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Russische Oppositionelle verurteiltAcht Jahre ins Lager

Die offizielle Anklage gegen Taisia Osipowa lautete auf Drogenhandel. Aber der Prozess in Smolensk war voller Merkwürdigkeiten.

Das Gericht hat das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß noch verdoppelt: Taisia Osipowa. Bild: dapd

SMOLENSK taz | „Das ist ein schreckliches Urteil“, sagt der russische Oppositionspolitiker und Koordinator der Linksfront, Sergej Udalzow. Anfang dieser Woche verurteilte ein Gericht in Smolensk Taisia Osipowa, eine Gegnerin von Präsident Wladimir Putin, wegen Drogenhandels zu acht Jahren Straflager. Die Staatsanwaltschaft hatte vier Jahre gefordert.

Offiziell war das Verfahren, das es in der vergangenen Woche auch erstmals in die nationalen Nachrichten schaffte, öffentlich. Dennoch wurden Journalisten und Unterstützer von Osipowa von der Urteilsverkündung ausgeschlossen. Der Saal sei zu klein, hieß es zur Begründung. Erst nach stundenlangem Warten durften Pressevertreter einige Fotos von der in einen Käfig gesperrten 28-jährigen Aktivistin der Partei Anderes Russland, machen.

Taisia Osipowa war bereits im November 2010 inhaftiert worden. Angeblich wurden bei einer Durchsuchung ihrer Wohnung Drogen gefunden. Sie gab damals an, dass ihre Festnahme mit der politischen Arbeit ihres Mannes Sergej Fomschenkow zu tun habe, der einer der Vorsitzenden von Anderes Russland ist.

Von Anfang an tat sich das Gericht schwer, stichhaltige Beweise für die Anklage zu präsentieren. Die russische Opposition setzte sich für Osipowa ein. In Moskau gab es Solidaritätskundgebungen für die „politische Gefangene“. Am 29. Dezember 2011 erging das erste Urteil: zehn Jahre Haftstrafe. Dieses hohe Strafmaß alarmierte sogar den damaligen Präsidenten Dmitri Medwedjew. Er bezeichnete das Urteil als „sehr hart“, zog es aber vor, sich nicht weiter einzumischen.

Sie ist schwer krank

In diesem Jahr befasste sich das Gericht erneut mit dem Fall. Auf Drogenhandel stehen in Russland acht bis fünfzehn Jahre Gefängnis. Taisia Osipowa ist schwer an Diabetes erkrankt und hat eine minderjährige Tochter. In einem solchen Fall sieht das Gesetz die Möglichkeit vor, die Haftstrafe auszusetzen, bis das Kind 14 Jahre alt ist, oder eine Bewährungsstrafe zu verhängen. Doch diese Möglichkeit ließ das Gericht ungenutzt.

Viele Fragen sind auch jetzt nicht beantwortet. Wem nützt eine junge Frau, die bislang nur dadurch aufgefallen war, dass sie dem Gebietsgouverneur mit einem Nelkenstrauß ins Gesicht schlug? Warum traten bei dem Prozess Menschen auf, die anonym blieben, von allen anderen Zeugen aber niemand sicher war, Osipowa beim Drogendealen erkannt zu haben? Warum führte die Polizei keinen Test mit Lügendetektoren durch? Warum waren die „Hüter des Gesetzes“ so peinlich darauf bedacht, die Presse von dem Prozess fernzuhalten?

Die Opposition ruft nun wie immer zum Kampf gegen die Staatsmacht auf. „Das Urteil verstärkt nur die Abneigung gegen die Regierung. Erneut ist der Gesellschaft ein Signal gesendet worden, den Kampf fortzusetzen“, sagt der Oppositionspolitiker Sergej Udalzow. Die politische Situation in Smolensk könne nur als „Sumpf“ bezeichnet werden. Nach dieser Gerichtsentscheidung seien in Russland neue landesweite Proteste denkbar – wenn auch wohl nicht in Smolensk selbst.

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11 Kommentare

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  • B
    Benz

    @Hendrix

    Wenn ich ''dieser Prozess'' schreibe, beziehe ich mich auf den Prozess, der Thema des Artikels ist, also auf den Drogenprozess.

