Kommentar Bosniens Perspektiven: Ein von Europa verlassenes Land

Für viele Menschen in Bosnien verblasst das Licht am Ende des Tunnels. Dieses Licht war einmal die EU.

Ist Bosnien ein verlorenes Land? Noch drängt nicht die gesamte Bevölkerung ins Ausland, es gibt viele Junge, die bleiben wollen, es gibt Vitalität, eine menschlich berührende, nichtnationalistische und tolerante Tradition und nach wie vor ein vor allem bei den Bosniaken lebendiges positives kollektives Nationalbewusstsein. Doch verblasst für die meisten Menschen das Licht am Ende des Tunnels. Und dieses Licht war einmal die EU.

Die negative Stimmung wird natürlich auch durch interne Ereignisse genährt. Die jetzt von dem Sozialdemokraten Zlatko Lagumdzija vorgeschlagenen Verfassungsänderungen sind nur ein Ausdruck länger wirkender politischer Linien. Sie kommen den kroatischen Nationalisten entgegen, die nichts aus der blutigen Vergangenheit gelernt haben. Natürlich müssen in so einem komplizierten und heterogenen Land Kompromisse geschlossen werden. Mit allen. Und doch muss man fragen, ob der Machterhalt diesen Kompromiss wirklich rechtfertigt.

Mit dem Rücktritt des Sozialdemokraten Komsic als Mitglied des Staatspräsidiums wird der Konflikt nun in die Partei verlagert. Komsic ist populär, ein Urgestein Sarajevos, ein Kroate, der im Krieg für ein multinationales Bosnien und Herzegowina gekämpft hat. Ein Symbol für den Zusammenhalt des Landes und für die religiös-politische Toleranz. Nach wie vor wollen ja die nationalen Kräfte der Nachbarländer Kroatien und Serbien Bosnien und Herzegowina zerstören.

Mehr als die schon 100 Jahre lang bekannte Attacke der Nationalisten beider Seiten aber schmerzt, dass das Europa der EU seit Jahren nichts mehr dagegen unternimmt. Die EU ist heute offenbar nicht mehr daran interessiert, sich für die eigenen Werte Toleranz, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzusetzen.

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Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

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