Kommentar zu Kommunen: Stockton ist überall

Die Kommunen stehen am Rande der Pleite. Grund dafür sind drastische Einnahmerückgänge, nicht zuletzt verursacht durch die Steuersenkungsideologie.

Nicht nur in den Vereinigten Staaten, auch in der Bundesrepublik stehen Kommunen am Rande der Pleite. Ebenfalls kein US-amerikanisches Phänomen ist der geradezu kindlich naive Glaube an die unbegrenzten Möglichkeiten der Finanzmärkte, der so manchen städtischen Kämmerer dazu brachte, hochspekulative Anlageprodukte für einen genialen Ausweg aus seinen Haushaltsnöten zu halten.

Zinswetten, sogenannte CMS Spread Ladder Swaps, waren lange Zeit der große Renner. Hunderte von deutschen Städten und Gemeinden setzten darauf – und verloren Unsummen, wie das bei einer Wette im Spielkasino nun mal passieren kann. Hätten sie solide gewirtschaftet, statt Millionensummen zu verzocken, müssten Städte wie Remscheid und Solingen jetzt nicht darüber streiten, ob sie sich noch ein Symphonieorchester leisten können. Stockton ist überall.

Allerdings wäre es zu billig, die Notlage vieler Kommunen allein auf örtliche Fehlentscheidungen zurückzuführen. Diese haben die Krise nur verschärft, nicht hervorgerufen. Hauptgrund sind vielmehr drastische Einnahmerückgänge, nicht zuletzt verursacht durch die Steuersenkungsideologie, die das Regierungshandeln der letzten 15 Jahre bestimmt hat. Systematisch wurden die Kommunen ausgeblutet.

Die Lage ist dramatisch. In den öffentlichen Kassen herrscht gähnende Leere. Nicht nur millionenschwere langfristige Verbindlichkeiten drücken. Um wenigstens noch ihre Pflichtaufgaben bezahlen und die Liquidität sichern zu können, müssen viele Städte und Gemeinden kurzfristige Kassenkredite aufnehmen– allein in Nordrhein-Westfalen in Höhe von insgesamt mehr als 22,2 Milliarden Euro. Die Folgen: Sozialeinrichtungen und Schwimmbäder werden geschlossen, Investitionen zurückgefahren. Das Leben in den Kommunen wird ärmer.

Allerdings nicht für alle, wie der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt. Dass die privaten Vermögen des reichsten Prozents der Bundesbürger höher sind als alle Schulden von Bund, Ländern und Kommunen zusammen, sollte endlich Anlass zum Umdenken geben. Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung tatsächlich prüft, „ob und wie über die Progression in der Einkommensteuer hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann“, wie es in dem Bericht heißt. Eine steuerpolitische Kehrtwende ist notwendig. Mittels Vermögensteuer und Vermögensabgabe müssen die Reichen zur Kasse gebeten werden – und nicht nur, wie Ursula von der Leyen relativiert, „im Rahmen von freiwilligen Spenden- und Stiftertätigkeiten“.

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Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

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