Die Wahrheit: Missverständnis im Luftbahnhof

Abenteuer in der letzten dreidimensionalen Stadt vor dem gemalten Hintergrund. Dahinter herrscht dann der totale Blödsinn.

Einer alten Überlieferung zufolge traf ich eines Montag- oder Mittwochabends am Luftbahnhof Stadtmitte ein. Diese Lesart kann jedoch inzwischen von mir widerlegt werden, da es in der sehr kleinen Stadt lediglich einen regulären Bahnhof gab, dementsprechend kam ich mit der Eisenbahn an. Beim Aussteigen konnte ich nirgends den Namen der Stadt entdecken, Bahnhof war alles, was in großen Lettern an dem nach damaligen Begriffen modernen Empfangsgebäude stand. Für mich war entscheidend, dass es die letzte dreidimensionale Stadt vor dem gemalten Hintergrund war, dahinter herrschte der totale Blödsinn.

In der Art eines Reisenden trat ich auf den Vorplatz hinaus und ging zum Bahnhofshotel auf der gegenüberliegenden Straßenseite, um mir ein Zimmer zu nehmen. Das Personal an der Rezeption war überrascht, mich zu sehen, weil alle erwartet hatten, ich würde am Luftbahnhof Stadtmitte ankommen und mich im dortigen Hotel Royal einmieten. Ich widerlegte diese Lesart und konnte damit das Missverständnis ausräumen. Daraufhin überließ man mir gegen Bezahlung ein Zimmer.

Auf die übliche Art suchte ich es auf, schloss mich ein und öffnete meinen Reisekoffer. Bevor ich ihm irgendetwas wie Wäsche, Körperpflegeartikel oder dergleichen entnahm, zog ich den portablen Ratgeber hervor. Es war mir ein tiefes Bedürfnis, ihn, meinen einzigen Vertrauten in dieser neuen, fremden Umgebung, zu konsultieren. Also gab ich die erste Frage seit Stunden ein: „Kann ich meinem Verfolger je entkommen?“ Die Antwort kam umgehend: „Ja, du verdienst es.“ Das tat meiner gequälten Seele wohl, und, frischen Mut schöpfend, fragte ich weiter: „Kann ich hier sicher vor ihm sein?“ – „Ja“, erwiderte der Ratgeber, „du bist reif dafür.“ Fast war es wie eine mütterlich schützende Hand, die sich sanft auf mein Haupt legte.

Ich gewann einen Teil meiner Würde wieder und dazu die Überzeugung, ich sei es wert, gerettet zu werden. So war es mir möglich, die Stadt, in der ich mich aufhielt, zu erkunden. Der Ratgeber sprach sich dafür aus, der Hotelarzt befürwortete es ebenfalls, und auch das übrige Personal leistete keinen Widerstand. Zuversichtlich machte ich mich auf den Weg.

Der dreidimensionale, nicht gemalte Teil der Stadt war, wie ich schon eingangs erwähnte, sehr klein. Man konnte wohl behaupten, dass hier, wie es in einem alten Städtebau-Handbuch von Faller heißt, „der Gedanke einer Stadt auf allerkleinstem Raum“ verwirklicht worden war. Es gab mehr „romantische Haustypen älteren Baustils“ (ebenda) als moderne Geschäftshäuser. Das, was Faller „Sonder-Typen“ nennt, konnte ich nirgends entdecken.

Rechts neben dem Hotel stand ein Gebäude mit Ladenlokal. Was im Schaufenster ausgestellt war, erschloss sich mir nicht, und kaum weniger rätselhaft war der große, unleserliche Leuchtschriftzug darüber. Ich versuchte ohne Erfolg, ihn zu entziffern. Auf meine Frage, ob es mir je gelingen würde, antwortete der tragbare Ratgeber: „Nein, du schaffst es nicht.“

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kari

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