: Plattformunternehmer und Urheberrechtsauskenner
THEATER-THINKTANK Das HAU bewegt sich zwischen Nerdismus und neuer Volksbühne, Krautrock und neuer Bloggersphäre. Am Samstag hieß es „Teil und Ganzes – Braindrops Keep Falling On My Head“, Onlinekommunismus mitsamt Revuegirl
Es gab eine Zeit, da fragte man sich: Was macht eigentlich Nils Bokelberg? Hat er sich ins Jenseits gekifft, ist er in eine Gletscherspalte gesnowboardet oder tingelt er mit seiner Band „Fritten + Bier“ von Abiturfeier zu Abiturfeier?
Nein, nichts dergleichen, Nils Bokelberg ist zum Conferencier geworden und moderiert Revuen. Dabei hat er sich und seinen Stil nicht groß geändert. Er trägt immer noch Skimützen und lange blonde Haare und wirkt irgendwie schwer lässig. Am Samstag durfte er durch einen Abend im HAU 1 führen, der „Teil und Ganzes – Braindrops Keep Falling On My Head“ hieß. Ein Abend, eine Revue, eine Mischung aus Stand-up-Präsentation und Talkshow, ein Zwitter aus aktueller Theaterverschrobenheit, hochgradigem Nerdismus und in Retrogewändern gepacktes Infotainment. Das war es.
„Teil und Ganzes“ war Teil einer kleinen Reihe, die im Rahmen des Thinktanks „Jean Luc und die Singularität vorm falschen Fenster“ stattfand, einer Veranstaltung der Gruppe atoms & bits. Sinn und Zweck dieses Tanks, dieses Abends bestand darin, die verschiedenen Strömungen, Interessensgruppen und Aktionsfelder der neuen digitalen Welten zusammenzuführen oder zumindest vorzustellen. So kamen, verteilt auf vier Blocks, Künstler, Plattformunternehmer, Urheberrechtsauskenner, Theatermenschen, ein Verleger und noch ein paar Leute auf die Bühne und stellten sich und ihre Anliegen vor. Das war zuweilen unterhaltsam und aufschlussreich, ging es doch um Themen, die derzeit nicht nur angesagt, sondern wichtig sind. Das alte Urheberrecht und das E-Book, die alte Industrie versus den sogenannten Onlinekommunismus.
Die Theaterverschrobenheit bestand darin, dass man eine Unterhaltungsatmosphäre mitsamt Siebzigerjahremobiliar aufzubauen suchte. Die jungen Leute von atoms & bits saßen auf einer gelben Couch oder um diese herum und blieben auf Abendlänge dort sitzen. Das Ganze wurde beständig gefilmt und hinten auf die große Leinwand gebracht. Dann kamen die Gäste, von Nils Bokelberg vorgestellt und nach ihrem Vortrag auch abgefragt. Ein Touch Pollesch, ein Touch Kurt Krömer. Interessant wurde es, als die Kuratorin des HAU herself die Bühne betrat und ein bisschen über Mittel und Pläne des Hauses berichtete. Nicht zuletzt durch Veranstaltungen wie dieser sowie durch die von Christoph Gurk betreute Musikreihe, die bald startet, könnte aus dem HAU so etwas wie eine neue Volksbühne werden. Noch fehlen aber die richtigen Theaterstars.
Und der Nerdismus feierte auch reichlich Urständ. Es gab Live-Kommentare über Twitter, es fielen Begriffe wie Löschhölle und Datenfernübertragung und noch ganz andere. Auf der Bühne erklärte Christian Heller, Futurist, den Begriff „Singularität“ und machte Science-Fiction-Welten auf. Dabei schien es den versammelten VertreterInnen der Blogosphäre, so viele waren es nicht, nicht um Effizienz oder Bezahlung zu gehen. Der soziale Akt, das Zeltlagerhafte, darum ging es. Und warum auch nicht.
Zwischen den Beiträgen sorgte die Krautrock-Experimentalband The RotTT für Unruhe. Mitsamt Revuegirl. Man kam sich tatsächlich wie in einer 1974 entsponnenen Version der Zukunft vor. Tatsächlich war draußen schon 2010 und reichlich nicht wegzubeamender Schnee. Ein Snowboard hatte niemand dabei.
RENÉ HAMANN