Vom modernen Menschen verdrängt: Chancenlose Neandertaler
Naturkatastrophen und Klimawandel setzten dem Neandertaler schwer zu. Schuld an deren Aussterben war aber der anpassungsfähigere Homo sapiens.
WASHINGTON dpa | Der moderne Mensch übte mehr Druck auf die Neandertaler aus als Naturkatastrophen. Laut einer aktuellen Studie, spielten demnach weder heftige Vulkanausbrüche noch rapide Klimaschwankungen beim Verschwinden des Neandertalers eine entscheidende Rolle.
Die Verwandten des modernen Menschen lebten in kleinen Gruppen und waren sehr mobil, sie konnten zunächst gut mit solchen Widrigkeiten umgehen, schreibt ein Forscherteam in den Proceedings der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften (PNAS). Auf längere Sicht sei Homo sapiens aber noch besser für die Anforderungen gerüstet gewesen und habe sich gegenüber dem Neandertaler durchgesetzt.
Während der letzten Kaltzeit vor etwa 100.000 bis 30.000 Jahren zogen die modernen Menschen von Afrika nach Europa und breiteten sich dort aus. Sie trafen dabei in vielen Regionen auf Neandertaler, die dort schon seit Zehntausenden von Jahren lebten. Etwa 40.000 Jahre vor unserer Zeit ging die Zahl der Neandertaler deutlich zurück, vor etwa 30.000 Jahren waren sie komplett ausgestorben.
Wissenschaftler rätseln seit langem darüber, welche Gründe für das Aussterben unserer Verwandten maßgeblich waren. Eine mögliche Ursache ist das Klima. Es gab in diesem Zeitraum immer wieder heftige Kaltzeiten, die von wärmeren Zwischenzeiten unterbrochen wurden. Die Gruppen waren gezwungen, vor der Kälte gen Süden zu fliehen, besiedelten die alten Gebiete aber in Warmzeiten wieder.
Evolutionsgewinner
Einige Forscher nehmen an, dass der moderne Homo sapiens besser für die ständigen Klimaveränderungen gerüstet war als der Neandertaler. Zusätzlich habe ein schwerer Vulkanausbruch vor etwa 40.000 Jahren den Neandertalern zu schaffen gemacht. Dabei wurden große Mengen Asche über weite Teile Europas verteilt und lösten vermutlich einen vulkanischen Winter aus.
Die Forscher um John Lowe von der Royal Holloway University of London hatten Ablagerungen der ausgestoßenen Vulkanasche untersucht: Die kleinen Glaspartikel lassen sich auch unter dem Meer oder in Höhlen finden. Solche Fundorte seien bisher in der Forschung kaum berücksichtigt worden.
Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler archäologische Funde von Neandertalern und frühen Homo sapiens-Populationen genauer datieren und die zeitlichen Abläufe besser untersuchen. Sie stellten fest, dass in vielen Regionen Europas Überreste von Neandertalern sowie Hinterlassenschaften ihrer Kultur schon lange vor dem Vulkanausbruch seltener werden. Stattdessen gibt es vermehrt Fundstücke, die mit dem Vordringen anatomisch moderner Menschen in Verbindung gebracht werden, etwa ausgefeiltere Werkzeuge.
Die Interaktion zwischen Neandertaler und Homo sapiens habe bereits in der Zeit vor 40.000 Jahren stattgefunden, berichten die Forscher. Für die urtümlichen Neandertaler habe der Kontakt üble Folgen gehabt - verheerender als der gewaltige Vulkanausbruch.
Leser*innenkommentare
Stephan
Gast
Gibt es aktuell ein populär-wissenschaftliches Buch, das den aktuellen Forschungsstand in Sachen Neandertaler spiegelt? Danke und Grüße - Stephan
deviant
Gast
Schaut man sich die Geschichte des sogenannten homo sapiens an, muss man eigentlich davon ausgehen, dass homo neanderthalensis nicht durch eine anpassungsfähigere Spezies verdrängt wurde, sondern dass er Opfer eines Vernichtunsgkrieges wurde oder auch einfach wie ein Tier "bejagt" wurde. Aufgrund höher Fertilität und besserer Waffen der Jäger hatte die Beute nie eine Chance.
Biks
Gast
Das erinnert daran, wie die modernen Europäer -- also die, die den Neandertaler verdrängt haben -- später bei der Kolonialisierung der restlichen Welt mit den Einheimischen umgegangen sind und vielfach heute noch mit Menschen umgehen, deren Wurzeln offensichtlich auf anderen Kontinenten liegen.
HP Remmler
Gast
"sapiens" ist meines Wissens lateinisch und heißt "wissend", oder auch "weise".
Dass aber der Homo sapiens "gewonnen" hat, scheint mir angesichts der Machtfülle von Exemplaren wie Putin, Berlusconi, Schröder (Gerhard oder Kristina, egal) und vielen anderen bestenfalls eine Momentaufnahme bzw. ein Zwischenresultat zu sein.
ion
Gast
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Quelle:
Deutschlandfunk,
Serie: «Wozu brauchen wir ...»,
22.072012, 17:05, «Wozu brauchen wir Philosophie?»,
Karin Fischer im Gespräch mit Richard David Precht
Exzerpt, R. D. Precht:
„Mmh: Gentechnik, Sterbehilfe; auch die Hirnforschung wird sehr, sehr viele moralische Probleme aufweisen, denn die Folgen der Hirnforschung werden beträchtlich sein; Also, wenn wir das Gehirn noch weiter entziffern – und das Verhalten der Menschen – dann werden wir zu neuen Normen kommen, wie ein ’normaler’ Mensch ist oder zu sein hat, und wir werden ganz viele Menschen pathologisieren, weil irgendwas in ihren Gehirnen anders läuft als bisher, wir werden Menschen, die noch an Gott glauben, vielleicht in 20 Jahren nur noch für Spinner halten, weil wir wissen, wie die Gottes-Vorstellung in unserem Gehirn erzeugt wird und warum sie aus evolutionären Gründen mal entstanden ist; das hat ja gewaltige Auswirkungen; (....).“
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