: Der Feind vor unseren Augen
DURCHSICHTIG Deutschland gruselt sich warm – vor der Datenbrille des Internetkonzerns Google. Dabei ist die hiesige Angst vor neuer Technologie mal wieder sehr irrational
VON MAIK SÖHLER
Es ist nur eine Brille. Kein staatliches Spionageprogramm, keine militärische Drohne, keine privatwirtschaftliche Schnüffelsoftware. „Google Glass“ ist eine Brille mit Internetanschluss. Sie kann lediglich das, was Smartphones und Tablet-Computer auch können – ins Netz gehen, Daten zwischen Geräten austauschen, Chat und E-Mail, Fotos machen, Tonaufnahmen.
Noch in diesem Jahr soll sie auf den Markt kommen, und bevor es so weit ist, ist die Angst schon da. Die Angst vor Überwachung. Die Angst, fotografiert oder gefilmt zu werden, ohne es zu merken. Die Angst, dass diese Fotos und Filme sowie andere Daten auf den Servern von Google landen. Die Angst, dass die eigene Privatsphäre verletzt wird. Aber auch, und hier wird es lächerlich, die generelle Angst vor neuer Technologie.
Über „Google Glass“ ist in Deutschland erst mal wenig Gutes und viel Hysterie zu vernehmen. Von einer privaten Ausweitung der ohnehin allgegenwärtigen Videokameras im öffentlichen Raum ist da die Rede; von noch mehr Werbung; von Drohnen, die sich Zugriff auf „Hunderttausende herumlaufende Überwachungskameras“ verschaffen könnten; von der Unterwerfung „unserer Leben“ unter die „allgegenwärtige Datenverarbeitung“.
Auch in Großbritannien und in den USA haben Debatten über Datenschutz, Privatsphäre und tragbare Computer – Datenbrille, Schuhe, Uhren – begonnen. Sie werden rational geführt, Argumente treffen auf Gegenargumente, es geht um einzelne Aspekte der neuen Technologie und nicht um die Technologie selbst.
Erwiesene Bösewichte müssen dann auch mal kräftig zahlen. In den USA kostet es Google sieben Millionen Euro, dass seine Street-View-Autos Daten aus privaten drahtlosen Netzwerken gesammelt haben.
Wir gehören nicht zur netztechnologischen Avantgarde, kaum eine Innovation kommt hier aus Deutschland, ebenso wenig Unternehmen mit Anschluss an die Weltspitze. Dagegen kann Deutschland beim Datenschutz nicht nur international mithalten, sondern es liegt dabei ganz vorn. Die Gesetze und Regelungen sind so weit vorn, dass sie schon die automatische Gesichtserkennung bei Facebook verhindert und ein Opt-Out bei Google Street View erreicht haben, gegen die Videoüberwachung öffentlicher Plätze, den Staatstrojaner und die Weitergabe von Nutzerdaten beim Filesharing aber weitgehend machtlos sind.
Schon jetzt, lange bevor „Google Glass“ die Testphase verlassen hat, nach neuen Regeln, mehr Konventionen und schärferen Gesetzen zu rufen ändert an dieser seltsamen Ambivalenz des deutschen Datenschutzes jedenfalls nichts. Und nichts an den nun gegen „Google Glass“ vorgebrachten Argumenten ist neu. Der Schutz der Persönlichkeitsrechte, die mögliche Verbindung neuer Technologie mit Satelliten oder Drohnen, die Frage, wie lange Fotos, Videos und Daten auf Servern oder im Netz liegen dürfen, grundsätzliche Datenschutzerwägungen. In einem geradezu exemplarisch deutschen Interview mit Spiegel Online reihte Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner im Oktober 2010 sogar alle Aspekte auf einmal aneinander.
Dabei geht es nicht um den deutschen Staat und seine Sicherheitsbehörden, die – wie der Dresdener Handydatenskandal zeigt – nicht selten ein rein instrumentelles Verhältnis zu Datenschutz, Persönlichkeitsrechten und Transparenz haben, sondern um Google; im Fall des Aigner-Interviews um Google Street View. Was wurde in den Jahren 2009 und 2010 nicht alles befürchtet: Wer Häuser und Autos fotografiere und diese Fotos im Netz veröffentliche, verletze die Privatsphäre von Millionen Menschen; systematisch werde der Datenschutz ausgehebelt; Einbrecher hätten es noch nie so leicht gehabt und so weiter. Mit dem souveränen Blick von heute sehen wir: Kaum etwas davon ist eingetreten.
Es braucht weder neue Konventionen, Regeln oder gar Gesetze, wenn „Google Glass“ in Deutschland irgendwann frei erhältlich sein sollte. Im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und speziell im Recht am eigenen Bild ist gerade im deutschen Rechtsraum alles klar und deutlich festgelegt.
Das bedeutet: Mit „Google Glass“ erstellte Fotos und Filme sind nicht anders zu behandeln als mit Handys, digitalen und analogen Kameras erstellte Aufnahmen. Wer die Persönlichkeitsrechte eines anderen verletzt, kann straf- und zivilrechtlich belangt werden.
So klar die rechtliche, so unklar ist die ethische Seite der Verwendung von „Google Glass“ und anderen Geräten aus dem Bereich des „wearable computing“. Einfacher und unauffälliger als bisher lassen sich Töne, Fotos und Bewegtbilder erstellen und in personenbezogene Daten umwandeln. In diesem Fall wäre ein ehrlicher, zivilisierter und respektvoller Umgang aller Beteiligten wichtig. Daran kann Google mitwirken. Offenzulegen, welche Daten wann, wo, wie gespeichert und weiterverarbeitet werden und wie sie möglicherweise gelöscht werden können, wäre ein erster Schritt.
Angesichts der Macht von Google mag das naiv klingen. Aber um wie viel naiver ist die „German Angst“ vor allem, was nach neuer Technologie riecht. Genauer gesagt: vor einer Brille.