: Tote Vögel fliegen hoch
AUSSTELLUNG Wolfgang Müller zeigt in Bremen die Kunst der Zukunft. Die scheint viel mit ausgestorbenen Vögeln und Dadaisten zu tun zu haben. Und mit bunten Möbiusschleifen
■ Im Rahmen von „Plasmabrocken – Die Kunst der Zukunft“ veröffentlicht K’ – Zentrum Aktulle Kunst in Zusammenarbeit mit Mauerstadt Musik eine Musikkassette mit bislang unveröffentlichten Aufnahmen von Die Tödliche Doris, im Hybriden-Verlag erscheint ein Künstlerbuch
■ Am Mittwoch, den 3. April, liest Wolfgang Müller in der Schwankhalle aus dem Roman „Kosmas“.
■ Am Donnerstag, den 18. April, liest Frank Apunkt Schneider im K’ – Zentrum Aktuelle Kunst aus seinem Buch „Als die Welt noch unterging. Von Punk zu NDW“
■ „Plasmabrocken“ ist freitags von 16 bis 19 Uhr und samstags und sonntags von 14 bis 17 Uhr sowie nach Vereinbarung zu sehen.
VON ANDREAS SCHNELL
Von Kurt Schwitters wird berichtet, dass er regelmäßig auf der norwegischen Insel Hjertøya den Sommer verbrachte und dort regelmäßig auf Bäumen sein legendäres Geräuschpoem „Ursonate“ rezitierte. Als der Berliner Künstler Wolfgang Müller in den neunziger Jahren auf Schwitters’ Spuren auf die Insel reiste, hörte er dort Stare, deren Gesang verdächtige Ähnlichkeit mit Schwitters’ Lautgedicht hatte. Er nahm diesen Gesang auf und präsentierte die Aufnahmen im Rahmen einer Ausstellung in Berlin.
Was folgte, lässt sich wohl am besten als Posse bezeichnen. Die Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs GmbH, die die Aufführungsrechte der „Ursonate“ besitzt, wollte wissen, wie der Künstler „die Genehmigung hierzu erhalten habe, damit wir der Sache nachgehen können“. Der Briefwechsel ist in Wolfgang Müllers Broschüre „Die Nachtigall von Reykjavik“ dokumentiert. Vögel spielen in Müllers künstlerischer Arbeit auch sonst eine wichtige Rolle. Aber „Plasmabrocken“, so der Titel der Ausstellung, die ab heute (Freitag, 15. März) im K’ – Zentrum Aktuelle Kunst in Bremen zu sehen ist, sind sie natürlich nicht. Und was die wiederum mit den Möbiusschleifen zu tun haben, die neben den Vogelzeichnungen und einem Video, das Müller bei einer Lesung aus seinem Roman „Kosmas“ zeigt, in der Ausstellung zu sehen sind, erschließt sich nicht ohne Weiteres.
Radek Krolczyk, der die Galerie mit Erik Peters betreibt, gibt zu, dass die Ausstellung ein wenig diffus erscheint. Der Roman „Kosmas“ ist so etwas wie der Schlüssel zu den „Plasmabrocken“, die – Untertitel – für nicht weniger als „die Kunst der Zukunft“ stehen. Der Roman erzählt die Geschichte eines britischen Kunststudenten namens Damien Hirst, der tote Tiere konserviert und damit berühmt wird.
Die Natur wird in Müllers satirischem Roman so zur letzten Ressource einer Kunst in der Krise. Weil aber auch auf dem Kunstmarkt nichts für immer ist, muss sich Hirst bald schon etwas Neues einfallen lassen: „Plasmabrocken – die Kunst der Zukunft“. So wird die Natur, die ihrerseits vom Menschen bereits verändert ist, zu Kunst, in ihr aber eben auch erst wieder lebendig.
Die Möbiusschleifen nun sind damit eher assoziativ verbunden. Ihre Form ist offen, endlos, fließend, kennt kein Oben und kein Unten, kein echtes Innen oder Außen. „Antihierarchisch“ nennt Krolczyk das. Was einerseits auf die Achtzigerjahre in Berlin verweist, das damals viel Raum für künstlerische und soziale Experimente war, ein wichtiger Ort auch für Punk, der sich täglich neu erfand und an dem Müller mit seiner Band Die Tödliche Doris wichtigen Anteil hatte, sein Buch „Subkultur Westberlin 1979–1989“ erzählt die Geschichte jener Jahre. Die Schleifen ließen sich aber auch lesen als Exemplare einer neuen Kunst, die die organischen Strukturen der Natur ebenso aufgreift wie deren ständige Selbsterneuerung im kontinuierlichen Wandel.
Und auch die ausgestorbenen Vögel, die in Buntstiftzeichnungen auf Papier die Wände der Galerie besetzen, sind auf ihre eigene Weise Gewandelte, verwandelt durch die Unschärfen der Beschreibung: Rekonstruiert aus ornithologischer Literatur erstehen die schon seit über 100 Jahren ausgestorbenen Arten bei Wolfgang Müller zu neuem Leben, in Bremen leider nur optisch – die dazugehörigen Gesänge, die er wie die Ansichten aus den Aufzeichnungen der Vogelkunde nachbildete, hat Müller auf dem Album „Séance Vocibus Avium“ verewigt.
■ bis 19. April, K’ - Zentrum Aktuelle Kunst, Alexanderstr. 9b, Bremen