„Ich fühle mich als Christ“

Daniel Michalk: Erst glaubte er an die gewalttätige rechte Szene in Chemnitz. Jetzt glaubt er an seinen Ausweg daraus

„Ich arbeite als Sozialarbeiter. Meine rechte Vergangenheit gibt mir einen besseren Zugang zu den Jugendlichen“

INTERVIEW LAURA PIOTROWSKI

taz: Sie gehörten in den Jahren des Untergangs der DDR zu den Jugendlichen, die die rechtsextreme Szene in Chemnitz mit begründet haben. Haben Sie heute noch Kontakt?

Daniel Michalk: Kaum, eigentlich keinen. Ich arbeite heute ehrenamtlich als Sozialarbeiter. Ich fühle mich als Christ.

Wollen Sie damit sagen, dass sie vom Nazi- zum Christentum übergetreten sind?

So könnte man das ausdrücken.

Wie ist das passiert?

Viele meiner Freunde sind Mitte der Neunziger aus der radikalen Szene raus. Sie haben Familien gegründet, geheiratet. Viele verbüßten auch Strafen. Es war alles so sinnlos geworden, Konzerte wurden abgesagt, Kundgebungen verboten, das ewige Hin und Her mit den Linken hat genervt.

Aber deswegen gibt man seine Überzeugung nicht auf.

Ich war überzeugt, eine normale nationalistische Kultur zu finden. Dass die radikale Szene nicht alles ist. Dass noch Menschen existieren, denen das Herz nach einem sauberen Deutschland brennt.

Sind Sie fündig geworden?

Ich bin an Christen geraten. Und sie hatten einfach die besseren Argumente als ich. Also habe ich die Bibel gelesen, um darin eine plausible Begründung auch für sie zu finden. Aber es ist dann eher anders herum gekommen.

Bitte?

Sie haben mich bekehrt, und ich habe mich bekehren lassen. Das war das Beste, was mir in meinem Leben passieren konnte! Ich habe gemerkt, dass die Bibel lebendig ist. Mein damaliger Gitarrenlehrer hat mich mit zum Glaubensgrundkurs genommen. So ist es auf den Weg gekommen.

Sie sagten einfach: „Hey, ich bin kein Nazi mehr!“

Ich habe der größten Tratschtante der Szene erzählt, dass ich Christ geworden bin. Ich war sicher, dass er das sofort verbreitet.

Haben die anderen das so einfach hingenommen?

Es gab einen, der gedroht hat, mich zu verprügeln. Die Tatsache, dass ich die Szene in Chemnitz mit aufgebaut hatte, hat mich vor vielem bewahrt.

Und das war’s dann?

2001 habe ich mich taufen lassen. Ich habe mit meiner Vergangenheit abgeschlossen, all meine Nazi-Sachen verbrannt. CDs zerstört, T- Shirts weggeworfen, Zeitschriften verbrannt. Ich habe richtig aufgeräumt.

Alles, das für Sie den Einstieg in die Szene bedeutet hatte. Wie waren Sie da hineingeraten?

Im Prinzip durch Musik. Kurz vor der Wende, da war ich 13 oder 14, hörte ich zum ersten Mal diese Nazi-Punk-Bands. Ich und meine Freunde haben diese Musik immer und immer wieder gehört. Sie sprach uns aus dem Herzen.

Was hat Sie angesprochen?

Es hat auf die soziale Situation im Heckert-Gebiet gepasst …

ein Chemnitzer Neubaugebiet mit anonymen Wohnsilos.

Genau, da hing ich mit anderen Jugendlichen rum. Viele meiner Freunde hatten den Drang, deutsch zu sein. Die Lieder der Nazi-Punk-Bands drückten das gut aus. Später haben wir getan, was wir immer mitsangen.

Was meinen Sie damit?

Die Trinker in unserer Gruppe wollten Party machen und Leute verprügeln. Andere wollten mehr, die haben das politisch gemacht. Dass die Deutschen endlich wieder ein Nationalbewusstsein bekommen. Die Deutschen sollten endlich merken, dass sie keine Tiere oder Unmenschen sind.

Woher kam das deutsche Thema?

Durch die Wiedervereinigung. Man dachte, wenn das schon geschafft ist, dann kann man das ganze deutsche Reich wieder entstehen lassen.

Gab es Hilfe von außen?

Ja. Wichtig war, dass die rechtsextremen Parteien aus dem Westen ihre Kräfte dann auf uns in Ostdeutschland konzentriert haben.

