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Archiv-Artikel

Stalking wie im richtigen Leben

Ein Amtsrichter musste das unschöne Ende einer Beziehung beurteilen und kam zu dem Schluss, dass 150 Euro die angemessene Strafe sei. „Ich wollte nur meine Ruhe haben“, sagt das Opfer

„Komm Schatzi, lass uns reden“, hat er ihr zugerufenDer Mann ist eine „tickende Zeitbombe“, sagt seine Ex

Bremen taz ■ „Stalking“. Michael S. (45) ist einer von denen. Schlimmer Finger. Eine „einstweilige Verfügung“ hat seine „Ex“ gegen ihn erwirkt, dass er ihr nicht näher als 50 Meter kommen, sie nicht ansprechen oder ihr folgen darf. Er hat keine Rechtsmittel dagegen eingelegt. Weil er sich schuldig fühlt? Nun hat sie ihn auch wegen Körperverletzung angezeigt.

„Sie hat mich immer wieder angerufen“, sagt S. vor Gericht. Sie hätten sich getroffen, mal bei ihm übernachtet, mal bei ihr. „Die Vermieterfrau hat gesehen, dass wir umarmt herumgestanden haben.“ Und dann wollte sie wieder nicht. Also doch eine Trennung mit Rückfällen?

„Komm Schatzi, lass uns reden“, habe er ihr zugerufen. Ob das verboten sei? Und seine Sachen standen bei ihr im Keller, sogar sein Personalausweis. Überhaupt: Die „einstweilige Anordnung“ habe er gar nicht bekommen. Erst von der Polizei – die seine Sachen im Keller jenes Mietshauses suchte, in der sie wohnte. Geschlagen? Nie. Nur seine Sachen habe er wieder haben wollen. Das Trommelfell sei „zerfetzt“ durch den Schlag, hatte sie der Polizei erklärt. Dauernd habe er sie geschlagen. Eine „tickende Zeitbombe“ sei der Mann.

Amtsrichter Peter Mertens nimmt die unterschiedlichen Wahrnehmungen gelassen hin. Erst als der Anwalt einen Kumpel des Angeklagten als Zeugen dafür hereinholen will, dass sehr wohl „Sachen“ seines Mandanten in der Wohnung gewesen seien, wird der Richter etwas schärfer im Ton. Der Mann habe doch im Zivilverfahren ausgesagt, dass er nichts Konkretes sagen könne. Die Zivilklage des Angeklagten „auf Herausgabe“ sei daraufhin gescheitert. Wenn er sich nun, Monate später, konkreter erinnere, könne das Folgen für den Zeugen haben. Der Verteidiger braucht einige Minuten, bis er begreift, dass da ein Falschaussage-Verfahren droht. Nach kurzer Rücksprache mit dem Zeugen zieht er den Antrag auf Vernehmung seines Zeugen zurück.

Was tun? Wo ist die Wahrheit? Von einer Zustellung der einstweiligen Verfügung ist in den Akten nichts zu finden, sagt der Verteidiger. Sein Mandant habe davon bei den ersten drei angeklagten Annäherungsversuchen nichts gewusst, bis die Polizei ihm die Verfügung übergeben habe. Die zwei Fälle danach, in denen er sie angesprochen habe, habe er eingeräumt und bedauert: „Ich habe einen Fehler gemacht.“ Außer der Verletzung der 50-Meter-Bannmeile werde ihm da aber nichts vorgeworfen. Die Geschädigte sei schließlich neun Monate nach dem angeblichen Schlag zum Ohrenarzt gegangen, einen traumatischen Trommelfelldefekt hatte der festgestellt, aber das der von einem Schlag neun Monate zuvor herrühren soll – so glaubwürdig sei das nicht. Eine Körperverletzung sei nicht nachzuweisen. Die einstweilige Verfügung sei schließlich aufgehoben, weil die Frau keine Klage erhoben habe. „Ich wollte nur meine Ruhe haben“, hatte sie erklärt – die habe sie ja jetzt. Und vorbestraft sei sein Mandant nicht.

Eine Einstellung wegen Geringfügigkeit lehnte die Staatsanwältin dennoch ab. Auch eine „Backpfeife“ sei Körperverletzung, entgegnet sie. Könnte ein Strafbefehl das Verfahren beenden? Sechs Monatsraten zu 30 Euro gegen den Empfänger von ALG II, das würde immerhin fast zehn Prozent seines verfügbaren Einkommens ausmachen. Mertens: „Das tut ihm wirklich weh.“ Die Staatsanwältin trocken: „Ich könnte damit leben.“ Aber die Anwaltskosten kämen hinzu, erinnert der Richter. Der Angeklagte stimmt nicht zu. 150 Euro waren schließlich das Urteil des Richters.

Klaus Wolschner