: Die Bionadewerdung der Kunst
VORBILDER Der in Chemnitz geborene, seit kurzem in Kalifornien lebende Künstler Friedrich Kunath führt im Kunstverein Hannover vor, wie das Zitat zur originellen Geste wird. Echte Gefühle würden da nur stören
Es ist ziemlich unübersehbar, dass Friedrich Kunath an Fernweh leidet. In seiner Kunst tauchen nicht nur zahlreiche Symbole des Reisens wie Schiffe oder Vögel auf. Auch dass er die Wand eines Ausstellungsraums mit Jeansstoff verkleidet hat, ist verräterisch. Wer wie Kunath als Kind in der DDR aufwuchs, für den war die Jeans keine einfache Hose. Sie war eine geistige Verbindung zur Welt hinter der Mauer, die freier, weiter, grenzenloser schien.
Eine gewisse Rastlosigkeit scheint den 35-jährigen gebürtigen Chemnitzer zu lenken. Er hat seine Ausstellung im Kunstverein Hannover „Home wasn’t built in a day“ genannt. Man kann das auch als Selbstbeschreibung verstehen: Einer wie er baut sich nicht so schnell ein Zuhause. Und jetzt könnte man mit dem Titel eines alten Johnny-Cash-Songs noch die Frage nachschieben, wo dann das Zuhause eigentlich sein könnte? Die Antwort liefert der Song gleich mit: „Auf der großen Straße.“
Friedrich Kunath ist so ein Wanderer. Dass er nach seinem Umzug nach Kalifornien 2008 erst einmal am Ziel der Träume angekommen schien, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er weiterläuft – selbst wenn er 90 bunte Socken in ein altes Fernsehgehäuse stopft und das Werk „Leaving is overrated“ nennt. Man kann sich ja bewegen, auch wenn man nur vor der heimischen Glotze hockt. In diesem Fall halt durch das ortlose Land der Pop-Kultur.
Der Künstler ist in Deutschland noch wenig bekannt. Vor seinem Auftritt in Hannover hatte er erst eine institutionelle Einzelausstellung in Baden-Baden. Schwer zu sagen, wie eine Kunath-Ausstellung vor drei, vier Jahren ausgesehen hätte. Nun jedoch ist offensichtlich, dass nach seinem Umzug die Kunstszenen des amerikanischen Südwestens und der West Coast einen starken Einfluss ausüben. Gleich am Anfang der Ausstellung hängt ein Werk, das wie die Comicversion eines Wandobjekts von Donald Judd wirkt. Später trifft man auf einen Sonnenuntergang aus Neonröhren mit einem Vogel und dem rätselhaften Satz „I am Goodbye“. Bruce Nauman lässt hier leise grüßen. Die Übermalung eines Frauengesichts mit einer pinken Smiley-Träne erinnert an die Strategien von John Baldessari.
In einem zentralen Raum der Ausstellung hat Kunath dagegen das berühmte „Eismeer“-Bild von Caspar David Friedrich als Gerümpelhaufen aus Badewannen, alten Türrahmen und Gitarrenkörpern nachgebaut. Daneben hängt ein Foto an der Wand. Der junge Mann, der darauf in einem Bett am Strand liegt, erinnert plötzlich an Friedrichs „Mönch am Meer“. Das ist der Witz der Referenz. Erst einmal dafür sensibilisiert, werden die kunsthistorischen Synapsen auf angenehme Weise angeregt. Ein Vogelkäfig? Ach ja: Duchamp.
Man kann mit dem guten Gefühl durch die Ausstellung laufen, dass hier jemand zweifelsfrei intelligente Kunst geschaffen hat. Auf der anderen Seite scheint Kunath übersehen zu haben, dass er sich mit seinen Anspielungen an kunsthistorische Vorläufer nicht automatisch deren Haltungen zu eigen macht. So wirken wenige seiner Werke tiefgründig oder von echten Gefühlen beseelt. Kunath führt eher vor, wie in Zeiten der Postmoderne das Zitat zur originellen Geste wird. Seine Synthese aus Pop und Romantik erinnert an ein Modegetränk. Wäre Bionade Kunst, müsste sie so aussehen.
TIM ACKERMANN
bis 24. Januar 2010 im Kunstverein Hannover