ATT-Verhandlungen in New York: Keine Kontrolle über Waffenhandel

Die UN-Verhandlungen über das erste globale Waffenhandelsabkommen sind gescheitert. Iran, Syrien und Nordkorea lehnten den Vertrag ab.

Hatten ihre Hoffnungen in die ATT-Verhandlungen gesetzt: Aktivisten in New York, Juli 2012. Bild: reuters

GENF taz | Ein internationales Abkommen mit wirksamen Bestimmungen zur Eindämmung des globalen Waffenhandels mit seinen schädlichen Folgen in zahlreichen Empfängerländern ist weiterhin nicht in Sicht.

Der Waffenhandelsvertrag (Arms Trade Treaty, ATT), auf den sich 190 der 193 UN-Staaten in der Nacht zum Freitag nach einer zweiwöchigen Verhandlungsrunde geeinigt haben, enthält auf Betreiben vor allem der USA, Russlands, Chinas und Indiens zahlreiche Ausnahmeklauseln und unverbindliche Kann-Bestimmungen – sowohl in den Artikeln zum Geltungsbereich des Vertrages, den Kriterien für die Genehmigung beziehungsweise das Verbot von Rüstungsexporten als auch bei den Vorschriften zur Umsetzung und Überwachung eines Abkommens.

Als „enttäuschend und unzureichend“ kritisiert Control Arms, die von Amnesty International, Oxfam und der Kampagne gegen Kleinwaffen angeführte Koalition von Nichtregierungsorganisationen für einen wirksamen ATT, den Vertragstext.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich nach dem „Nein“ Nordkoreas, Syriens und Irans zu dem von allen anderen unterstützten ATT-Text „tief enttäuscht vom Scheitern der Verhandlungen“.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bedauerte den Fehlschlag. „Wir brauchen ein möglichst globales Regime für den internationalen Waffenhandel, das klare Regeln für möglichst viele Waffenkategorien vorsieht und möglichst hohe Standards für die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen aufstellt.“

Amnesty International nannte die Blockade des Vertrages „unverschämt“ Mit einer „überaus zynischen Aktion“ hätten die drei Staaten verhindert, „dass konventionelle Waffen in Staaten nicht verkauft werden dürfen, wenn diese für Völkermorde, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen missbraucht werden“.

Die Organisation Oxfam erklärte, die Welt werde „von drei Staaten als Geisel gehalten“.

Ein russischer Diplomat sagte, Russland werde den Entwurf „sehr sorgfältig“ prüfen und dann über eine Annahme entscheiden. Ähnlich äußerte sich Indien.

Kenia und elf weitere Staaten schlugen vor, den Vertrag bereits am kommenden Dienstag in der UN-Generalversammlung zur Abstimmung vorzulegen. (azu)

Doch selbst dieser Text konnte in New York zunächst nicht formal verabschiedet werden. Denn Iran, Syrien und Nordkorea verweigerten ihre Zustimmung mit der Begründung, dass der Vertrag Lieferungen von Rüstungsgütern an bewaffnete Aufständische nicht ausdrücklich untersagt. Jetzt soll der ATT wahrscheinlich bereits Anfang nächster Woche von der UN-Generalversammlung verabschiedet werden, wo die Mehrheit der 193 Mitgliedstaaten ausreicht.

Der Vertrag gilt für den Handel mit sieben Großwaffensystemen (Kampfpanzer und gepanzerte Fahrzeuge, schwere Artilleriegeschütze, Kampfflugzeuge- und hubschrauber, Kriegsschiffe, Raketen beziehungsweise Raketenwerfer) sowie mit Kleinwaffen. Zur Regelung des Exports von Teilen und Komponenten dieser Waffen (etwa Motoren) sieht der ATT allerdings lediglich die Schaffung nationaler Bestimmungen in den Vertragsstaaten vor. Dasselbe gilt für den Handel mit Munition.

Diese von Washington durchgesetzte Ausnahmeregel bedeutet nach Einschätzung von Control Arms, dass die Menge an Kugeln und Patronen für Kleinwaffen, die weltweit produziert und in den Handel gebracht werden, nicht geringer wird. Im letzten Jahr waren es über 12 Milliarden, fast zwei pro Kopf der Weltbevölkerung.

Rüstungsexport überdenken

Der ATT gilt nur für den kommerziellen Import, Export oder Transit von Rüstungsgütern, nicht aber für grenzüberschreitende Transfers (Leihgaben, Leasing et cetera), bei denen die gelieferten Waffen zumindest auf dem Papier „im Besitz“ des Lieferlandes bleiben. Explizit ausgenommen von dem Abkommen werden Rüstungslieferungen „im Rahmen von zwischenstaatlichen Abkommen zur Verteidigungskooperation“.

Ausdrücklich „verboten“ soll ein Rüstungsexport laut Vertragstext künftig nur dann sein, wenn die Regierung des potenziellen Lieferlandes „zum Zeitpunkt der Genehmigung des Exports davon Kenntnis hat, dass die Rüstungsgüter von den Empfängern für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit und schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen von 1949 eingesetzt würden oder für andere Kriegsverbrechen“.

Die Gefahren, dass die gelieferten Waffen „Frieden und Sicherheit“ im Empfängerland oder in der Region gefährden, für „geschlechtsspezifische Gewalttaten“, Terrorakte oder zu „Zwecken organisierter Kriminalität“ eingesetzt werden, gelten nur als weiche Kriterien für die Entscheidung über Rüstungslieferungen. Das potenzielle Lieferland ist lediglich angehalten, den geplanten Rüstungsexport angesichts solcher Risiken zu „überdenken“.

Als Instrumente zu seiner Umsetzung und Überwachung sieht das Abkommen nur vor, dass alle Vertragsstaaten jährlich einen Bericht über ihre Rüstungsexporte und Importe an ein künftiges ATT-Sekretariat bei der UNO in New York abliefern. Berichte an die Parlamente und die Öffentlichkeit in den Vertragsstaaten sind ebenso wenig vorgesehen wie Sanktionen bei offensichtlichen Verstößen gegen das Abkommen.

Nach Einschätzung von UN-Diplomaten Deutschlands und anderer EU-Staaten bleiben die Regeln des ATT hinter den nationalen Exportbestimmungen Deutschlands und dem gemeinsamen Exportrichtlinien der EU zurück. Daher werde ein künftiges globaler ATT auch nicht zu Einschränkungen des Rüstungsexports aus Deutschland und aus der EU führen. Die EU ist nach dem Jahresbericht 2012 des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts (Sipri) mit einem Weltmarktanteil von 35 Prozent größter Rüstungsexporteur noch vor den USA; im nationalen Ranking liegen Deutschland, Frankreich und Großbritannien hinter den USA und Russland auf den Plätzen drei, vier und sechs. China liegt erstmals auf Platz fünf.

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