Kommentar Transplantationsskandal: Einzeltätertheorie? Pffft!

Die Theorie vom Einzeltäter ist widerlegt: Auch in München hat ein Arzt Patientendaten manipuliert. Seine Fälschung war wohl Kollegen bekannt.

Ärzte verschließen nach einer Nierentransplantation die Wunde. Bild: dpa

Die Geschichte war zu perfekt, um wahr zu sein: Ein einzelner Arzt sollte mehr als 40-mal an den Unikliniken Göttingen und Regensburg die Daten seiner Patienten vorsätzlich so gefälscht haben, dass diese bevorzugt ein Spenderorgan bekamen. Ein einzelner Arzt? In mehr als 40 Fällen? Unbehelligt über Jahre? Und der Rest der Republik sauber?

Je mehr die Geschichte stank, desto vehementer wurde sie verfochten. Von Klinikdirektoren, Transplantationschirurgen und Ärztefunktionären, die um ihre Zentren, ihre Jobs und ihr Prestige bangten. Von Aufsichtsbehörden, die nicht zugeben mochten, vor kriminellen Machenschaften der Götter in Weiß weggesehen zu haben. Und von Politikern, die einen Rückgang der Organspenden fürchteten. Passenderweise war der Bösewicht dann auch noch ein Arzt arabischer Herkunft, Spitzname „Teppichhändler“. Da schwang die nötige Prise Rassismus mit, damit man sich so richtig echauffieren konnte.

Diese Theorie vom Einzeltäter ist nun widerlegt: Auch in München hat ein Arzt Patientendaten manipuliert. Und: Seine Fälschung war offenbar mehreren Kollegen seit Jahren bekannt.

Der Ruf nach schärferer und staatlicher Kontrolle ist richtig, wird aber kaum helfen. Denn wer soll die Datenflut begutachten? Patientenakten sind in den meisten Häusern nicht elektronisch, sondern lose und schlampig geführt. Es gibt keine Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Medizinskandale, manche Ankläger wissen – bei allem Respekt – nicht, wie man Kreatininwert schreibt, geschweige denn, was er aussagt. Ärzte wiederum sind mit der Kontrolle überfordert: Erstens haben sie – Stichwort Personalknappheit – keine Zeit, zweitens riskieren sie, als Nestbeschmutzer zu enden. Wird doch Fehlverhalten bekannt, werden kaum Konsequenzen gezogen.

Der Transplantationsskandal hat, keine Frage, seit München eine neue Qualität. Politiker, Aufsichtsbehörden und Ärzte dürfen sich dem Systemwechsel nicht mehr verschließen. Sie müssen erkennen, dass Fehlverhalten mit Geldbußen oder Zentrumsschließungen bestraft gehört. Sie müssen einsehen, dass 47 Transplantationszentren in Deutschland zu viele sind für die wenigen Organe, die hierzulande für Transplantationen zur Verfügung stehen. Und sie müssen begreifen, dass der wirtschaftliche Druck aufgrund der großen Konkurrenz Manipulationen zwangsläufig macht.

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Heike Haarhoff beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik und Medizinthemen. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Kinderheim bei Paris ab 1989 Studium der Journalistik und Politikwissenschaften an den Universitäten Dortmund und Marseille, Volontariat beim Hellweger Anzeiger in Unna. Praktika bei dpa, AFP, Westfälische Rundschau, Neue Rhein Zeitung, Lyon Figaro, Radio Monte Carlo, Midi Libre. Bei der taz ab 1995 Redakteurin für Stadtentwicklung in Hamburg, 1998 Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und von 1999 bis 2010 politische Reporterin. Rechercheaufenthalte in Chile (IJP) und den USA (John McCloy Fellowship), als Stipendiatin der Fazit-Stiftung neun Monate Schülerin der Fondation Journalistes en Europe (Paris). Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer (2001), dem Frans-Vink-Preis für Journalismus in Europa (2002) und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse (2013). Derzeit Teilnehmerin am Journalistenkolleg "Tauchgänge in die Wissenschaft" der Robert Bosch Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

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