Kommentar 1. Mai: Die neue Inhaltlichkeit

Krawalle und 1. Mai - das war einmal. Offen bleibt, was den Autonomen-Protest damit noch von dem des Deutschen Gewerkschaftsbundes unterscheidet.

Ziehen sich die „Unversöhnlichen“ auf die Dachterrasse zurück? Bild: dpa

Es sieht so aus, als bliebe es dabei: Krawalle und 1. Mai sind in Berlin nicht mehr. Schon in Vorjahren war die Randale nur noch Randerscheinung. Der gestrige Tag ist Anwärter für den friedvollsten Verlauf überhaupt.

Und dass trotz NPD-Aufmarsch in Berlin-Schöneweide. Den gut 3.000 Gegendemonstranten unaufgeregt sitzblockierend bestreikten. Auch die „Revolutionäre 1. Mai“-Demonstration, zog – bis auf ein paar Steinwürfe und ein umgekipptes Auto – bis an ihr Ziel. Ähnlich beschauliche Bilder auch in Hamburg. Es würde mehr als überraschen, präsentierten die Polizeichefs beider Länder heute keinen neuen Rekord-Tiefststand an Festnahme- und Verletztenzahlen.

Der Mythos Militanz also entschwindet dem 1. Mai. Die Frage ist: Was bleibt dann? In Berlin jedenfalls öffnete es den Blick für politische Anliegen. Steigende Mieten, streikende Flüchtlinge, Widerstand gegen Neonazis und die EU-Krise – selten war das inhaltliche Angebot breiter. Auch dass die Demo der Autonomen ihre erste Reihe statt wie üblich dem Schwarzen Block überließ, sondern einer Delegation griechischer Oppositionspolitiker, war mehr als eine Geste. Denn endlich folgte den Parolen auch Praxis, erhielt die Allzeitformel der „internationalen Solidarität“ auch eine Umsetzung.

ist Redakteur für soziale Bewegungen der taz.

Die Frage nach der Repolitisierung des 1. Mais, sie stellt sich nicht mehr. Sie ist längst beantwortet.

Ziel: Zu Ende gebrachte Demo

Und doch waren es ausgerechnet die Radikalos selbst, welche die neue Inhaltlichkeit fast wieder in den Hintergrund rückten. Indem sie nur mehr darüber schwärmten, „endlich“ vor's Brandenburger Tor gelangt zu sein. Ohne dem vor Ort wirklich eine Botschaft folgen zu lassen. Oder gar zu erklären, was man denn gerade als Autonomer genau da wollte.

Für die Szene dürfte die Diskussion damit erst beginnen: Was unterscheidet noch von den anderen Protestlern am 1. Mai? Was bedeutet dort noch das „Unversöhnliche“ mit dem System? Sollte es das bloße Ziel einer zu Ende gebrachten Demonstration sein, hätte man das auch einfach haben können. Mit einer Bitte um Aufnahme bei den Gewerkschaftern. Auch die demonstrieren ja jeden 1. Mai für eine gerechte Gesellschaft – direkt vorm Brandenburger Tor.

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Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" und stellvertretender Ressortleiter Inland. Seit 2010 in der taz, anfangs im Berlin-Ressort. Seit 2014 Redakteur in der Inlands-Redaktion. Studium der Publizistik und Soziologie.

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