Schlafen ist Widerstand

PERFORMANCE Das Kollektiv Turbo Pascal erforscht Formen des menschlichen Zusammenlebens theatralisch. In seiner neuen Arbeit bietet es der Müdigkeitsgesellschaft ein Schlaflabor mit „niedrigschwelliger“ Partizipation

Zum Ort des gemeinsamen Müdeseins wird der Festsaal in den Sophiensælen am Mittwoch, wenn das Kollektiv Turbo Pascal Premiere hat mit seiner Performance „8 Stunden (Mindestens) – Ein Schlaflabor für die Müdigkeitsgesellschaft“. Gemeinsam mit dem Publikum wird jeweils von 21 Uhr bis 7 Uhr morgens der Müdigkeitszustand erforscht und gemeinsam durch das nächtliche Berlin geschlafwandelt. Inklusive Übernachtung und Frühstück. Zahnbürste und Schlafanzug sollte man nicht vergessen!

■ „8 Stunden (Mindestens) – Ein Schlaflabor für die Müdigkeitsgesellschaft“: Sophiensæle, Sophienstraße 18, 13.–16. 3., jeweils 21–7 Uhr, 18/12 Euro

VON ESTHER SLEVOGT

Ins Theater gehen und einen Schlafanzug mitbringen? Normalerweise läuft das mit dem Theaterschlaf wohl etwas diskreter ab. Jetzt aber werden die Zuschauer explizit zum Schlafen ins Theater geladen. Beim Kartenkauf wird unbedingt zum Mitbringen der übernachtungsnötigen Utensilien geraten. Frühstück, wird versichert, gibt’s am anderen Morgen auch.

„8 Stunden (Mindestens)“ heißt die neue Arbeit des Performancekollektivs Turbo Pascal. Und das umreißt schon mal grob den Zeitrahmen des Theaterabends, der den Weg über die Theaternacht nehmen und erst am (anderen) Theatermorgen enden wird. Irgendwann im Laufe des Abends werden in den Sophiensælen 80 Feldbetten aufgestellt und die Zuschauer aufgefordert, sich zum Schlafengehen vorzubereiten. Die Feldbetten haben die Performer von Jugendlagern ausgeliehen. „Dort werden sie ja im Moment nicht gebraucht“, sagt Turbo-Pascal-Performer Frank Oberhäußer und grinst. Klar, wer zeltet bei diesen Temperaturen schon draußen?

„Unsere Art zu schlafen ist auch eine Folge unserer Sozialisation“

Acht Feldbetten sind bereits auf der Probebühne im Aufbau-Haus am Moritzplatz aufgebaut. Wer zum Probenbesuch kommt, kann das Work in progress dann angenehm im Liegen beobachten und schon mal vorkosten, wie es sich anfühlt, wenn das Sehen und Hören langsam von einer wohligen Entspannungswolke eingehüllt wird und die Sinne dafür umso wacher werden: während sie den Gesprächen über das Schlafen folgen, letzten dramaturgischen Absprachen über Spannungs- und Entspannungsbögen, Kameraeinsätze und Musik. Auch die Performer sitzen oder liegen auf den Feldbetten. Golschan Ahmad Haschemi zum Beispiel, die noch mal einen Text über das Müdesein spricht, diesen lähmenden Dauerzustand, den es ins Positive zu wenden gilt. Verena Lorbert hat noch ein paar dramaturgische Anmerkungen. Kurz zuvor wurden die verschiedenen Schlaf- und Tiefschlafphasen auf einem Diagramm groß eingeblendet und von Performer Thorsten Bihegue erläutert. An diesen Phasen wird sich dann auch die Dramaturgie der Performance orientieren. Am Wochenende wird zu den Endproben in die Sophiensæle umgezogen. Premiere wird dort am kommenden Mittwoch sein.

„Ein Schlaflabor für die Müdigkeitsgesellschaft“ haben die Performer von Turbo Pascal ihr Projekt im Untertitel genannt. Müdigkeitsgesellschaft, das ist ein Begriff, den der an der Berliner UdK lehrende Philosoph und Kulturwissenschaftler Byung-Chul Han geprägt hat. In einem berühmten Buch, das 2010 erschien, beschrieb Han die Folgen der stetigen Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche, die aus seiner Sicht zu einer verkrampft ins Positive sich zwingenden Gesellschaft führten. Die wachsenden Raten von Depressionskranken, Borderline-Geschädigten oder ADS-Gestörten beschrieb er als Symptome des gehetzten Dauerlächelns dieser Gesellschaft. Als Utopie setze er diesem vom ständigen Infarkt bedrohten Positivismus die „Müdigkeitsgesellschaft“ entgegen: als Widerstandshaltung und kontemplative Übung.

Die Dramaturgie orientiert sich an den verschiedenen Schlaf- und Tiefschlafphasen

„Unsere Art zu Schlafen ist ja auch eine Folge unserer Sozialisation“, sagt Frank Oberhäußer. „In anderen Kulturen wird ganz anders geschlafen.“ „Das Schlafzimmer ist ja erst eine Erfindung des 19. Jahrhunderts“, fügt Veit Merkle, ein anderer Turbo-Pascal-Performer der ersten Stunde, hinzu. „Wie wir heute schlafen, das ist ein Ergebnis der Industrialisierung, in der Schlaf nur noch als notwendiges Übel verstanden wurde, den Menschen wieder fit fürs Arbeiten zu machen.“ Schlafkonventionen sind also nur soziale Konstruktionen, die man auch wieder dekonstruieren kann.

Seit sich das Performance-Kollektiv 2004 an der Universität Hildesheim gegründet hat, erforscht Turbo Pascal Formen des menschlichen Zusammenlebens theatralisch. Das Institut für Kulturpolitik und ästhetische Praxis der Universität Hildesheim ist inzwischen eine führende Kaderschmiede für den Performernachwuchs in diesem Land. Wichtig für Turbo Pascals Theaterbegriff ist, das Theater als Versammlungsort zu definieren, als Ort, der vom Publikum mitgestaltet werden kann: so ermöglicht auch das „Schlaflabor“ Partizipation, und zwar „niedrigschwellig“, wie Veit Merkle betont. Also: man kann einfach nur liegen und die Sache still verfolgen. Aber es werden auch gesteigerte Formen der Mitwirkung möglich sein. Und weil wir selbstredend ästhetischer Erfahrung und – was nicht zu unterschätzen ist – Unterhaltung wegen ins Theater gehen gehen, muss dafür natürlich auch gesorgt sein. Zu viel wollen die Performer von Turbo Pascal natürlich nicht verraten: doch dass an Amüsement kein Mangel herrschen wird, das versichern sie mehr als glaubhaft.