Merkel in Moskau: Merkel auf Kältegipfel

Putin und Merkel lieferten sich in Moskau vor allem ein Kräftemessen. Der Schlagabtausch vor laufenden Kameras kann eine historische Zäsur einläuten.

Distanzierte Nähe: Angela Merkel und Wladimir Putin in Moskau. Bild: dapd

MOSKAU taz |Angela Merkel dürfte erleichtert gewesen sein, als sie am Freitagabend die Russland-Visite endlich hinter sich gebracht hatte. Der Besuch des Petersburger Dialogs der Zivilgesellschaften und die turnusmäßigen Regierungskonsultationen waren diesmal mehr als Routine. Der Boden in der russischen Hauptstadt war vermint und die Temperaturen neigten zu einem rekordverdächtigen Kältegipfel.

Seit der Bundestag in einer ungewöhnlich scharfen und offenen Entschließung letzte Woche die Maßnahmen der russischen Führung kritisiert hatte, mit denen der Kreml unter Wladimir Putin die Bürgergesellschaft diskriminiert und die Opposition zu kriminalisieren versucht, ist Deutschlands Modernisierungspartner Russland in heller Aufregung.

Der typische Vertreter der russischen Energiesupermacht schlug sich dieser Tage nicht mehr auf die stolz geschwollene Brust, nein er war empört über so viel Offen- und Deutlichkeit, die er von so einem guten Partner nun nicht erwartet hätte. Moskaus Etikette orientiert sich an Vorbildern östlich geprägter Kulturen.

Was die Kanzlerin erwartete, hatte Putins Pressesprecher schon am Vorabend formuliert: Die deutsche Kritik stamme von Heissspornen, die man kaum zu Freunden Russlands zählen könne.

Ein Balanceakt zwischen den Interessenlagen

Für Angela Merkel war es eine Gratwanderung zwischen Kritik und Festhalten am strategischen Partner Russland. Jedoch auch ein Balanceakt zwischen dem Auftrag des Bundestags, Tacheles zu reden und dem begleitenden Tross der Leisetreter der deutschen Ostwirtschaft.

Merkel war in Kampfeslaune und gab dem Kremlchef, der nicht für seine zarte Saiten bekannt ist, gleich Paroli. Sie sei der Meinung, man müsse nicht so viel Angst haben, wenn Menschen anderer Meinung sind, ermunterte Merkel den Kremlchef. Sie könnte nicht drei Tage Bundeskanzlerin sein, wenn sie immer gleich eingeschnappt wäre, sagt sie mufflig lächelnd.

Es schien ihr geradezu Spaß zu machen, dem Macho zu etwas mehr Courage zu raten. Auch die Kritik sei ja nicht destruktiv gemeint, beruhigte sie ihr Gegenüber. Schließlich wolle Deutschland, „dass Russland erfolgreich ist“. Wer Kritik hinnimmt und nicht mit größerem Kaliber zurückschießt, gilt in den russischen Herrschaftszirkeln als Schwächling.

Merkel nahm auch Anstoß an der Gefängnisstrafe für die drei Frauen der Punkband Pussy Riot, die zu zwei Jahren Haft verurteilt wurden. Diskussionen hätte das Punkgebet in einer Kirche in Deutschland auch ausgelöst, sagte sie, aber es wäre nicht mit Gefängnishaft geahndet worden. Die Botschaft über die Verhältnismäßigkeit der Mittel kam bei Wladimir Putin jedoch nicht an. Für ihn war das kein Meinungsaustausch, sondern ein Kräftemessen.

Unverhohlene Lügen

Auf das Pussy Riot Urteil konterte der Präsident mit der verblüffenden Neuigkeit, eine der Frauen hätte sich sogar an antisemitischen Aktionen beteiligt und als Jude und Gastarbeiter verkleidete Strohpuppen in einem Supermarkt verbrannt. Der Ex-KGBler Putin ist auf solche Gespräche immer bestens vorbereitet. Er weiß wie ein Hinweis auf Antisemitismus in der deutschen Öffentlichkeit aufgenommen wird. Es ist Putins Taktik, seinen Gesprächspartner ko zu schlagen. Dazu greift er – wie im Falle Pussy Riot – zur unverhohlenen Lüge oder saugt sich eine Behauptung einfach aus den Fingern.

Die besagte Aktion der Punkerinnen war als Protest gegen Ausländerfeindlichkeit gedacht. „Wir beide können keine Menschen unterstützen, die antisemitische Positionen annehmen“, meinte der Präsident in einem Anflug gekünstelter Wertegemeinschaft zu Merkel gewandt. Diese skrupellose Überrumpelungstaktik ähnelte einem unfreiwilligen Offenbarungseid. Putin ist sich seiner nicht mehr sicher. Die Unstimmigkeiten mit dem treuen Partner in Berlin scheinen dieses Gefühl noch verstärkt zu haben.

Auch die kleinen Spitzen, die er sich hatte raussuchen lassen, signalisierten aggressive Ratlosigkeit: Um die Gleichberechtigung sei es in Deutschland ja auch nicht zum besten bestellt, merkte Putin an, und apropos gebe es da nicht Mängel mit der Informationsfreiheit in einigen Bundesländern…? Wer keine Kritik ertragen könne, sei auch kein wichtiger Spieler in der Welt, gab die Kanzlerin zurück und zu bedenken. Keiner ging am Ende in die Knie, aber alles in allem war es ein denkwürdiger Gipfel, der in einem späteren Rückblick ein historisches Datum markieren dürfte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.