Interview mit Chef Berlin Energie: „Was wir machen, ist kein Teufelszeug“
Hohe Gewinne für die Stadt und die Umsetzung der Energiewende: Der Chef von Berlin Energie, Wolfgang Neldner, will das Gas- und Stromnetz in Landeshand holen - ohne Deal mit Vattenfall.
taz: Herr Neldner, sind Sie schon Berlins Wirtschaftssenatorin begegnet?
Wolfgang Neldner: Nein.
Cornelia Yzer von der CDU hält das, was Sie machen sollen, für Teufelszeug: Strom- und Gasnetze zurück in Landeshand holen.
56, ist seit Mai Geschäftsführer des landeseigenen Unternehmens Berlin Energie. Er wurde in Naumburg an der Saale geboren und studierte in Moskau "Kybernetik elektrischer Systeme". Als Diplom-Elektroingenieur war er für diverse Stromnetze verantwortlich, zuletzt als Technischer Geschäftsführer der Vattenfall Europe Transmission GmbH. Neldner sitzt im Aufsichtsrat der Genossenschaft Kompetenznetzwerk Nachhaltige Mobilität und ist Mitglied beim Kompetenzzentrum für kritische Infrastrukturen in Berlin.
Das ist das Schöne nach der Einheit: Jetzt haben wir Demokratie. Jeder kann sagen, was er will. Das genieße ich geradezu, das wird man mir als ehemaligem DDR-Bürger abnehmen (lacht). Aber im Ernst: Was wir machen, ist kein Teufelszeug.
Wie würden Sie Frau Yzer erklären, dass Berlin seine Energienetze übernehmen soll?
Es geht dabei um nichts weniger als die Umsetzung der Energiewende. Das ist eine komplexe gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Da kann sich ein Land wie Berlin danebenstellen und gucken: Wie läuft das? Oder es kann die Entwicklung mitgestalten. Ich bin dafür, dass wir sie mitgestalten.
Alle Kritiker der Kommunalisierung rufen: Das Stromnetz hat mit der Energiewende nichts zu tun, der Betreiber muss Strom aus allen Quellen durchleiten, nicht nur den grünen.
Aus der gegenwärtigen Rechtssituation heraus ist die Gestaltungsmacht noch limitiert. Aber es geht um die Zukunft. Jetzt nach der Bundestagswahl beginnen die Diskussionen über die konkrete Gestaltung der Energiewende.
Was hat das konkret mit dem Stromnetz zu tun?
In dem werden wir künftig tagsüber innerhalb weniger Stunden eine hohe und sehr dynamische Photovoltaikerzeugung haben, unendlich viel Energie. Nachts aber gar nichts. Dagegen bleibt die Lastkurve die ganze Zeit über nahezu unverändert …
Was ist die Lastkurve?
Die Nachfrage nach Strom, der Verbrauch. Wir werden also in einer ganz anderen Art und Weise als heute die Frage beantworten müssen: Wie können wir diese Lastkurve flexibilisieren? Großstädte spielen dabei eine ganz besondere Rolle, weil sie viele Energieverbraucher auf engem Raum vereinen. Es geht darum, die Netze intelligenter zu machen.
Aber warum muss das Land Berlin das selbst machen?
Weil die Beantwortung einer zentralen Frage ansteht: Wollen wir diese Energiewende nun schaffen oder nicht? Schaffen werden wir sie nicht durch einzelne Akteure mit ihren jeweiligen Interessen, sondern nur durch das Zusammenspiel von vielen. Wir alle müssen den Mut und die Kraft dafür aufbringen. Berlin kann und wird sich hier sehr proaktiv in den anstehenden Bund-Länder-Prozess einbringen. Das nötige Faktenwissen kann Berlin Energie zur Verfügung stellen.
Was soll das heißen?
Es geht bei den Netzen um Daten! Daten über das, was durch die Leitungen fließt. Momentan kennen die wichtigen Daten zum Netz weder Sie noch ich noch das Land Berlin.
Vattenfall drückt allen Interessierten ein sehr dickes Buch mit Daten in die Hand, der Konzern nennt es das Telefonbuch des Berliner Stromnetzes.
Klar, ich kenne dieses Buch. Aber das sind statische Daten. Dynamische Daten, also wann welche Leitung wie hoch belastet ist, über einen Tag, eine Woche, einen Monat hinweg, das werden Sie in diesem Buch nicht finden.
Wozu sollte mich das interessieren?
Um den für die Energiewende nötigen Ausbau und Umbau des Netzes zu optimieren, ebenso wie dessen Instandhaltung. Aber auch, um den künftigen naturstrombasierten Versorgungsbetrieb gestalten zu können. Wir wollen Berlin Energie zum transparentesten Verteilnetzbetreiber Deutschlands machen. Diese Daten bekommen dann nicht nur das Land und dessen Landesbetriebe – nein, die bekommen alle. Und denken Sie erst an die Synergien, die das Gas- und das Stromnetz gemeinsam in Landeshand bedeuten würden.
Erklären Sie.
Weder Vattenfall noch Gasag können solche Synergien entwickeln. Für beide Netze liegen die Leitungen in der Erde. Im Moment muss für Gas und Strom separat die Erde aufgegraben werden, es müssen entsprechende Gespräche mit den Kunden geführt werden, die haben einen Gasvertrag und einen Stromvertrag, betreut von einen Anbieter, betreut vom anderen Anbieter. Für die Bürger ist es in jeder Hinsicht ein Gewinn, wenn alles in einer Hand liegt. Denn es macht den Betrieb effizienter und billiger.
Einige in Berlin treibt eher um, dass sich das Land mit dem Kauf der Netze einem hohen Schuldenrisiko aussetzen könnte.
Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass da einige in der Stadt Gespenster an die Wand malen. Wie ein von der Bundesnetzagentur streng regulierter Netzbetreiber pleitegehen soll, ist mir ein Rätsel. Warum gäbe es sonst so ein enormes Interesse von alten und neuen Bewerbern für dieses äußerst attraktive Netzvermögen? Und natürlich werden wir strikt darauf achten, dass nur absolute Fachfrauen und -männer in die entsprechenden Positionen kommen, wenn wir Berlin Energie aufbauen.
Das Netz würde Berlin wohl etwa eine Milliarde Euro kosten.
Erst einmal wird entschieden, wer die Konzession für das Netz bekommt. Anschließend wird es um den Übernahmeprozess und dabei um den genauen Preis gehen. Dieser Preis wird im Detail auszuhandeln sein, wobei es klare rechtliche Festlegungen für diesen Prozess gibt. Aber natürlich, das Geld muss aufgebracht werden.
Kritiker warnen vor neuen Haushaltslöchern.
Wir werden das sehr professionell managen und haben mehrere Sicherungsmechanismen. Für diese Stromnetzkonzession gäbe es doch nicht mehrere Bewerber, wenn es nicht um ein nachhaltig positives Geschäft ginge. Das Vermögen ist real da. Das Netz liegt in der Erde, das kann niemand wegnehmen. Und durch die exzellente deutsche Regulierung ist tatsächlich jedes Jahr eine positive Rendite da. Die fließt derzeit bekanntermaßen nicht nach Berlin. In Zukunft soll sie Jahr für Jahr nach Berlin fließen, ebenso wie gleichzeitig dem Land das Vermögen des Netzes zufließt. Das ist ein Grund, weshalb wir um die Konzessionen kämpfen.
Wie wollen Sie das machen, gegen erfahrene Platzhirsche wie Vattenfall und Gasag?
Wir haben mit Berlin Energie in beiden Konzessionsverfahren den Eignungstest bestanden und befinden uns beim Gasverfahren derzeit in Verhandlungen. Wenn die Entscheidungen gefällt sind und Berlin Energie die Konzessionen erhalten sollte, dann werden wir gemeinsam mit den Altkonzessionären einen Übergabeprozess strikt nach Gesetz durchführen. Und dann gibt es einen ganz klaren Übergang der Technik, der Betriebsprozesse und vor allem des Betriebspersonals in Übereinstimmung mit dem Gesetz und dem noch gültigen bisherigen Konzessionsvertrag.
Vattenfall sagt: Von seinen rund 1.400 Stromnetzmitarbeitern ginge automatisch nur der Kern ans Land über, ungefähr 150 Leute.
Wir gehen davon aus, dass es zu einem Betriebsübergang all derer kommt, die sich heute mit den Verteilnetzen Strom oder Gas beschäftigen, denn genau das steht im Konzessionsvertrag und im Gesetz. Wir stehen bereit, all diese Menschen zu übernehmen. Wer für das Netz tätig ist, ergibt sich eindeutig aus den Vorschriften. Es ist also unnötig, und ich würde das sehr bedauern, wenn wir hier in eine konfliktive Situation kämen. Wir sollten nicht Menschen, die sehr gute Arbeit leisten, zum Zankapfel von Politik machen.
Eine bestimmte Politik verfolgen ja auch Sie.
Ja, aber dabei geht es um eine neue Philosophie! Ich möchte diese Begeisterung für die Energiewende reinkriegen, verstehen Sie? Wir werden noch viel intensiver mit Hochschulen kooperieren, damit wir mit jungen Leuten Lösungen entwickeln, die heute noch niemand kennt, wir Alten schon gar nicht. Eigentlich müssten wir damit noch zwei Stufen tiefer anfangen, in den Kindergärten, um den Kindern dieses Phänomen der Energiewende zu erklären.
Sie wollen aber doch Netzbetreiber werden und nicht Bildungssenator.
Ach, viele behaupten ja, ein Netzbetreiber könne die Politik nicht beeinflussen. Das stimmt nicht. Dass ein Netz mit der Energiewende nichts zu tun hat, das ist eben nur aus einem sehr isolierten Blickwinkel heraus richtig. Ich kann wegen des laufenden Verfahrens keine Details aus unserer Bewerbung nennen, aber mir geht es um eine andere Ebene. Einen Paradigmenwechsel!
Das wollen die Initiatoren des Energie-Volksentscheids auch. Gehen Sie am 3. November abstimmen?
Das weiß ich noch nicht. Aber die Energiewende ist definitiv nur schaffbar, wenn große Teile der Bürgerschaft mitmachen. Wir mögen gewisse Unterschiede zu den Initiatoren haben, wenn es um die detaillierte Umsetzung geht – aber vieles im Gesetzentwurf Vorgeschlagene machen wir doch schon. Wenn wir Berlin Energie als Netzbetreiber an den Bürgern vorbeibasteln würden, das wäre doch nicht sinnvoll, und das wird so nicht passieren.
Es gibt auch eine Bürgergenossenschaft, die das Stromnetz mit dem Land zusammen übernehmen will.
Ich bin auf jeden Fall für solche Dinge sehr, sehr offen. Im jetzt laufenden Verfahren bewerben wir uns aber um 100 Prozent Strom- und 100 Prozent Gasnetz. Eine spätere Zusammenarbeit ist dadurch nicht ausgeschlossen.
Einige befürchten, es wird eher zu einem Deal mit Vattenfall kommen.
Nein, wir werden da an keiner Stelle irgendwelche Deals machen, wir haben eine ganz klare Linie im Interesse von Berlin. Wir wollen zeigen, wie wir die Zukunft besser gestalten können, und dafür setzen wir unsere ganze Kraft ein. Wir sind gut vorbereitet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen