: Der Mann mit dem Effekt
Früher nannte man ihn Regie-Berserker, inzwischen aber ist der Jubel um Dietrich Hilsdorf groß. Besonders in NRW
Früher brachte Regisseur Dietrich Hilsdorf sein polarisierendes Tun gern auf die knackige Formel: „Entspannung durch Umspannung“. In diesem zugleich ernsten und ketzerischen Satz steckt viel von den Widersprüchen des einst als wilden Mann gefürchteten Regisseurs, den man gern als Regie-Berserker titulierte. Aber auch viel von der Erwartung des Stadttheater-Publikums und seiner Forderung nach einlullender Unterhaltung, der Hilsdorf in seinen ersten Jahren vehement widersprach. Aber selbst damals wollte er provozieren und doch immer auch unterhalten. Opulenz und lustvoll gesetzte theatralische Effekte waren ihm nie fremd, karges, unterkühltes Theater war seine Sache nicht.
Heute würde er den Satz so nicht mehr zuspitzen. Hilsdorf, wie viele seiner erfolgreichen Opernkollegen vom Schauspiel kommend, ist inzwischen ein Garant für ein volles Haus. Längst kursiert das Wort vom Hilsdorf-Effekt. Ehemalige Skandalabende wie der wilde Essener „Don Carlos“ wurden nach einer gewissen Inkubationszeit zu Kult-Aufführungen. Ein Effekt, der sich gerade bei Jürgen Goschs „Macbeth“ in Düsseldorf wiederholt. Bei Hilsdorf gibt es den Umweg über den Skandal jedoch nicht mehr, der Jubel ist heute zumeist einhellig. Ist er also brav geworden?
Wenn man ihm gegenüber sitzt, spürt man die alte Lust am Widerspruch, die scharfe Zunge, das Auf-dem-Sprung-sein, das Suchen nach neuen, feineren Provokationen. Die nackte, grell herausplatzende Publikumsbrüskierung, das pädagogische Erschrecken interessieren ihn heute nicht mehr, heute verstört er die seriöse Klientel eher durch den unverhohlenen Flirt mit der Musical-Industrie. Erfahrungen sammelte er mit der preisgekrönten mehrfachen Auflage von „Jekyll & Hyde“, zuletzt im Kölner Musical Dome zu sehen. Seine mehr als 100 Regiearbeiten sind überwiegend in NRW entstanden und haben hier Theatergeschichte geschrieben.
Legendär ist sein Gelsenkirchener Mozart-Zyklus, dessen szenische Präzision und Kammerspiel-Intensität unvergessen sind. Spektakulär in jeder Hinsicht waren die Essener Verdi-Inszenierungen, die er im Frühjahr mit einer virtuosen „Falstaff“-Regie krönte. In Bonn sorgte er mit der Bearbeitung von drei Oratorien für einen Händel-Boom, in Düsseldorf machte eine dramatische Dekonstruktion von Puccinis „Tosca“ Furore. Was hat sich geändert seit den ersten Dortmunder Regiearbeiten fürs Sprechtheater?
„Das Handwerk“, behauptet Hilsdorf nüchtern, „und der zunehmende Hang zu Konkretion und Genauigkeit.“ Das historische Umfeld der Entstehungszeit eines Werks, die Vernetzungen mit angrenzenden Künsten und der damalige Stand der Technik faszinieren ihn. „Ich will mich nicht langweilen auf der Probe“, sagt er. Das ist einstweilen wohl nicht zu befürchten.
REGINE MÜLLER