Abstimmung in Island: Mehr Macht für die Bevölkerung

In einem Referendum stimmt die Mehrheit für eine neue Verfassung, die mehr Mitsprache ermöglichen soll. Doch ob sie in Kraft tritt, ist noch offen.

Mit der neuen Verfassung sollen die Isländer künftig mehr mitentscheiden dürfen. Bild: reuters

STOCKHOLM taz | Die IsländerInnen haben am Samstag in einer Volksabstimmung über die künftige Verfassung des Landes abgestimmt. Zwei von drei WählerInnen sagten dabei Ja zu einer Reihe von Änderungen, die dem Volk mehr Macht bringen, die Befugnisse der Regierung beschränken und die Kontrollfunktion des Parlaments stärken sollen.

Von einer „gerechten Gesellschaft, in der jeder gleich ist“, spricht die Präambel des Verfassungsentwurfs. Darin wird unter anderem der Abschnitt über grundlegende Menschenrechte erweitert, der sich künftig auch auf den Schutz von Umwelt und Natur erstreckt.

Deutlicher als bislang werden die Befugnisse gesetzgebender, ausführender und juristischer Gewalt getrennt, Offenheit, Transparenz und Bürgerbeteiligung als grundlegende Prinzipien verankert. Die Möglichkeit zu Volksabstimmungen über vom Parlament verabschiedete Gesetze sowie Volksbegehren wird erweitert. Zudem wird die neue Institution eines „Gesetzesrats“ geschaffen, der als eine Art Verfassungsgericht fungieren soll.

Der Wunsch nach einer Verfassungsänderung war eine Reaktion auf den Finanzcrash im Herbst 2008 und der folgenden „Kochtopfrevolution“, die seinerzeit Regierung und Parlament fortgetrommelt hatte. Auch über die Verfassung sollte künftig verhindert werden, dass jemals wieder über den Kopf der Bevölkerung hinweg das Volksvermögen für die Schulden einer Handvoll von Finanzhaien verpfändet werden könnte.

Verfassung von der Basis formuliert

Weil mit dem damaligen Zusammenbruch praktisch die gesamte politische Klasse das Vertrauen der Bevölkerung verloren hatte, wurde die Idee einer verfassungsgebenden Versammlung der Basis geboren. Aus dem Bevölkerungsregister wurden nach dem Zufallsprinzip 1.000 Personen ausgewählt. Von diesen erklärten sich mehrere hundert zu einer Kandidatur bereit.

In einer allgemeinen Wahl wurden die 25 mit den meisten Stimmen in den Verfassungsrat geschickt. Alle waren aufgefordert, sich mit Vorschlägen, Kommentaren und über soziale Medien an der Diskussion zu beteiligen. Vom „vielleicht demokratischsten Verfassungsgebungsprozess der Weltgeschichte“ schwärmte Thorvaldur Gylfason, Ökonomieprofessor und einer der Ratsmitglieder.

Schnell zeigte sich, wie wenig die politischen Parteien an einem derartigen Demokratieexperiment interessiert waren. Von der rechten Opposition wurde der Prozess juristisch behindert und die Arbeit des Rats so lange verzögert, bis das öffentliche Interesse immer mehr erlosch.

Die ganze Richtung, beispielsweise eine Überführung der natürlichen Ressourcen des Landes in nationales Eigentum, passte den Konservativen nicht. Dies drohte den Interessen ihrer Fischereiklientel zuwiderlaufen, die ihre vor Jahrzehnten als „dauerhaft“ erhaltenen Fischfangquoten verlieren könnten.

Referendum ist nicht bindend

Auch die rot-grüne Regierung, ursprünglich ein Initiator, schien mit wachsender eigener Unpopularität – derzeit deutet alles auf ihre Ablösung bei den Wahlen im Frühjahr 2013 hin – das Interesse an dem Verfassungsprojekt zu verlieren.

Das jetzige Referendum, an dem sich rund die Hälfte der Wahlberechtigten beteiligte, war nicht bindend. Die Verfassungsänderungen können nur in Kraft treten, wenn eine Parlamentsmehrheit vor und eine weitere nach den nächsten Wahlen sie verabschiedet. Letztere Bedingung ist derzeit ungewiss.

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