: Spiel die beste Nutte und werde ein Star!
THEATER „Scheppernde Antworten auf dröhnende Fragen“ im Ballhaus Naunynstraße diskutiert Frauenrollen auf der Bühne
VON FATMA AYDEMIR
Der allmächtige Lars von Trier persönlich lädt zum Casting. Um zwei coole Rebellinnen soll es in seinem Film gehen, und da lutscht man als junge Schauspielerin schon mal die Knarre, wenn der Regisseur es befiehlt. Eine tut es gleich, die andere nur widerwillig. Die in Schundromanzen wie „Sturm der Liebe“ bekannt gewordene Patrizia kriegt ihre Beine kaum geschlossen. Für von Trier hat sie sich den Intimbereich frisch waxen lassen – wegen der „Muschi-Großaufnahme“ in „Der Antichrist“. Lenni schmeißt dagegen mit Zitaten der schizophrenen Figur des Tyler Durden aus „Fight Club“ um sich und würde am liebsten mal die Rolle des Jokers spielen. Wären da nicht diese „scheiß-verfickten Sehgewohnheiten“, die die Frau entweder zur Mutter oder zum Model machen. Aus Versehen erschießen Patrizia und Lenni während des Castings den Regisseur und begeben sich im Cadillac auf eine kathartische Flucht.
So geht das zu in „Hunting von Trier“. Die ironische Roadmovie-Bühneninszenierung von Nora Abdel-Maksoud bildet den Auftakt des dreiteiligen Abends im postmigrantischen Theater Ballhaus Naunynstraße, bei dem unter dem Titel „Scheppernde Antworten auf dröhnende Fragen“ drei Nachwuchsregisseurinnen mit großem Radau und ausschließlich weiblichen Darstellerinnen ihre Stücke präsentieren. Die dröhnendste aller Fragen lautet an diesem Abend: welche Rolle spielen Frauen auf der Bühne?
In „Hunting von Trier“ ist die glühende Darstellerin Anne Haug gleich in mehreren Rollen zu sehen: als depressiver Fraueninszenierer Lars von Trier, als vor sich hin rottender und zugleich weiser Dinosaurier Iggy Pop, als ekelerregend-sexistischer Kai Diekmann und nicht zuletzt als beschwipste und bösartige Brigitte Bardot. Die Mutter aller „Nutten-Rollen“ krabbelt samt Sektflasche auf die Bühne, um Patrizia und Lenni ihren bestgemeinten Rat zu geben: „Spiel die beste Nutte und werde ein Star!“
Das Wort „Nutte“ fällt fortan gefühlte fünfzig Mal, und die überbordende Fülle an popkulturellen Querverweisen von „Pretty Woman“ bis Heidi Klum wird in „Hunting von Trier“ zum traurigen Beweis der unterwürfigen Frauenrepräsentationen. Die Frau, sie liebt und sie leidet. Bestenfalls stirbt sie noch. Das gilt es zu ändern, Lenni und Patrizia wollen den Betrieb revolutionieren, finden sich aber am Ende wieder nur in einer männlichen Inszenierung, von der sie nichts geahnt haben. Der Albtraum aus Pappe und Modemagazin-Schnipseln nennt sich Sehgewohnheiten und siegt zuletzt auch über die zum Schimpfwort mutierte Idee des „Feminismus“, dessen Aussprache Diekmann und die gewaxte Patrizia jedes Mal regelrecht zusammenzucken lässt.
In Theresa Hennings „Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer. Hallo Revolutionär!“ geht es wortkarger und noch kurioser zu. Gretchen (gespielt von Elmira Bahrami) sitzt seit 200 Jahren im Kerker und ist zum Anschauungsobjekt verkommen. Sie modelt, liebt, tanzt und applaudiert sich selbst. Immer wieder zieht sie sich um, die Kleider sind mal zu groß, mal zu klein. Gretchen verliert zunehmend die Nerven, hyperventiliert und hämmert gegen die Wände. Eine Videoprojektion zeigt Kriegs- und Revolutionsaufnahmen. „Gestern gab es noch ein Aufbäumen!“ Doch jedem Aufstand folgt der ermüdete Rückzug. Fassung und Freiheit holt sich Gretchen im bequemen Shirt und mit Chucks zurück: „Wir sind die letzte Generation, die noch fliehen kann“, ruft sie, bevor sie es schafft, die Fenster zu öffnen und in die weiße Nacht hinaus zu fliehen.
Kippen ins Ernsthafte
Ein überraschendes Highlight des Abends ist ein Fußballstück. Halb dokumentarisch, halb fiktiv erzählt Salome Dastmalchis „Run Brother Run“ vom WM-Halbfinale 2006, Deutschland gegen Italien. Es ist Halbzeit, und die drei Nationalspieler Henkel, Mate und Beck ziehen sich in den verschwitzten Mikrokosmos der Umkleidekabine zurück. Wenn Frauen Männer spielen, gibt es Schwanzvergleiche und Eitelkeit, aber auch verletztliche Selbstinfragestellung. Die drei Darstellerinnen Sanam Afrashteh, Javeh Asefdjah und Pinar Erincin schaffen es, ihre Rollen humoristisch zu überziehen und im richtigen Moment ins Ernsthafte zu kippen. Torwart Henkel will nämlich nicht mehr raus aufs Feld, er hat Angst, fühlt sich von den Fans nicht akzeptiert und will sich nicht weiter diesem psychischen Druck aussetzen. Seine „Brüder“ überzeugen ihn aber, gemeinsam gehen sie raus ins öffentliche Versagen. Die Antwort scheppert gewaltig: auch Männer lieben und leiden, sterben im schlimmsten Fall.
■ „Scheppernde Antworten auf dröhnende Fragen“: 18.–21. 3., 20 Uhr, Ballhaus Naunynstraße