folgen wie damals bei Carmen Thomas.

Sie könnten heute ungestraft Schalke 05 sagen?

Das will ich doch hoffen.

Und was erhoffen Sie sich von der EM?

Von der deutschen Mannschaft? Natürlich sind die Spanier Topfavorit, aber ich könnte mir vorstellen, dass der unbedingte Wille, eine gewisse Unbekümmertheit, gepaart mit Routine und einem Heißhunger auf den Titel, das Quäntchen für uns ausmacht.

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