  • H
    Hendrix

    Benz, Ihre Aussagen sind so wirr, dass es schwer ist, darauf zu antworten. Ich sprach vom Chodorkowski- Prozess. Meinen Sie den gleichen mit "in diesem Prozess", wenn ja, was hat ein Drogenhändler damit zutun? Bitte drücken Sie sich klar aus.

  • B
    Benz

    @Hendrix

    In diesem Prozess gab es tatsächlich massiven politischen Druck: Medwedew hatte sich öffentlich geäussert, dass das Urteil falsch sei und verlangte ein tieferes Strafmass. Das tat er aus durchsichtigen politischen Gründen, er wollte die radikale ausserparlamentarische Opposition, zu welcher der Drogenhändler gehört, beruhigen.

     

    Und so etwas kann ja wohl nicht sein. Die Urteilssprechung ist Sache des Richters, nicht des Präsidenten. Dass sich der Richter dieser Anweisung von oben widersetzte, zeigt seine Unabhängigkeit und widerlegt Ihre These, alle Urteile seien von oben diktiert.

     

    Der russ. Präsident himself mischte sich ein und diktierte ein Urteil. Der Richter pfeifte darauf und urteilte anders. Was wollen Sie eigentlich noch für Beweise für die Unabhängigkeit der russ. Justiz??

     

    Aus unerfindlichen Gründen verweigern Sie sich strikte der Tatsache, dass jemand gleichzeitig sowohl Revolutionär als auch Krimineller sein kann.

     

    @Gata

    Wenn Sie denn Prozess etwas verfolgt hätten, wäre Ihnen aufgefallen, dass bei der Dame Drogen im Spiel waren. Oder bei Chodor- wollen Sie behaupten, der sei mit fleissiger Arbeit allein zu seinen Milliarden gekommen? Oder die Pussen- die gröhlten auf Konzerten, auf dem Roten Platz, in der Moskauer Metro monatelang ihre putinfeindlichen Parolen ohne dass sich die Justiz dafür interessiert hätte. Erst als sie eine Kirche schändeten, griff die Justiz ein- was beweist, dass es mitnichten um die Putinkritik, sondern um den Schutz der Glaubensfreiheit ging.

     

    Dass ''Personen aufgrund Ihrer polit. Gesinnung'' verurteilt werden'' ist eine Behauptung Ihrerseits. Was jedoch offensichtlich ist, dass Sie Personen aufgrund deren politischer Gesinnung durch alle Böden zu verteidigen bereit sind. Gesinnungsjustiz eben: Was jemand getan ist egal, hauptsache er denkt politisch richtig.

  • H
    Hendrix

    Benz, das war keine geistreiche Erwiderung. Es geht nicht um den Staatsanwalt, der eine Strafe fordert, sondern darum, dass dem Richter SEINE Entscheidung von den Behörden aufgedrückt wurde; die Gerichtssprecherin Wassiljewa hatte das schön im Fall Chodorkowski beschrieben. Ein ganz konkreter Vorgang in einem der wichtigsten russ. Prozesse überhaupt.

     

    Jetzt könnten Sie versuchen wie die russ. Staatsmedien die Gerichtssprecherin zu diskreditieren. Damit sind wir an einem zentralen Punkt: Was sind "unabhängige Quellen" in einem totalitären Staat? Die Gerichte, die Staatsmedien, gar Regierungskommissionen? Wohl kaum, hiesse das doch den Bock zum Gärtner zu machen. Es ist die Summe aller Fakten, die letztlich doch ein klares Bild ergibt.

  • G
    Gata

    In Russland handelt es sich tatsächlich um eine Gesinnungsjustiz per definitionem, da Personen aufgrund ihrer politischen Gesinnung verurteilt werden, indem von herrschenden politischen Kräften Einfluss auf die Rechtssprechung ausgeübt wird, wie in diesem Fall oder im Fall Pussy Riot sehr augenfällig.

     

    Der Angeklagte ist übrigens eine Frau, ich hoffe, "Benz" hat sich mit dem Fall vertraut gemacht und plappert nicht irgendwelche Phrasen nach Anweisung nach.

  • B
    Benz

    @Hendrix

    ''Zur Klarstellung: russische Richter führen immer nur Anweisungen von oben aus''

     

    Na dann wissen wir ja jetzt wie's läuft. Von wo haben Sie denn diese fundamentale Erkenntnis? Sagen Sie jetzt nicht, von Kasparow oder Chodor. Gibt es eine unabhängige Quelle, die ihre Worte bestätigen kann?

