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Kommentar zu KommunenStockton ist überall

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Die Kommunen stehen am Rande der Pleite. Grund dafür sind drastische Einnahmerückgänge, nicht zuletzt verursacht durch die Steuersenkungsideologie.

N icht nur in den Vereinigten Staaten, auch in der Bundesrepublik stehen Kommunen am Rande der Pleite. Ebenfalls kein US-amerikanisches Phänomen ist der geradezu kindlich naive Glaube an die unbegrenzten Möglichkeiten der Finanzmärkte, der so manchen städtischen Kämmerer dazu brachte, hochspekulative Anlageprodukte für einen genialen Ausweg aus seinen Haushaltsnöten zu halten.

Zinswetten, sogenannte CMS Spread Ladder Swaps, waren lange Zeit der große Renner. Hunderte von deutschen Städten und Gemeinden setzten darauf – und verloren Unsummen, wie das bei einer Wette im Spielkasino nun mal passieren kann. Hätten sie solide gewirtschaftet, statt Millionensummen zu verzocken, müssten Städte wie Remscheid und Solingen jetzt nicht darüber streiten, ob sie sich noch ein Symphonieorchester leisten können. Stockton ist überall.

Allerdings wäre es zu billig, die Notlage vieler Kommunen allein auf örtliche Fehlentscheidungen zurückzuführen. Diese haben die Krise nur verschärft, nicht hervorgerufen. Hauptgrund sind vielmehr drastische Einnahmerückgänge, nicht zuletzt verursacht durch die Steuersenkungsideologie, die das Regierungshandeln der letzten 15 Jahre bestimmt hat. Systematisch wurden die Kommunen ausgeblutet.

Anja Krüger
PASCAL BEUCKER

ist NRW-Korrespondent der taz.

Die Lage ist dramatisch. In den öffentlichen Kassen herrscht gähnende Leere. Nicht nur millionenschwere langfristige Verbindlichkeiten drücken. Um wenigstens noch ihre Pflichtaufgaben bezahlen und die Liquidität sichern zu können, müssen viele Städte und Gemeinden kurzfristige Kassenkredite aufnehmen– allein in Nordrhein-Westfalen in Höhe von insgesamt mehr als 22,2 Milliarden Euro. Die Folgen: Sozialeinrichtungen und Schwimmbäder werden geschlossen, Investitionen zurückgefahren. Das Leben in den Kommunen wird ärmer.

Allerdings nicht für alle, wie der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt. Dass die privaten Vermögen des reichsten Prozents der Bundesbürger höher sind als alle Schulden von Bund, Ländern und Kommunen zusammen, sollte endlich Anlass zum Umdenken geben. Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung tatsächlich prüft, „ob und wie über die Progression in der Einkommensteuer hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann“, wie es in dem Bericht heißt. Eine steuerpolitische Kehrtwende ist notwendig. Mittels Vermögensteuer und Vermögensabgabe müssen die Reichen zur Kasse gebeten werden – und nicht nur, wie Ursula von der Leyen relativiert, „im Rahmen von freiwilligen Spenden- und Stiftertätigkeiten“.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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5 Kommentare

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  • S
    steffen

    ich verstehe nicht so richtig, warum auf der titelseite gestern die pleite der stadt stockton der drohenden pleite kultureller einrichtung gegenübergestellt wird, statt aufs ganze zu gehen, und die drohende pleite von kommunen, wie sie dann dankenswerterweise im kommentar thematisiert wird, mit in den vordergrund zu stellen...

  • D
    Detlev

    Fürs erste werden sich die Damen und Herren damit beschäftigen, wie sie die Schuldenbremse installieren können, denn es ist ein Gesetz und es muss umgesetzt werden. Dass die Schuldenbremse jemals wirklich umgesetzt werden kann, darf aber bezweifelt werden. Bei den hier angemahnten ungleichen Lasten und den öffentlichen Schuldenbergen wäre die Schuldenbremse für die 10 Prozent Reichsten Deutschen ein Weihnachtsgeschenk erster Güte - das wäre ein komfortabler Ausstieg aus jeder Verantwortung und danach würde Deutschland eine Entwicklung wie Großbritannien nach Margret Thatcher 1980 nehmen.

     

    Aber an irgendeinem Punkt muss mal die Realität eingeblendet werden, und der naht nun, er wird auch die CDU und SPD berühren, denn allzu lange können diese Partei nicht auf zwei Hochzeiten tanzen, Buddys der Superreichen und vor Ort die Vertreter der Normalbürger, die momentan die tatsächlich Steuerbezahler sind und die wahrscheinlich unter der Schuldenbremse stark leidern würden, denn die muss da ansetzen, wo noch Geld steckt, in Schulen, Kindergärten, im öffenltichen Nahverkehr, Museen, Parks, Schwimmbäder und Universitäten.

     

    Das wird dann auch an der Urne irgendwann mal abgeglichen, aber ein Schlingel wer hier böses denkt, der Beschluss zur Schuldenbremse ist mit gutem Grund lange vor der Einführung gemacht worden, es kann sich dann niemand an diesen Bundestag, diese Abgeordneten erinnern, die freilich besser versorgt sind und diese Schuldenbremse nur in der Tageszeitung verfolgen werden, wenn sie nicht schon verstorben sind.

  • F
    Fawkrin

    Völlig zutreffender Kommentar. Der Stadt muss die Reichen endlich in die Pflicht nehmen anstatt sich von ihnen kaufen zu lassen: Steuererhöhungen und Vermögensabgaben für Mehrfachmillionäre plus massive Bekämpfung von Korruption und Lobbistentum.

  • L
    Linda

    Steuererhöhungen, damit Leute wie Henkel, Platzeck, Mappus und Co. noch mehr Steuergeld verbrennen können? Nein, Steuersenkungen und konsequentes drakonisches Bestrafen von Steuergeldverschwendung sind die jetzt gefragt.

  • C
    Carl

    "Hauptgrund sind vielmehr drastische Einnahmerückgänge, nicht zuletzt verursacht durch die Steuersenkungsideologie, die das Regierungshandeln der letzten 15 Jahre bestimmt hat."

     

    --

     

    Es wäre schön, wenn Sie diese These mit Fakten belegen würden. Das dürfte allerdings nicht leicht fallen. Denn von Steuersenkungsideologie ist bei den Kommunen nicht so viel angekommen, wie Sie meinen.

     

    Das Steueraufkommen der Kommunen wird wesentlich durch die Grund- und Gewerbesteuer sowie einen Anteil an der Einkommensteuer (15% ESt) zusammengesetzt. Daneben gibt es noch regionale Besonderheiten (u.a. Kölner Bettensteuer etc.).

     

    Im Aufkommen dieser Steuern gibt es zwar Schwankungen (siehe dazu die Publikation des Statistischen BA - Fachserie 14 - Reihe 10.1) - aber keinen einheitlichen Trend. Zumal bei der Gewerbesteuer der Hebesatz lokal bestimmt werden kann.

     

    Die schlechte kommunale Finanzierung auf die "Steuersenkungsideologie" zurückzuführen erscheint mir jedenfalls angesichts der empirischen Daten nicht haltbar. [Auch nicht mit dem Zusatz "nicht zuletzt".]

     

    Eine Verbesserung der finanziellen Ausstattung der Kommunen ist sicher wünschenswert - Einsparungen vor Ort werden für die Bewohner (insbesondere Bedürftige) schneller wahrgenommen als nicht gebaute Autobahnen o.ä. Eine Vermögensabgabe kann auch ein sinnvoller Weg dorthin sein. Aber hier steckt - mit Verlaub - die Ideologie wohl eher im Kommentar selbst.