Bleiben bis zum vollständigen Sieg

In der Debatte um einen möglichen Abzug der US-Truppen aus dem Irak ruft Präsident George W. Bush zum Durchhalten auf und entwirft ein Siegpanorama. Besonders die irakischen Sicherheitskräfte machten laut Bush große Fortschritte

VON BERND PICKERT

In einer Grundsatzrede zur Irakpolitik hat US-Präsident George W. Bush gestern alle wesentlichen Grundpositionen seiner Regierung bekräftigt und Bestrebungen zu einem vorzeitigen Abzug der US-Truppen eine klare Absage erteilt. „Wir werden nichts anderes akzeptieren als den vollständigen Sieg“, sagte Bush vor jungen Rekruten in Annapolis. Sieg im Irak bedeute, so Bush, dass die Terroristen nicht mehr in der Lage seien, die friedliche Gesellschaft im Irak zu bedrohen, und dass die Iraker selbst für die Sicherheit in ihrem Land sorgen könnten.

Die Frage, ob und wie viele US-Truppen dabei gebraucht würden, entscheide die militärische Situation vor Ort, nicht die Politiker in Washington, sagte Bush unter dem Applaus seines Publikums. Künstliche Zeitpläne für den Abzug würden lediglich Schwäche signalisieren und den Terroristen in die Hände spielen. „Wenn mir meine Militärkommandeure sagen, dass wir mehr Truppen vor Ort brauchen, werde ich mehr Truppen schicken“, sagte Bush. „Solange ich Oberkommandierender bin, wird Amerika nicht kneifen“, rief Bush aus.

Der „Plan für den Sieg“ bestehe in einer Strategie aus politischen, militärischen und ökonomischen Zielen, sagte Bush und verwies auf ein gestern auf der Website des Weißen Hauses veröffentlichtes Dokument (www.whitehouse.gov). Darin wird „Sieg“ in drei Stufen definiert: Kurzfristig macht der Irak weitere Fortschritte bei Kampf gegen den Terrorismus und beim Aufbau demokratischer Strukturen und der eigenen Sicherheitskräfte. Mittelfristig führt Irak den siegreichen Kampf gegen den Terror selbst an, unter einer demokratisch gewählten Regierung, und langfristig ist Irak ein friedliches, geeintes und sicheres Land, das voll in die internationale Gemeinschaft integriert und ein Partner im Kampf gegen den Terror ist.

Auf die tägliche Realität der Gewalt im Irak, auf die Existenz unterschiedlicher Akteure, etwa der verschiedenen Milizen, ging Bush in seiner Rede nicht weiter ein. Er machte auch keine Aussage darüber, in welchen Zeitabschnitten er sich diesen „Sieg“ eigentlich vorstellt, sondern offerierte vor allem Durchhalteparolen. Länglich referierte Bush Fortschritte bei der Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte. So seien immer mehr militärische Einheiten in der Lage, selbstständig zu agieren, wenn auch noch mit Hilfe der US-geführten Koalitionstruppen. Die Ausbildung der Iraker, für die USA derzeit ein prioritäres Ziel, würde ständig an die Erfahrungen und neuen Bedingungen angepasst – so sei die Trennung bei der Ausbildung von Polizeikräften zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und des Militärs zur Bekämpfung externer Feinde aufgehoben. In dem Maße, wie die Iraker selbst für die Sicherheit im Land sorgen könnten, wäre es auch den USA möglich, ihre Truppenpräsenz zu reduzieren.

Angesichts der auch im US-Kongress immer lauter werdenden Forderungen nach einem Abzug sagte Bush: „Wir sollten die Debatte in Washington nicht fürchten“, auch wenn er verstehe, dass solche eine Diskussion das Allerletzte sei, was die Männer und Frauen in Uniform brauchen könnten.

An die Öffentlichkeit, die dem Irakkrieg immer kritischer gegenübersteht, wandte sich Bush mit den Worten: „Die meisten Bürger wollen zwei Dinge: dass wir gewinnen und dass unsere Soldaten nach Hause kommen. Das will ich auch.“ Gerade im Gedenken an die im Irak getöteten mehr als 2.100 US-Soldaten aber sei Beharren vonnöten: „Es gibt nur einen Weg, die Opfer wirklich zu ehren – den Kampf fortführen und die Mission zu Ende bringen.“

In einer ganzen Reihe von Reden will Bush in den nächsten Tagen der Debatte um einen Abzug und den Vorwürfen, der US-Regierung mangele es an einer „Exit Strategy“, entgegentreten. Vermutlich Anfang 2006, also ein paar Wochen nach den irakischen Wahlen am 15. Dezember, wird die Regierung dann die Truppenstärke von derzeit fast 160.000 Soldaten wieder auf die knapp 140.000 reduzieren, die auch in diesem Jahr durchschnittlich im Irak waren. In den USA rechnen die meisten Kommentatoren damit, dass noch rechtzeitig vor den Kongresswahlen im November weitere kleinere Truppenreduzierungen folgen, um der Heimatfront Erfolg signalisieren zu können.