Schaf im Schafspelz

Der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch ist am Dienstag im Alter von 80 Jahren gestorben. Mit seinem pfeilschnellen Vaudeville-Witz, seiner heimeligen Provinzialität und einem schrulligen Größenwahn brachte er nicht nur das Publikum seiner niederrheinischen Heimat zum Lachen und zum Weinen

„’nen Abend zusammen!“ Das war sein Schlachtruf, mit dem er das Publikum begrüßte – immer irgendwie in Eile, um dann, kaum auf der Bühne, weitschweifig zu erklären, „’nen Abend zusammen!“, das wäre der Gruß in seiner Heimat, er wäre am Niederrhein geboren, in der kleinen, nein, Mittelstadt Moers, da begrüße man sich über den Zaun hinweg von Nachbar zu Nachbar, auch wenn nur zwei sich träfen: „’nen Abend zusammen!“.

Hanns Dieter Hüsch war der heimeligste Kabarettist, den das westliche Nachkriegsdeutschland hervorbrachte. 1925 in Moers geboren, hat er seine Heimatstadt zumindest geistig nie verlassen. Hüschs Stärke war seine regionale Verwurzelung. Und wenn er von seiner „Omma“ und den Gesprächen rund um den Kaffeetisch beim Begräbnis irgendeiner Tante erzählte und den Tonfall der kleinen Leutchen in irrer Geschwindigkeit wiedergab, dann konnte sein Publikum sich mitunter nicht entscheiden, ob die Tränen wegen der absurden Komik oder der warmherzigen Rückbesinnung flossen.

Dabei zog es Hüsch, der wegen eines angeborenen Klumpfußes vom Kriegsdienst freigestellt wurde, bald nach seiner Schulzeit weg aus der Provinz. Er sollte wieder in der Provinz landen: in Mainz. Dort gründete er 1956 das Kabarettensemble „arche nova“ und arbeitete später für das ZDF. In den Siebzigerjahren synchronisierte – oder besser: übersprach er frühe amerikanische Western- und Comedy-Serien: „Western von gestern“ oder „Väter der Klamotte“ wurden durch ihn zu großen Erfolgen. Manchem Stummfilmklassiker verhalf er zu einer Renaissance. Vergessene Komiker wurden mit Hilfe seines pfeilschnellen Witzes überhaupt erst entdeckt. Hüsch hauchte ihnen neues Leben ein, indem er dem Vaudeville-Charakter dieser Komikergeneration nachspürte und die verschnarchte Komik der zappeligen Stummfilmbilder spielerisch in die Fernsehmoderne transportierte.

Hüsch prägte dabei leider auch die Namen „Dick und Doof“ und machte aus dem großen Komikerpaar Laurel & Hardy eine Witznummer. Hüsch erkannte nicht, dass er einem konservativen Prinzip der Diminuisierung von Humor folgte, als er die Laurel-&-Hardy-Spielfilme zerschnippelte und sinnverzerrend übersprach. So wurde aus dem Anarchisten Laurel eben „Doof“, wie aus einem Gulliver, der einmal eine zeitbezogene satirische Figur war, heute eine belanglose Kinderbuchgestalt geworden ist.

Während der Studentenbewegung sprang Hüsch auf den Zug des politischen Kabaretts auf, das seine Sache aber nicht war. Wenn er mit einem goldenen Reif auf dem Kopf vorm Harmonium saß und sich selbst als Narren vorstellte, fielen im Betrachter Figur und Mensch zusammen. Als Hüsch sich dann auch noch als verfolgten Künstler stilisierte, den man wegen seiner aufmüpfigen Gedanken wohl hinter der Bühne verhafte, wurde er endgültig zum „erledigten Fall“ (Eckhard Henscheid). Das selbst ernannte „schwarze Schaf vom Niederrhein“ entwickelte sich zu einem Schaf im Schafspelz, und bei seinen Auftritten in den Neunzigerjahren saß oft nur noch die Hardcore-Fraktion der Politkabarett-Studienräte im Publikum. Im Jahr 2000 schließlich musste Hüsch wegen einer schweren Krebserkrankung sein Abschiedsprogramm geben.

Ungebrochen aber war die Liebe seines niederrheinischen Heimatpublikums zu ihm. Er wurde Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Moers und erhielt zahllose Preise. Und jeder Niederrheiner kann heute Hüschs Credo nachbeten: „Der Niederrheiner weiß nichts, kann aber alles erklären.“ Dafür haben sie ihn geliebt: für seinen schnellen Vaudeville-Witz, gepaart mit seiner nostalgischen Liebe zur Provinz, für seinen schrulligen Größenwahn.

In der Nacht zum Dienstag starb Hanns Dieter Hüsch nach langer Krankheit im Alter von 80 Jahren. MICHAEL RINGEL