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Archiv-Artikel

Kurbeln für Kinder

RADSPORT Der Südafrikaner Songezo Jim will bei den harten europäischen Frühjahrsklassikern wie Mailand–Sanremo mithalten

„An einem Bahnhof in Südafrika wird man kein Rad entdecken“

SONGEZO JIM

Es ist ein radikaler Wechsel. Vor knapp zwei Wochen trainierte Songezo Jim noch im warmen Südafrika. Dann kam er ins verschneite Belgien, um sich hier auf seinen bisherigen Höhepunkt, die Teilnahme am Klassiker Mailand–Sanremo (Sonntag, 16.15 Uhr, Eurosport) vorzubereiten. Das war nicht einfach. Denn weil es selbst für hartgesottene flämische Profis zu arg schneite, wurde ein Rennen abgesagt. Songezo Jim baute den Hometrainer im Hotel auf. Bei den Rennen, die stattfanden, musste er sich an Kopfsteinpflaster, enge Straßen und große Pelotons gewöhnen. „Bei uns zu Hause sind die Straßen viel breiter. Es gibt kein Kopfsteinpflaster und das Peloton ist gerademal ein Drittel so groß wie hier“, erzählt er der taz.

Räder für Racker

Songezo Jim will sich aber an die neuen Umstände gewöhnen. Denn zum einen will der Angestellte des südafrikanischen Pro-Continental-Rennstalls MTN Qhubeka gern eine World-Tour-Lizenz erwerben und auch an den großen Rundfahrten teilnehmen. „Giro d’Italia oder Tour de France, das würde mir gefallen“, verrät er. Zum anderen ist er mit einem ganz besonderen Anliegen unterwegs. „Wir fahren dafür, damit Schulkinder in Südafrika Fahrräder bekommen.“ Der Hintergrund: Teamsponsor Qhubeka ist eine Stiftung, die seit 2004 Fahrräder an Schulkinder verteilt.

„Viele Kinder bei uns müssen eine Stunde oder länger zur Schule laufen. Mit einem Fahrrad sparen sie 40 Minuten. Und die können sie beim Lernen einsetzen“, meint der 22-Jährige, der bei einigen Übergaben der gespendeten Räder an die Kinder dabei war. „Das ist ganz besonders. Die ganze Familie ist dann da. Alle freuen sich. Das Rad wird dann von der ganzen Familie genutzt, für Einkäufe und Transporte“, sagt er und ergänzt: „Die Kinder bekommen das ja nicht umsonst. Sie müssen Bäume pflanzen dafür und lernen, dass man für die Dinge, die man bekommt, auch arbeiten muss.“

Die Räder sind Buffalo Bikes, wahre Packesel für den Alltag. „Mit 24 kg Eigengewicht und ziemlich breiten Reifen kann man mit ihnen über 100 kg Last transportieren“, erklärt Songezo Jims sportlicher Leiter Jens Zemke, einst beim Rennstall High Road unter Vertrag.

Einstieg mit 14

Jim bekam sein erstes Rad erst im Alter von 14 Jahren. „Da ging ein Rennen direkt an meinem Haus vorbei. Ich fragte meinen Freund, was man machen musste, um daran teilzunehmen. Er schickte mich zu einer Organisation. Dort füllte ich ein paar Formulare aus und bekam ein Rad geliehen. Das Problem war nur: Ich konnte ja gar nicht Fahrrad fahren“, erzählt er heute vergnügt von seinen Anfängen als Radler. Zwei, drei Wochen übte er. Dann nahm er am ersten Rennen teil und blieb seitdem beim Radsport. Seine Herkunft als Waisenkind hat er nicht vergessen. Auch nicht, dass er nur dank der Hilfe von anderen die Profilaufbahn einschlagen konnte. „Fahrräder sind teuer in Südafrika. Es gibt nur wenige, die sich das leisten können. Während hier in Europa die Bahnhöfe voll von Fahrrädern sind, wird man an einem Bahnhof in Südafrika kein einziges entdecken“, sagt er. Weil er mit seinem Rennstall dafür fährt, dass immer mehr Kinder in seinem Heimatland Fahrräder erhalten, glaubt er sich gefeit gegen die vielfältigen Verlockungen des Dopings.

Nachträglich durchgeführte Tests der südafrikanischen Antidopingagentur hatten verdächtige Hinweise in den Proben von 50 Radsportlern gefunden. „Ich kann Doping nicht verstehen. Das ist doch eine ganz egoistische Haltung. Wir fahren für die Kinder in Afrika. Da haben wir mit all dem Drogenzeug nichts zu tun“, bekräftigt er.

Man kann nur hoffen, dass es dieses Mal stimmt. Es gab einmal einen Spendensammler für Krebspatienten, der Ethos und Ehrgeiz nicht in der Balance hatte. Sein Name: Lance Armstrong. Bei Mailand–Sanremo sieht Jim, der Kletterer, seine Aufgabe darin, Teamkapitän Gerald Ciolek bei den diversen Anstiegen der Classicissima in guter Position zu halten. Der frühere Milram-Kapitän hat verlorene Sprintfähigkeit in diesem Jahr wiedererlangt und ist einer der Geheimtipps für einen Erfolg am Sonntag. Sollte dies eintreten, brächte es sicher neue Buffalo Bikes für Südafrikas Schulkinder.

TOM MUSTROPH