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Archiv-Artikel

„Uns geht Potenzial verloren“

SPD-Innenpolitiker Wiefelspütz bedauert den Verlust von ausgewiesenen Jugendlichen zum Beispiel an die USA. Er fordert von der heute startenden Konferenz ein Bleiberecht für Kinder und Jugendliche

INTERVIEW: NATALIE WIESMANN

taz: Herr Wiefelspütz, sind Sie zufrieden mit der Bleiberechts-Initiative aus Ihrem Heimatland NRW?

Dieter Wiefelspütz: Ich freue mich sehr, dass die Diskussion um ein Bleiberecht für lange geduldete Flüchtlinge endlich in Gang kommt. Das Thema war lange tabu. Es beschämt mich aber, dass dieser Vorstoß von Seiten eines FDP-Innenministers kommen musste. Ich hätte mir gewünscht, dass Wolfs SPD-Vorgänger Fritz Behrens sich in seiner Amtszeit intensiver für ein Bleiberecht eingesetzt hätte.

Der Entwurf ist sehr restriktiv. Flüchtlingsexperten schätzen, dass so nur 1.000 von 65.000 Geduldeten in NRW in den Genuss eines sicheren Aufenthaltsstatus kommen.

Dass die Flüchtlingsorganisationen mehr fordern, ist ihr Recht. Ich hätte auch zusätzliche Wünsche an ein Bleiberecht, bei dem NRW-Entwurf ist die Situation von Flüchtlingskindern nicht beachtet worden.

Was heißt das?

Es gibt eine Menge integrierter Jugendliche, die hier geboren oder zumindest als kleine Kinder nach Deutschland gekommen sind. Wenn ihre Eltern auf illegalem Wege nach Deutschland eingereist sind, können nicht die Kinder dafür verantwortlich gemacht werden. Ich sehe das nicht nur aus humanitären Gründen so: Jeder Praktiker weiß, dass viele der volljährigen Jugendlichen, die ausreisepflichtig sind, irgendwann in die USA oder nach Kanada einwandern. Da geht uns ein großes Potenzial verloren.

Es gibt ein alternatives Konzept des Berliner Innensenators, in dem ein Bleiberecht für integrierte Kinder vorgesehen ist. Hat das eine Chance?

Ich rechne nicht damit, dass auf der Innenministerkonferenz bereits eine endgültige Entscheidung getroffen wird. Aber es ist wichtig, dass wir jetzt Diskussionsgrundlagen haben. Ohne Hessen und Bayern geht es nicht (Anm. Red: auf der IMK gilt das Konsensprinzip). Ich bin daran interessiert, dass 2006 ein vernünftiges Bleiberecht zustande kommt. Es hat mich fast peinlich berührt, dass sich nach dem Regierungswechsel mehr bewegt als vorher. Jetzt wird das Bleiberecht sogar in den Koalitionsvereinbarungen thematisiert. Auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble scheint dafür offen zu sein. Bisher hatte sich die Union immer gegen eine Altfallregelung gesperrt.

Die CDU in NRW sieht keinen Bedarf für ein Bleiberecht. Musste Wolf deshalb den Entwurf so strikt formulieren?

Ich will ja auch nicht, dass jeder ein Bleiberecht erhält. Jemanden, der mit Drogen dealt, möchte ich außer Land haben. Problematisch ist aber – und da stimme ich der Kritik der Flüchtlingslobby zu – der Vorschlag Wolfs, das Bleiberecht an eine zweijährige sozialversicherungspflichtige Arbeit zu knüpfen. Das steht im Widerspruch zur Realität in NRW, wo beruflich integrierten Menschen reihenweise die Arbeitserlaubnis entzogen wird.

Was ist ihr Gegenvorschlag?

Ich halte es für sinnvoll, dass es einen Passus gibt, in dem festgehalten wird, dass die betroffene Person ihren Lebensunterhalt selbst bestreitet. Aber dafür sollte es differenzierte Lösungen geben: Wir müssten zum Beispiel überprüfen, ob nicht gesellschaftliche Gruppen eine Garantie für einen Flüchtling übernehmen könnten. Dem Anwärter auf ein Bleiberecht würde man dann eine gewisse Zeit einräumen, um eine Arbeit zu finden.

Nehmen wir mal an, Wolfs Vorschlag kommt auf der IMK durch. Besteht dann nicht die Gefahr, dass sich die Politiker auf die Schultern klopfen und das Thema für die nächsten Jahre vom Tisch ist?

Ich will nicht, dass jetzt in Karlsruhe eine Regelung vom Zaun gebrochen wird, die dann bald wieder verbessert werden muss. Ich wünsche mir eine ernsthafte Diskussion über die Initiative aus NRW und auch über die anderen Vorschläge. Wenn sich die IMK auf eine allgemeine Bleiberechtsregelung einigt, muss das die Antwort für die nächsten vier oder fünf Jahre sein. Das Thema sollten wir sehr vorsichtig anpacken. Für mich ist es besonders wichtig, dass wir das Kindeswohl in den Vordergrund stellen.