Kommentar Steinbrück-Erpressung: Rührend gestrige Hybris
Die Erpressung Steinbrücks durch Herrmann Ude, ehemaliges Vorstandsmitglied der Deutschen Post, wirft ein verheerendes Licht auf die „Eliten“ in Deutschland.
B ERLIN taz Vor 14 Jahren soll Peer Steinbrück für seine Schwiegermutter eine philippinische Haushaltshilfe beschäftigt haben. Schwarz. Ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit trat dieses Gerücht vor einer Woche nicht durch einen Tweet oder eine Zeitungsmeldung – sondern weil das Ehepaar Steinbrück wegen eines erpresserischen Briefes das BKA eingeschaltet hatte. Der anonyme Absender hatte gedroht, dieses illegale Arbeitsverhältnis öffentlich zu machen, sollte Steinbrück nicht von seiner Kanzlerkandidatur zurücktreten.
Sofort beantwortete Steinbrück alle Fragen zu diesem Thema erschöpfend, noch bevor sie ernsthaft gestellt oder vom politischen Gegner aufgegriffen wurden. Darüber hinaus erlaubte er sich die Anmerkung, ein Erpressungsversuch sei für ihn in diesem Wahlkampf bisher „jenseits seiner Vorstellungskraft gewesen“. Nun nimmt die Klamotte eine weitere Wendung, diesmal ins Groteske. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung handelt es sich bei dem Erpresser um Hermann Ude, einst Vorstandsmitglied bei der Deutschen Post. Der Vertraute von Klaus Zumwinkel war zuletzt zuständig für den Frachtbereich.
Nach seiner Entlassung durch den neuen Konzernchef Frank Appel fiel Ude nicht tief. Geschäftlich trat er sogleich als Gründer der „Training Beteiligungsgesellschaft“ in Erscheinung, gesellschaftlich wurde er von der Universität Bonn als „hochkarätige Persönlichkeit“ mit einer Mitgliedschaft im Hochschulrat geadelt.
Zu Hause beschäftigt Ude zufällig ebenjene Putzhilfe, über die er Peer Steinbrück nun stolpern lassen wollte. Ude sagte der Staatsanwaltschaft Bonn, er habe sich über Äußerungen Steinbrücks zur Ausbeutung von Geringverdienern geärgert, den Brief aber nicht abschicken wollen – was dann „versehentlich“ doch passiert sei.
Zwar passt es zum natürlichen Verhalten eines Alphatiers, persönlichen Druck von Mann zu Mann ausüben zu wollen. Dabei aber unter Umgehung der viel effizienteren „sozialen Netzwerke“ einen Brief mit der Post zu verschicken, darauf kann eigentlich nur ein Briefträger kommen – oder eben ein ehemaliger Post-Vorstand. Der Vorgang ist so rührend gestrig wie die Hybris dahinter, mit einer klandestinen Nötigung mal eben eine Wahl entscheiden zu wollen. Der Fall wirft ein verheerendes Licht auf die „Eliten“ in Deutschland.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alleingang des Finanzministers
Lindner will Bürgergeld kürzen
Putins Brics-Gipfel in Kasan
Club der falschen Freunde
Deutsche Asylpolitik
Die Hölle der anderen
Kritik an Initiative Finanzielle Bildung
Ministeriumsattacke auf Attac
Linke in Berlin
Parteiaustritte nach Antisemitismus-Streit
Investitionsbonus für Unternehmen
Das habecksche Gießkannenprinzip