LESERINNENBRIEFE
:

Berliner Kunstvampirismus

■ betr.: „Pariser träumen in Berlin“, taz vom 5. 1. 10

Gewiss, Berlin ist Projektzone, Berlin ist kreativ und offen für alles, aber das ist für mich nichts Positives, sondern nur ein Euphemismus für Berlins Charakter- und Konzeptlosigkeit. Auch ich habe mich vor fünf Jahren von jener wolkigen Bramarbasiererei anlocken lassen, und ich habe nicht den Eindruck, dass es mir gutgetan hat oder meine Karriere vorangebracht hat. Im Gegenteil: Berlin macht einen krank, man verliert sein Selbstwertgefühl als Künstler, einfach deswegen, weil einem hier fast kein Respekt entgegengebracht wird. Die Stadt ist voll von Galerien, Ausstellungen, Lesebühnen, Umsonsttheäterchen, und jeder Amateur darf murksen, so viel er will – aber wir Profis gucken in den Mond, denn Geld gibt es nirgends.

Alle Projekte basieren auf kapitalistischem Vampirismus der übelsten Sorte: Wenn man nach Honorar fragt, wird man angeblafft, der Veranstalter habe selbst kein Geld und man solle gefälligst dankbar sein, dass man überhaupt ausstellen darf, verlegt wird, auf die Bühne darf. Brotlose Galeristen, Verleger und Lesebühnenmuftis beuten brotlose Schriftsteller und Künstler aus und nennen das dann „Alternative“ oder „Solidarität“. Ich kann nichts „Solidarisches“ daran finden, wenn Profis wie ich sich mit 20 Euro Almosen begnügen müssen oder von einem Heer von Hobbydilettanten ausgeknockt wird, die für jeden Veranstalter beliebter sind, weil sie nichts kosten.

Ein „finanziell sorgenfreieres Leben“ kann man in Berlin nur haben, wenn man noch einen anderen Job hat oder von der Stütze lebt. Als freischaffender Künstler und Autor hingegen, der um seine Tarife und Honorare kämpfen und davon leben muss, kommt man sich in Berlin vor wie der Arsch der Nation. Hier habe ich in Irland und der Schweiz mehr Respekt – und Geld – erhalten als in Berlin. Ich denke, dass die Quantität die Qualität tötet. Je mehr Pseudokünstler hier rummurksen, desto weniger wird gute Kultur geachtet. GUDRUN RUPP, Berlin

Geschmacklos

■ betr.: „Wie viel Bush steckt inObama?“, taz vom 7. 1. 10

Die Fotomontage Bush/Obama finde ich äußerst geschmacklos. Es ist nicht zu leugnen, dass sich mit Barack Obama in den USA und in der Weltpolitik einiges geändert hat. Dass ihm nicht alles gelingt, was sich die Welt erhofft, liegt an den Machtverhältnissen, und es wäre blauäugig zu glauben, dass sich die verkrusteten Verhältnisse schon nach zwölf Monaten im Amt umwälzen lassen.

Ihr Titelfoto ist nicht nur eine misslungene Karikatur, sondern Sie verkennen damit auch, was Bush und seine Seilschaften alles zerstört haben und dass andere die Scherben jetzt mühsam wieder aufräumen müssen. Obama hat Unterstützung verdient, Gegner, die sich schadenfroh die Hände reiben, hat er genug.

GUIDO KLEINE, Mühlacker

Skrupellos

■ betr.: „Natur muss der Bauwutweichen“, taz vom 8. 1. 10

Auf den Kanaren will die Regierung die Artenschutzliste um die Hälfte zusammenstreichen, damit skrupellose Geschäftemacher und korrupte Politiker noch mehr Betonburgen bauen können? Ich komme gerade aus Gran Canaria zurück und war entsetzt über die Verschandelung der Steilküsten im Süden der Insel durch die neuen, brutal an die Berge geklatschten Hotelhässlichkeiten. Sie stehen außerdem zum großen Teil leer – und das in der Hauptsaison. Der Tourismus ist auf den Kanarischen Inseln um 17 Prozent zurückgegangen und 25 Prozent mussten ihre Geschäfte aufgeben. Ich wünsche der Bürgerinitiative auf La Palma und auch anderen viel Erfolg im Kampf um den Rest der noch erhaltenen Natur! INGRID GANGLOFF, Hamburg

Kirchenkampf um Krieg oder Frieden

■ betr.: „Rückkehr des Radikalpazifismus?“, taz vom 5. 1. 10

Margot Käßmann lehnt Krieg nicht erst seit gestern ab und hat öffentlich Zweifel am Afghanistaneinsatz geäußert. Als sie noch nicht Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland war, wurde dies bloß von den Medien kaum wahrgenommen und hatte auch eine geringere politische Bedeutung.

Der Vorwurf eines „ahistorischen Radikalpazifismus“ ist verfehlt. Wer die Diskussion in der evangelischen Kirche verfolgt, stellt fest, dass es dort seit mindestens fünfzehn Jahren fundierte Positionen eines „Vorrangs für Gewaltfreiheit“ gibt, was sich auch in dem Buch „Gewaltfrei streiten für einen gerechten Frieden“ der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden niedergeschlagen hat, in dem die entsprechende Linie in der Friedensdenkschrift der EKD konkretisiert wird. Zu gewaltfreien Möglichkeiten, den nationalsozialistischen Unrechtsstaat zu bekämpfen, gibt es ein spannendes Buch der Werkstatt für gewaltfreie Aktion Baden.

Nun hat eine Auseinandersetzung in der EKD begonnen, ob diese Richtung einen stärkeren Einfluss bekommt. Auch wenn dies biblisch-theologisch begründet und inhaltlich notwendig wäre – die aktuelle Diskussion zeigt, dass es innerkirchlich und politisch dagegen massiven Widerstand gibt. Margot Käßmann, der EKD-Friedensbeauftragte Renke Brahms und andere brauchen dringend politische Unterstützung – und nicht solche Kommentare. JAN GILDEMEISTER, Hennef