Welche Rolle haben Sie dabei eingenommen?

Wir sind auf Parteitreffen gegangen. Oder haben bei einschlägigen Konzerten Kontakte mit Nationalsozialisten aus ganz Deutschland geknüpft. Allerdings wussten wir weniger, was wir da taten. Das Gruppenerlebnis war wichtiger.

Was heißt das?

Wir verbrachten unsere ganze Freizeit zusammen. Gemeinsam jagten wir Ausländer durch die Stadt oder überfielen besetzte Häuser. Wir zettelten Schlägereien an und hassten einfach alles, was Deutschland schadete.

Und das wäre?

Allen voran die Ausländer. Wir waren doch die Herrenrasse mit den Genen, die uns die Übermenschlichkeit zusprachen?! Wir glaubten, dass unser Reich zerstückelt, besetzt und ausgeraubt war.

Was wollten Sie tun?

Wir wollten Ausländer und Linke aussiedeln, ähnlich wie Hitler es mit den Juden wollte. Ich glaubte damals, dass Hitler keine Juden umbringen wollte und es keine Vergasungen gegeben hatte.

Wie kamen Sie denn darauf?

Ich hatte Bücher und Zeitschriften studiert, in denen „Auschwitz“ als Lüge überführt wurde. „Mein Kampf“ las ich extra nicht. Ich wollte einen personenunabhängigen Nationalsozialismus ergründen.

Wie hat Ihre Familie und Ihr Bekanntenkreis reagiert?

Der allgemeine Trend ging nach rechts. Auch meine Eltern haben mich gewähren lassen. Nur einmal, als ich kahl geschoren vom Friseur wiederkam, hielt mein Vater am Abendbrottisch eine kleine Rede zum Thema „Mein Sohn ist ein Rechtsradikaler!“.

Waren Sie in der Wikingjugend?

Leider nicht. Sie war der Hitler-Jugend sehr nahe, so mit Lagerfeuer, Gitarre und Nationalgefühl. Diese Abenteuerromantik hat mich schon sehr angesprochen. Außerdem gab es da einen Liedermacher, Frank Rennicke …

der sie begeistert hat?

Ja, seine Texte waren nicht so proletenhaft, sondern feinsinnig und gut durchdacht. Und nationalistisch.

Heutzutage wirbt er auf der „Schulhof- CD“ Anhänger für die NPD. Wie stehen Sie dazu?

Wow! Also, dass er das nicht gemerkt hat! Die machen doch so gar nicht, was ihm eigentlich vorschwebt. Frank Rennicke war immer so eine gute Seele.

Was soll das heißen?

Auf einem seiner Konzerte kam es mal zu einem Tumult, weil er meinte, dass er einen aufrichtigen Franzosen mehr schätzt als einen undeutschen Deutschen. Die Leute dort haben ihn ausgebuht. Das war so ein Punkt, der mich nachdenklich machte.

Der Sie zweifeln ließ?

Es gab viele Faktoren und Rennicke war einer davon. Wichtig war, dass die Szene sich total kommerzialisierte. Die ersten Labels entstanden und später eine richtige Industrie. Für mich hatte das nichts mehr mit der „Sache“ zu tun. Deshalb haben wir uns als Gruppe von dem Ganzen entfernt.

Wenn Sie heute zurückblicken, inwieweit haben Sie Konsequenzen aus ihrer Vergangenheit gezogen?

Ich hab meine Lehren gezogen, auch wenn es noch einige für mich schwierige Themen gibt. Heute arbeite ich im Heckert- Gebiet in einem offenen christlichen Kinder- und Jugendzentrum, um christliche Werte zu vermitteln. Durch meine Vergangenheit habe ich einen besseren Zugang zu den Jugendlichen. Ich weiß, worum es geht. Und ich denke, dass ich ihnen und Gott so am besten nutzen kann. Außerdem, hätte ich nicht so gelebt, hätte ich vielleicht nie nach Gott oder dem Glauben gefragt!

Wollen Sie noch etwas loswerden?

Es gibt im Heckert-Gebiet einen Jugendclub, den „Bunker“. Früher war dort jeden Donnerstag Nazi-Disko. Nach meiner Bekehrung fand dort jeden Donnerstag ein Kinderprogramm statt, an dem auch ich teilgenommen habe. An dem Punkt ist mir bewusst geworden, wie Gott mich benutzt. Das hat mich tief bewegt.