     

    Zur Entgegennahme des Strafmasses von den Behörden will ich Ihnen ein kleines Geheimnis verraten: Das ist immer so. In jedem Prozess legen die Behörden, vertreten durch den Staatsanwalt, dem Richter das Strafmass vor und verlangen vom ihm, dass er es bestätigt.

     

    @Gata

    Aber natürlich wusste der Angeklagte nichts von dem Geld. Auch hatte er keine Ahnung, was Drogen überhaupt sind. Und zudem schaute er den Richter ganz ganz unschuldig an und sagte ''ich wars nicht, ehrlich!''

     

    Es wäre wohl nicht ganz klug, einen Angeklagten immer nur dann zu verurteilen, wenn er alles gesteht. Das sehen Sie wohl auch ein.

     

    Wieder mal schön zu sehen, wie die radikale Opposition und ihre Unterstützer jeden Fall zu politisieren versuchen und jeden Kriminellen, der die ''richtige'' politische Meinung äussert, bedingungslos in Schutz nehmen. Das ist Gesinnungsjustiz reinsten Wassers.

  • G
    Gata

    Zitat: "Und Geld, deren Herkunft sie nicht erklären konnte." Sicher konnte sie es nicht erklären, sie wusste ja auch nichts davon. Genauso wenig wie sie von den Drogen wissen konnte. Billiger Trick, genauso billig wie "Benz'" regelmäßige Einlassungen hier. Glückwunsch an die Richter, haben getreu ihrer Order durch den Gebietsgouverneur gehandelt. Trotz "massiven" Drucks durch Towaritsch Medvedev.

  • H
    Hendrix

    @Benz

    Mal von der üblich plumpen Putin-Propaganda abgesehen, herrlich Ihre letzte Formulierung "...die Richter...liessen sich nicht vom massiven politischen Druck einschüchtern." Zur Klarstellung: russische "Richter" führen immer nur Anweisungen von oben aus. Es gibt in RU nichts was auch nur entfernt mit unabhängigen Gerichten zutun hätte, es sei denn ein mutiger Richter legt sich mal mit dem gesamten System an. Plastisch beschrieben im Chodorkowski-Prozess, wo eine mutige Gerichtssprecherin beschrieb wie der zuständige "Richter" Danilkin das Strafmaß des Angeklagten direkt von den Behörden entgegennahm. So läuft das...

  • B
    Benz

    Bei der Frau wurden Drogen gefunden. Und Geld, deren Herkunft sie nicht erklären konnte. Die Nachbarn sagten aus, es habe ein ständiges Kommen und Gehen von Süchtigen geherrscht. Da ist es offensichtlich, dass da mit Drogen gehandelt wurde.

     

    Die Angeklagte war nebst ihrem florierenden Business auch noch bei den Nationalbolschewiken, einer linksextremistischen russ. Partei aktiv.

     

    Aber das Gesetz ist für alle gleich- in welcher Partei ein Drogenhändler oder sonstiger Krimineller ist, spielt keine Rolle. Meinen Glückwunsch an die Richter, sie haben ihre Arbeit gut gemacht und liessen sich nicht vom massiven politischen Druck einschüchtern.

  • EW
    Ein wunder geschehen

    Es ist ein wunder, dass über ein unbekannte oppositionelle in der deutschen Medienlandschaft berichtet wird. Ich meine sie haben mit Frau Timoschenko genug zu tun. Naturlich für so was unwichtigere Sachen haben sie keine Zeit. Außerdem, was ist denn 8 Jahre Gefängnis. Es ist wie 8 Tage, die Zeit vergeht schnell. Jedenfalls finde ich es Toll, dass TAZ sich außer kriminelle auch um die anständige oppositionelle kümmert.

    unabhängig von dem Thema, kann mir jemand sagen was für eine Zeitung TAZ ist? Für mich ist sie keine Linke Zeitung, auch nicht rechte. Ach was weis ich irgendwo dazwischen.

  • W
    Wahrnehmung

    Warum habe ich von dem Fall dieser Opositionellen Ende letzten Jahres nichts in der taz und anderen Leitmedien gelesen?

     

    Weil sie sich ncht, wie die Femen in der Ukraine oder Pussy Riot in Russland, ausgezogen hat?

     

    Da haben die Femen wohl leider recht behalten. Einfach nur protestieren nimmt keiner wahr.

     

    Schade...